BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvQ 25/05 -
In dem Verfahren
über den Antrag
der Frau Ç...
im Wege der e i n s t w e i l i g e n A n o r d n u n g
1. | festzustellen, dass die Antragstellerin
deutsche Staatsangehörige ist, hilfsweise, |
2. | § 25 Abs. 1 StAG in der Fassung des
Art. 1 Nr. 7 Buchstabe a des Gesetzes vom 15.
Juli 1999 (BGBl I S. 1618) mit Wirkung vom 1. Januar 2000
auch mit Wirkung für die Vergangenheit bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu
setzen, hilfsweise, |
3. | festzustellen, dass die Antragstellerin
die Voraussetzung zur Teilnahme an den vorgezogenen
Wahlen zum Deutschen Bundestag im September 2005
hinsichtlich der deutschen Staatsbürgerschaft
erfüllt, hilfsweise, |
4. | die Antragstellerin in das Wählerverzeichnis aufzunehmen und zur Bundestagswahl am 18. September 2005 zuzulassen, |
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter
Jentsch,
Broß
und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. September 2005 einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die in Deutschland lebende Antragstellerin wurde nach Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit am 21. Juni 1999 in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Auf ihren Antrag vom 20. Juli 1999 wurde ihr am 5. Februar 2001 die türkische Staatsangehörigkeit erneut verliehen.
Gemäß § 25 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung verliert ein Deutscher grundsätzlich seine Staatsangehörigkeit, wenn er auf seinen Antrag eine ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt. Nach der zuvor geltenden Gesetzesfassung (§ 25 Abs. 1 RuStAG) trat der Staatsangehörigkeitsverlust nur unter der weiteren Voraussetzung ein, dass der Betroffene seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland hatte. Diese sogenannte Inlandsklausel wurde durch Art. 1 Nr. 7 Buchstabe a des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) zum 1. Januar 2000 gestrichen.
Schätzungen zufolge ist von dieser Gesetzesänderung eine große Zahl in Deutschland lebender und hier eingebürgerter Personen betroffen, die, wie die Antragstellerin, nach der hiesigen Einbürgerung ihre frühere ausländische Staatsangehörigkeit auf Antrag zurückerworben haben (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. April 2005 - 8 B 721/05 -, JURIS; Uslucan, ZAR 2005, S. 115).
Die Antragstellerin hält § 25 StAG in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung unter anderem wegen des Fehlens einer Übergangsregelung für verfassungswidrig. Sie hat beim Verwaltungsgericht Bayreuth eine Klage auf Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Im Hinblick auf die am 18. September 2005 anstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag hat sie überdies beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO festzustellen, dass sie die Voraussetzung zur Teilnahme an der Bundestagswahl hinsichtlich der deutschen Staatsangehörigkeit erfülle. Das Verwaltungsgericht hat den Eilrechtsschutzantrag mit Beschluss vom 16. August 2005 (- B 1 E 05.672 -, JURIS) abgelehnt. Über die dagegen eingelegte Beschwerde ist, soweit bekannt, noch keine Entscheidung ergangen. Am 17. August 2005 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gestellt.
II.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. BVerfGE 92, 130 <133>; stRspr) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Für die Beurteilung dieser Voraussetzungen gilt ein strenger Maßstab (vgl. BVerfGE 108, 45 <48>).
Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts angeführt werden, haben bei der Entscheidung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Eine einstweilige Anordnung darf allerdings dann nicht ergehen, wenn sich der in der Hauptsache gestellte oder noch zu stellende Antrag als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, abzuwägen gegen die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, das verfolgte Anliegen sich aber in der Hauptsache als unbegründet erwiese (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 104, 51 <55>; stRspr). Eine einstweilige Anordnung kann nur ergehen, wenn die für ihren Erlass sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BVerfGE 91, 83 <92>).
Besonders hohe Anforderungen gelten, wenn der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden soll. Ein Anliegen, das dem erklärten Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft, kann nur aus besonders schwerwiegenden Gründen im Wege der einstweiligen Anordnung durchgesetzt werden (vgl. BVerfGE 104, 23 <27>; 108, 45 <48>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2005 - 2 BvR 2185/04 -, NVwZ 2005, S. 679).
2. Ob eine einstweilige Anordnung mit dem hier in erster Linie begehrten feststellenden Inhalt überhaupt zulässig wäre, bedarf keiner Entscheidung. Es kann ferner offen bleiben, ob dem Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall die fehlende Erschöpfung des Rechtsweges - selbst hinsichtlich des fachgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - entgegensteht (zum Vorrang des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes vgl. BVerfGE 37, 150 <151>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1999 - 2 BvR 2039/99 -, NJW 2000, S. 1399 f.). Offen bleiben kann schließlich auch, ob eine Verfassungsbeschwerde zulässig und nicht offensichtlich unbegründet wäre.
Die gebotene Folgenabwägung ergibt jedenfalls nicht das erforderliche Überwiegen der Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich aber eine in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde später als begründet, wäre der Antragstellerin bis dahin die Behandlung als deutsche Staatsangehörige zu Unrecht vorenthalten worden; die aus der deutschen Staatsangehörigkeit folgenden Rechte hätte sie vorläufig nicht wahrnehmen können. Als konkret drohender Nachteil ist insoweit vor allem zu berücksichtigen, dass ihr die Ausübung des Wahlrechts bei der auf den 18. September 2005 angesetzten Bundestagswahl versagt bliebe, obwohl sie gemäß § 12 Abs. 1 BWG wahlberechtigt wäre. Weitere konkrete und gewichtige Nachteile, die bereits in näherer Zukunft eintreten könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Vor allem ist der weitere Aufenthalt der Antragstellerin angesichts ihres nach Auffassung des zuständigen Landratsamtes fristgerecht gestellten und damit nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AufenthG positiv zu bescheidenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gesichert. Nachdem die Antragstellerin auf das ihr zugegangene formlose Anschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, mit dem sie zur Auskunft über einen etwaigen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit aufgefordert wurde, bereits reagiert hat, braucht sie auch mit einer Auskunftsverpflichtung durch förmlichen Bescheid und gegebenenfalls dessen zwangsweiser Durchsetzung nicht zu rechnen. Im Übrigen läge darin auch kein besonders ins Gewicht fallender Nachteil.
Erginge die einstweilige Anordnung, bliebe der Antragstellerin aber in der Hauptsache der Erfolg versagt, so würde sie vorläufig zu Unrecht weiter als deutsche Staatsangehörige behandelt. Vor allem könnte sie bei den Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag das Wahlrecht ausüben, obwohl ihr dieses mangels Deutscheneigenschaft im Sinne des § 12 BWG in Wahrheit nicht zustünde.
Die Nachteile im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl wögen in beiden Fällen gleich schwer: Es käme jeweils zu einem Wahlfehler, der im Wahlprüfungsverfahren geltend gemacht werden könnte, zur Ungültigkeit der Wahl indes nur bei gegebener Mandatserheblichkeit führen würde (vgl. BVerfGE 34, 81 <95>). An diesem "Bewertungspatt" ändert sich auch dann nichts, wenn man bei der Einschätzung der jeweils drohenden Nachteile nicht allein den Fall der Antragstellerin berücksichtigt, sondern auch die Folgen in den Blick nimmt, die sich bei gleicher Behandlung anderer, möglicherweise zahlreicher, gleichgelagerter Fälle ergeben.
Stehen somit die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgekonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüber, gebietet es die gegenüber der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers notwendige Zurückhaltung des Gerichts, die Anwendung der mittelbar angegriffenen Vorschrift nicht zu hindern, bevor geklärt ist, ob sie vor der Verfassung Bestand hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Jentsch | Broß | Lübbe-Wolff |