L e i t s ä t z e
zum Beschluß des Ersten Senats vom 11. Februar 1992
- 1 BvR 890/84 u.a. -
- 1.Die Länder haben die Kompetenz, arbeitsrechtliche Regelungen über Sonderurlaub für ehrenamtliche Mitarbeiter in der Jugendarbeit zu erlassen. Der Bund hat insoweit von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht.
- 2. Eine Pflicht zur vollen Entgeltfortzahlung während eines Sonderurlaubs für Zwecke der Jugendpflege darf dem einzelnen Arbeitgeber ohne einen Ausgleich nicht auferlegt werden. Insoweit verstößt das hessische Sonderurlaubsgesetz in seiner Fassung vom 28. Juni 1983 gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 890/84 -
- 1 BvR 74/87 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
I. |
1. |
der B... Aktiengesellschaft, | |
2. |
der D... Aktiengesellschaft, | |
3. |
der H... GmbH, | |
4. |
der H... Aktiengesellschaft, | |
5. |
der M... GmbH & Co., | |
6. |
der R... GmbH, | |
7. |
der C... Aktiengesellschaft, |
- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Karl Heinrich Friauf, Eichenhainallee 17, Bergisch Gladbach 1 -
gegen |
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes des Landes Hessen über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit vom 28. März 1951 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 1983 (GVBl. I S. 130) |
- 1 BvR 890/84 -,
|
der H... Aktiengesellschaft, |
- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Karl Heinrich Friauf, Eichenhainallee 17, Bergisch Gladbach 1 -
gegen |
1. |
a)das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 1986 - 11 Sa 553/86 -, |
b) |
das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1985 - 3 Ca 364/85 -, |
2. |
mittelbar gegen § 1 Abs. 1 des Gesetzes des Landes Hessen über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit vom 28. März 1951 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 1983 (GVBl. I S. 130) |
- 1 BvR 74/87 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Dieterich,
Kühling
und der Richterin Seibert
am 11. Februar 1992 beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde zu I wird verworfen.
- § 1 Absatz 1 des hessischen Gesetzes über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit vom 28. März 1951 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 1983 (Gesetz- und Verordnungsbl. I Seite 130) ist mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als er die Arbeitgeber verpflichtet, während des Sonderurlaubs das volle Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, ohne daß Ausgleichsmöglichkeiten vorgesehen sind.
- Die Urteile des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 1986 - 11 Sa 553/86 - und des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1985 - 3 Ca 364/85 - verletzen die Beschwerdeführerin zu II in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
- Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin zu II die notwendigen Auslagen zu erstatten.
G r ü n d e :
A.
Die beschwerdeführenden Unternehmen wenden sich gegen die durch das Gesetz des Landes Hessen über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit vom 28. März 1951 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 1983 (GVBl. I S. 130 - HSUG -) begründete Pflicht, Arbeitnehmern für bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten in der Jugendarbeit bezahlten Sonderurlaub zu gewähren.
I.
In seiner bis zum Jahre 1983 geltenden Fassung gewährte das hessische Sonderurlaubsgesetz Arbeitnehmern für bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten in der Jugendarbeit einen Anspruch auf unbezahlten Sonderurlaub. Die Arbeitgeber brauchten nur die Beiträge für die Kranken- und Arbeitslosenversicherung weiterzuzahlen. Eine Pflicht zur Fortzahlung des vollen Entgelts wurde erst durch das Änderungsgesetz vom 28. Juni 1983 (GVBl. I S. 102) eingeführt. In dieser Fassung lautet das hessische Sonderurlaubsgesetz, soweit es hier von Bedeutung ist, wie folgt:
§ 1
(1) Den ehrenamtlich und führend in der Jugendarbeit der Jugendverbände, der öffentlichen Jugendpflege und -bildung, sonstiger Jugendgemeinschaften und deren Zusammenschlüsse sowie den im Jugendsport in Vereinen, dem Landessportbund und in den Sportfachverbänden tätigen Personen über 18 Jahren ist auf Antrag bezahlter Sonderurlaub zu gewähren
1. für die Tätigkeit als Helfer in Zeltlagern, Jugendherbergen und Heimen, in denen Jugendliche vorübergehend zur Erholung untergebracht sind, sowie bei sonstigen Veranstaltungen, in denen Jugendliche betreut werden,
2. zum Besuch von Tagungen, Lehrgängen und Seminaren der Jugendverbände, der öffentlichen Jugendpflege und -bildung sowie im Rahmen des Jugendsports.
(2) Sonderurlaub ist ferner zu gewähren für die Tätigkeit als Leiter oder pädagogischer Mitarbeiter bei Veranstaltungen nach Abs. 1 Nr. 1 und 2.
(3) Der Sonderurlaub kann nur dann nicht in der vom Arbeitnehmer vorgesehenen Zeit genommen werden, wenn dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen.
§ 2
(1) Der Sonderurlaub beträgt bis zu zwölf Arbeitstage im Jahr. Er kann auf höchstens drei Veranstaltungen im Jahr verteilt werden.
(2) Der Sonderurlaub ist auf das nächste Jahr nicht übertragbar.
§ 3
(1) ...
(2) Die Anträge sind dem Arbeitgeber oder Dienstherrn mindestens sechs Tage vor dem beabsichtigten Antritt des Sonderurlaubs vorzulegen.
§ 5
Der Anspruch auf Erholungsurlaub oder auf Freistellung von der Arbeit nach anderen gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen wird durch dieses Gesetz nicht berührt.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde zu I richtet sich unmittelbar gegen die Neufassung des Gesetzes. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die seitdem bestehende Pflicht zur Fortzahlung des vollen Entgelts verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Das Sonderurlaubsgesetz begründe unmittelbare Rechtsansprüche Dritter gegen sie, auf die sie sich in ihren betrieblichen und unternehmerischen Dispositionen einrichten müßten. Diese Belastung sei mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Zu ihren Belegschaften gehörten Arbeitnehmer, denen Anspruch auf Sonderurlaub zustehe. Die jeweilige Anzahl könne nur annäherungsweise geschätzt werden. Im Durchschnitt fielen etwa zehn vom Hundert der Arbeitnehmer in den Kreis der Personen, die nach der geltenden Gesetzesfassung einen der Anspruchstatbestände erfüllten. Der Eingriff sei schon deshalb verfassungswidrig, weil dem Land Hessen die Gesetzgebungskompetenz für die angegriffene Regelung fehle. Die Fälle einer bezahlten Freistellung von Arbeitnehmern seien bundesgesetzlich abschließend geregelt. Eine Regelungslücke, die der Landesgesetzgeber hätte ausfüllen dürfen, liege nicht vor.
In materiellrechtlicher Hinsicht sei Lohnfortzahlung während des Sonderurlaubs zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles nicht erforderlich. Es gebe keinen Grund dafür, die Arbeitgeber mit den Kosten für eine Förderung der Jugendarbeit zu belasten. Dies sei vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die das Land aufkommen müsse. Die Belastung sei unumutbar, weil sich durch sie die Lohnkosten für die freizustellenden Arbeitnehmer um mehr als fünf vom Hundert erhöhten.
Außerdem sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Pflicht zur Entgeltfortzahlung sei bei materieller Betrachtung einer Sonderabgabe gleichzuachten. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer solchen Abgabe lägen aber nicht vor. Spezifische Belange der Unternehmen würden durch die angegriffene Regelung nicht gefördert. Der allgemeine Gleichheitssatz sei auch deswegen verletzt, weil Unternehmen, die viele in der Jugendarbeit tätige Mitarbeiter beschäftigen, überproportional belastet würden.
2. Die Beschwerdeführerin zu II wendet sich gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts und die vorausgegangene arbeitsgerichtliche Entscheidung.
Beide Gerichte haben die Beschwerdeführerin verurteilt, einer Arbeitnehmerin, die als pädagogische Mitarbeiterin an einer von Pfadfindern veranstalteten Ungarnreise teilgenommen und dafür zwölf Tage Sonderurlaub erhalten hatte, Lohn in Höhe von 1.406,32 DM brutto zu zahlen. Die Beschwerdeführerin hatte in erster Linie verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz geltend gemacht. Demsind die Arbeitsgerichte nicht gefolgt.
Das Landesarbeitsgericht bejaht eine Gesetzbungskompetenz des Landes Hessen nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Nr. 12 GG. Der Bund habe von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis für das Arbeitsrecht keinen abschließenden Gebrauch gemacht. Bundesrechtliche Vorschriften über Sonderurlaub für Mitarbeiter in der Jugendarbeit gebe es nicht. Die angegriffene Regelung verletze keine Grundrechte der Beschwerdeführerin. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungssatz liege nicht vor. Die Belastung der Arbeitgeber sei durch deren soziale Bindungen hinreichend begründet. Gleichbehandlung mit Unternehmen aus anderen Bundesländern gebiete Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Berufsfreiheit der Arbeitgeber werde nicht verletzt. Auch mit Art. 14 Abs. 1 GG sei die Pflicht zur Gewährung bezahlten Sonderurlaubs vereinbar. Sie konkretisiere die Sozialbindung des Eigentums. Die gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin zu II eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Ihr Vorbringen entspricht im wesentlichen der Begründung der Verfassungsbeschwerde zu I.
III.
1. Der Hessische Ministerpräsident hält die Verfassungsbeschwerde zu I für unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen hätten weder vorgetragen noch belegt, daß sie von der Änderung des Gesetzes gegenwärtig betroffen seien; sie seien nur virtuell betroffen. Auch an der unmittelbaren Betroffenheit fehle es, weil das Gesetz den Beschwerdeführerinnen nicht schon durch seinen Erlaß spürbare Nachteile bringe und weil jeder Sonderurlaubsantrag von einer öffentlich anerkannten Institution befürwortet werden müsse. Insgesamt nähmen etwa 1.500 hessische Arbeitnehmer jährlich den Sonderurlaub in Anspruch. Das entspreche einem Anteil von 0,06 vom Hundert der gesamten Arbeitnehmerschaft des Landes.
Beide Verfassungsbeschwerden seien jedenfalls unbegründet. Das Land sei zum Erlaß des Gesetzes befugt gewesen. Der Bund habe von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis für das Arbeitsrecht keinen abschließenden Gebrauch gemacht. Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG werde durch die angegriffene Norm nicht berührt. Ihr Zweck sei die Förderung der ehrenamtlichen Jugendarbeit als gemeinwohlbezogener Sachaufgabe. Damit sei sie jedenfalls durch gute Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die insgesamt geringe finanzielle Inanspruchnahme der Gruppe der Arbeitgeber sei zumutbar und durch deren besondere soziale Verantwortung gerechtfertigt. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil alle Arbeitgeber gleichmäßig betroffen würden; eine Sonderabgabe werde ihnen nicht auferlegt.
2. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält beide Verfassungsbeschwerden jedenfalls für unbegründet. Aus dem besonderen Charakter des unternehmerisch genutzten Eigentums folge, daß alle das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffenden Regelungen an Art. 14 GG, nicht jedoch an Art. 12 GG zu messen seien. Den beschwerdeführenden Großunternehmen fehle der personale Bezug zur Berufsausübung. Gegen die Eigentumsgarantie verstoße die angegriffene Regelung nicht, weil die Belastung der Arbeitgeber keine erdrosselnde Wirkung habe. Die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers über die Arbeitnehmer werde durch Art. 14 GG nicht geschützt.
Selbst wenn Art. 12 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab in Betracht käme, würden die Beschwerdeführerinnen in ihrer Berufsausübungsfreiheit nicht verletzt. Pflege und Förderung der Jugend dienten dem Gemeinwohl. Ein bezahlter Sonderurlaub sei zum Schutz dieses Gemeinwohlbelanges geeignet und erforderlich. Die Arbeitnehmer dürften durch ihren ehrenamtlichen Einsatz in der Jugendarbeit keine finanziellen Einbußen erleiden. Die Belastung der Arbeitgeber halte sich in engen Grenzen und sei zumutbar.
3. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft sieht im bezahlten Sonderurlaub eine wirksame und konkrete Unterstützung für die ehrenamtliche Tätigkeit in der Jugendarbeit und im Jugendsport. Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Unternehmen nicht unzumutbar belastet würden.
4. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie teilen den Standpunkt der Beschwerdeführerinnen. Sie tragen vor, es handele sich um einen extremen Fall der finanziellen Inanspruchnahme von Arbeitgebern für eine ausschließlich öffentliche Aufgabe; der Nutzen der Arbeitgeber aus dem bezahlten Sonderurlaub sei nicht größer als derjenige der Allgemeinheit.
5. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens vertritt die Auffassung, Art. 12 Abs. 1 GG sei auf juristische Personen nicht anwendbar. Das hessische Sonderurlaubsgesetz habe keine berufsausübungsregelnde Tendenz. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für einen Eingriff in die Berufsausübung vor. Eine Erstattung des Lohnausfalls durch das Land würde unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Den Arbeitgebern sei die ihnen durch das Gesetz auferlegte Belastung zumutbar. Dessen Zweck sei keineswegs unternehmensfremd.
B.
Die Verfassungsbeschwerde zu I ist unzulässig. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen läßt sich nicht entnehmen, daß sie bereits bei Einlegung ihrer Verfassungsbeschwerde durch die angegriffene Regelung verletzt sein konnten. Keine von ihnen hat geltend gemacht, einer ihrer Arbeitnehmer habe bereits bezahlten Sonderurlaub auf der Grundlage des angegriffenen Gesetzes in Anspruch genommen. Sie haben nicht einmal vorgetragen, in welchem Umfang Arbeitnehmer aus ihren Betrieben von der früheren Regelung Gebrauch gemacht haben. Das wäre leicht möglich gewesen und hätte Rückschlüsse auf ihre gegenwärtige Betroffenheit erlaubt. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist durch die Neufassung des Sonderurlaubsgesetzes nur unwesentlich erweitert worden.
C.
Die Verfassungsbeschwerde zu II ist hingegen zulässig und im wesentlichen auch begründet.
I.
Durch die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu II zur Zahlung des vollen Arbeitsentgelts für die Zeit, in der eine ihrer Arbeitnehmerinnen an einem Pfadfinderlager teilnahm, wird in ihre durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung eingegriffen (vgl. BVerfGE 77, 308 <332>). Das hessische Sonderurlaubsgesetz, auf dem die Urteile beruhen, ist in der hier maßgeblichen Neufassung mit dem Grundgesetz teilweise unvereinbar.
1. In formeller Hinsicht begegnet das Gesetz allerdings keinen Bedenken.
Der Landesgesetzgeber war für die Materie zuständig. Der Regelungsgegenstand gehört zum Arbeitsrecht. Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt in der Schaffung und Ausgestaltung eines besonderen Urlaubsanspruchs. Es gestaltet damit den Inhalt von Arbeitsverhältnissen. Eine Abgabe, die besonderen kompetenzrechtlichen Regelungen unterliegen könnte, bürdet es den Arbeitgebern nicht auf, und es begründet auch sonst keine Geldleistungspflichten gegenüber dem Staat (vgl. BVerfGE 55, 274 <297 ff.>; 67, 256 <274 ff.>; ebenso zum hessischen Bildungsurlaubsgesetz BVerfGE 77, 308 <338 f.>).
Für das Arbeitsrecht steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zu (Art. 74 Nr. 12 GG). Er hat seine Kompetenz nicht ausgeschöpft. Im Bundesurlaubsgesetz wird nur der Erholungsurlaub geregelt. Weitergehende Urlaubsansprüche für besondere Zwecke sind nach Wortlaut und Sinn dieses Gesetzes nicht ausgeschlossen. Insofern bleibt Raum für den Landesgesetzgeber (Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG). Das hessische Sonderurlaubsgesetz hält sich in diesem Rahmen (ebenso für das hessische Bildungsurlaubsgesetz BVerfGE 77, 308 <329 ff.>).
2. Inhaltlich greift die angegriffene Regelung jedoch unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein.
a) Sie dient einem wichtigen Gemeinschaftsgut. Ihr Zweck ist die Förderung der Jugendarbeit der Verbände und Vereine, der öffentlichen Jugendpflege und des Jugendsports. Die Jugendarbeit bietet der heranwachsenden Generation wesentliche Entfaltungsmöglichkeiten außerhalb von Elternhaus und Schule. Jugendliche finden dort Gelegenheit, sich sinnvollen Aufgaben zu widmen, individuelle Fähigkeiten zu entwickeln und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. In Gruppen mit gleichgesinnten Altersgenossen können sie Zusammenarbeit üben und Geselligkeit erleben. In all dem liegt ein hoher erzieherischer Wert. Sinn und Nutzen der Jugendarbeit sind seit langem anerkannt.
b) Das hessische Sonderurlaubsgesetz ist geeignet, diesem Gemeinschaftsgut zu dienen. Durch den Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die ehrenamtliche Tätigkeit in der Jugendarbeit wesentlich erleichtert. Sie brauchen für den gemeinnützigen Zweck ihren Erholungsurlaub nicht in Anspruch zu nehmen und erleiden keine Einkommenseinbußen. Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, daß sich ohne Entgeltfortzahlung für die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 2 HSUG genannten Tätigkeiten erheblich weniger ehrenamtliche Kräfte finden ließen. Jugendarbeit ist aber auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen. Mit fest angestellten Mitarbeitern ließe sie sich in angemessenem Umfang kaum verwirklichen. Außerdem tragen ehrenamtliche Mitarbeiter zur Vielfalt und Unabhängigkeit der Jugendarbeit bei.
c) Soweit die angegriffene Regelung eine Freistellung von Arbeitnehmern für die Tätigkeit in der Jugendarbeit vorsieht, beschränkt sie die Berufsfreiheit nicht in unzumutbarer Weise. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß den Arbeitgebern gewisse finanzielle Belastungen und die formelle Entgeltfortzahlungspflicht auferlegt werden. Die Grenzen des Zumutbaren werden aber insoweit überschritten, als den Arbeitgebern die volle Kostenlast aufgebürdet wird, ohne daß Ausgleichsmöglichkeiten geschaffen werden.
aa) Die Verpflichtung zur Freistellung bringt zwar eine gewisse Belastung der Betriebsabläufe mit sich, da sie sich auf die Gesamtleistung des Betriebes auswirken und zu Engpässen führen kann. Im Vergleich zu den sonstigen Freistellungsgründen, insbesondere dem Erholungsurlaub und Krankheitsfällen, sind die Sonderurlaubstatbestände jedoch nur von geringer Bedeutung. Nach den Zahlenangaben der Hessischen Landesregierung, an denen zu zweifeln kein Anlaß besteht, machen nur 0,06 vom Hundert aller Arbeitnehmer in Hessen von den Möglichkeiten des Gesetzes Gebrauch. Eine nennenswerte Belastung der Unternehmen ist daher nicht gegeben. Besondere Härten für den Arbeitgeber werden vermieden, weil er den Sonderurlaub ablehnen kann, wenn dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen (§ 1 Abs. 3 HSUG). Darüber hinaus wird er durch die sechstägige Antragsfrist (§ 3 Abs. 2 HSUG) in die Lage versetzt, sich bei seiner Planung auf den Ausfall von Sonderurlaubsberechtigten einzustellen.
Den Arbeitgebern ist es auch zuzumuten, die technische Abwicklung der Entgeltfortzahlung und die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge während des Sonderurlaubs zu übernehmen.
bb) Hinsichtlich der finanziellen Belastung der Arbeitgeber durfte der Gesetzgeber berücksichtigen, daß ehrenamtliche Mitarbeiter, die ihren Lebensunterhalt aus dem Arbeitsentgelt bestreiten und auf die damit verbundene soziale Sicherheit angewiesen sind, häufig nicht bereit sein werden, an einer Jugendfreizeit oder ähnlichen Veranstaltung mitzuwirken, wenn sie nicht arbeitsrechtlich abgesichert sind (vgl. BVerfGE 77, 308 <336 f.>). Es fehlt auch nicht an jeglicher Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zu dem Zweck der Regelung. Diese ergibt sich nicht nur daraus, daß der Arbeitgeber zur Erreichung seines Unternehmenszweckes der Mitwirkung seiner Arbeitnehmer bedarf und andererseits der Arbeitnehmer zur Existenzsicherung seine volle Arbeitskraft einsetzen muß und dadurch seine Möglichkeiten zu ehrenamtlicher Tätigkeit verringert werden (vgl. BVerfGE 77, 308 <334 f.>). Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, daß die ehrenamtliche Mitwirkung in der Jugendarbeit geeignet ist, Fähigkeiten des Arbeitnehmers zu entwickeln und zu fördern, die auch dem Arbeitgeber zugute kommen können. Wer als Leiter einer Jugendgruppe oder als Helfer in einem Jugendlager tätig ist, wird dabei in der Regel Eigeninitiative entfalten und Verantwortungsbereitschaft zeigen müssen; er gewinnt Erfahrungen im Umgang mit Menschen und Führungsqualitäten. Solche Fähigkeiten können sich auch bei der Tätigkeit im Betrieb positiv auswirken.
Aus diesem Grunde ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, daß der Arbeitgeber von den mit der Entgeltfortzahlung verbundenen finanziellen Belastungen völlig freigestellt wird. So war es unbedenklich, daß der Landesgesetzgeber in Hessen mit der früheren Fassung die Arbeitgeber zur Fortzahlung der Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge verpflichtete. Die Zumutbarkeit dieser Regelung wird auch durch den Umstand bestätigt, daß die frühere Fassung des Gesetzes seit dem Jahre 1951 nicht zu Beanstandungen oder merklichen Beeinträchtigungen hessischer Unternehmen geführt hat.
Unzumutbar ist jedoch die Belastung der Arbeitgeber mit den vollen Lohnkosten für die Zeit des Sonderurlaubs. Diese kann für den einzelnen Arbeitgeber erheblich ins Gewicht fallen. Die relativ geringe Häufigkeit, mit der die Möglichkeiten nach dem Sonderurlaubsgesetz in Anspruch genommen werden, kann zwar dazu führen, daß selbst größere Betriebe gänzlich verschont bleiben. Andererseits kann aber unter Umständen ein kleinerer Betrieb dazu verpflichtet sein, mehreren Mitarbeitern den Sonderurlaub zu gewähren.
Die mit der Entgeltfortzahlung verbundene finanzielle Belastung wird durch das vom Gesetz verfolgte Gemeinschaftsinteresse nicht hinreichend gerechtfertigt. Die Bereitschaft eines Arbeitnehmers, für Zwecke der Jugendarbeit Sonderurlaub zu nehmen, wird durch die Entgeltfortzahlung zweifellos erhöht, doch fehlen hinreichend gewichtige Gründe dafür, diese Belastung allein dem einzelnen Arbeitgeber aufzuerlegen.
Daß gerade er dafür aufzukommen hat, ist vom Gemeinwohlinteresse her nicht vorgegeben. In einer solchen Lage bedarf die Zumutbarkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit weiterer Rechtfertigung. Zwar besteht, wie dargelegt, eine Verantwortungsbeziehung. Sie ist aber für den einzelnen Arbeitgeber nicht so eng, daß gerade ihm die vollen Lohnkosten aufgebürdet werden dürfen.
Die genannten Bezüge könnten es rechtfertigen, den Arbeitgebern als Gesamtheit die Kosten der Lohnfortzahlung aufzuerlegen; der Staat, der die Jugendarbeit auf vielfältige Weise fördert, braucht für diese gesellschaftlichen Aktivitäten nicht allein aufzukommen. Für den einzelnen Arbeitgeber hingegen sind ihre Vorteile zu wenig greifbar, als daß ihm die volle Entgeltfortzahlung zugemutet werden könnte.
II.
Eine Prüfung am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG erübrigt sich, weil sie zu keinem anderen Ergebnis führen könnte. Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kommt offensichtlich nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 77, 308 <339 ff.>).
III.
Die Unvereinbarkeit des hessischen Sonderurlaubsgesetzes mit dem Grundgesetz führt nicht zu seiner Nichtigkeit. Der Gesetzgeber kann die Verfassungswidrigkeit auf verschiedene Weise beseitigen. Dem darf das Bundesverfassungsgericht nicht vorgreifen.
Denkbar wäre etwa eine Wiederherstellung des Rechtszustandes, der vor der Novelle vom Juni 1983 bestand. In Betracht kommt aber auch eine Erstattung der Kosten für die Entgeltfortzahlung, durch eine öffentliche Kasse oder einen Träger der Jugendhilfe. Ferner kann ein Ausgleich durch eine Solidareinrichtung der Arbeitgeber vorgesehen werden. Auch andere Möglichkeiten sind nicht ausgeschlossen.
Soweit die angegriffene Regelung mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, können die Arbeitsgerichte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung weder zuerkennen noch abweisen. Die Verfahren sind auszusetzen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Materie neu zu regeln. Da die Rechtslage nicht auf Dauer ungeklärt bleiben kann, muß dafür eine Frist gesetzt werden. Die legislatorischen Probleme einer Neuregelung sind überschaubar und können innerhalb von zwei Jahren bewältigt werden. Eine solche Frist ist daher angemessen. Verstreicht sie ergebnislos, so hat das zur Folge, daß die Pflicht zur Entgeltfortzahlung entfällt, soweit sie über den vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 28. Juni 1983 bestehenden Rechtszustand hinausgeht. Stichtag dafür ist der 1. April 1994.
Herzog | Henschel | Seidl | |||||||||
Grimm | Söllner | Dieterich | |||||||||
Kühling | Seibert |