Leitsatz
zum Beschluß des Ersten Senats vom 28. Juni 1994
- 1 BvL 14/88 -
- 1 BvL 15/88 -
- Es verstößt nicht gegen das Willkürverbot, daß sich der Bezirksrevisor bei der Ausübung seines Beschwerderechts nach 127 Abs. 3 ZPO auf Stichproben beschränken darf.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 14/88 -
- 1 BvL 15/88 -
IM NAMEN DES VOLKES
In den Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 127 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2326) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, |
- Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse | ||
a) |
des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 2. Mai 1988 (6 Ta 25/87) |
- 1 BvL 14/88 -,
b) |
des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 2. Mai 1988 (6 Ta 1/88) |
- 1 BvL 15/88 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Kühling,
der Richterinnen Seibert,
Jaeger
am 28. Juni 1994 beschlossen:
- § 127 Absatz 3 Satz 5 in Verbindung mit Satz 1 der Zivilprozeßordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (Bundesgesetzbl. I Seite 2326) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
- Die Vorlage in dem Verfahren 1 BvL 14/88 ist unzulässig.
G r ü n d e :
A.
Die Vorlagen betreffen die Frage, ob § 127 Abs. 3 ZPO mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar ist.
I.
Die Vorschrift lautet:
Gegen die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe findet die Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übergeben wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.
Die Regelung wurde durch das Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2326) in die Zivilprozeßordnung eingefügt. Sie sollte dazu beitragen, die stark angestiegenen Aufwendungen der Länder für die Prozeßkostenhilfe zu verringern. Durch die Beschwerdemöglichkeit der Staatskasse sollten die Gerichte zu besonderer Sorgfalt bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ohne Rückzahlungsanordnung veranlaßt werden. Zur Vermeidung eines arbeitsaufwendigen Aktenumlaufs sollte es dem Vertreter der Staatskasse jedoch überlassen bleiben, im Rahmen seiner Geschäftsbelastung "Nulltarif-Entscheidungen" unter Angabe von Zahl und Auswahlkriterien bei den Gerichten anzufordern. Auf eine Mitteilung von Amts wegen wurde daher verzichtet (BRDrucks. 522/84, S. 17 f.).
II.
1. Im Ausgangsverfahren zur Vorlage 1 BvL 14/88 wurde dem Kläger vom Arbeitsgericht Prozeßkostenhilfe zunächst ohne Ratenzahlung bewilligt. Auf Beschwerde des Vertreters der Staatskasse ordnete das Arbeitsgericht Ratenzahlung an. Über die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat das vorlegende Gericht zu entscheiden.
2. In dem Verfahren zur Vorlage 1 BvL 15/88 wurde dem Kläger des Ausgangsverfahrens vom Arbeitsgericht Prozeßkostenhilfe unter Anordnung von Ratenzahlung bewilligt. Auf Beschwerde des Klägers hob das Arbeitsgericht die Ratenzahlungsverpflichtung wieder auf. Der hiergegen vom Vertreter der Staatskasse erhobenen Beschwerde half es nicht ab.
III.
Das Landesarbeitsgericht beschloß in beiden Fällen, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des § 127 Abs. 3 ZPO einzuholen.
Zur Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm führt das vorlegende Gericht im Verfahren zu 1 BvL 14/88 aus, bei ihrer Verfassungswidrigkeit müsse der Beschwerde des Klägers schon deshalb stattgegeben werden, weil die vorangegangene Beschwerde des Bezirksrevisors dann unzulässig gewesen wäre. Im Ausgangsverfahren zu 1 BvL 15/88 komme es auf die Verfassungsmäßigkeit des § 127 Abs. 3 ZPO entscheidungserheblich an, weil andernfalls die Beschwerde des Bezirksrevisors als unzulässig verworfen werden müsse.
Im übrigen wird in beiden Beschlüssen übereinstimmend folgender Standpunkt vertreten: § 127 Abs. 3 ZPO verstoße gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Willkürverbot. Sein Beschwerderecht könne der Vertreter der Staatskasse nur ausüben, wenn er von den Bewilligungsentscheidungen Kenntnis erhalte. Diese würden ihm jedoch nach der gesetzlichen Regelung nicht von Amts wegen mitgeteilt. So bleibe es dem Zufall überlassen, ob in sachlich gleichgelagerten Fällen Beschwerde erhoben werde. Durch Verwaltungsanordnungen sei eine für alle betroffenen Gerichte gleichmäßige und verbindliche Praxis nicht sicherzustellen. Dies müsse durch das Gesetz selbst geschehen.
Vernünftige Erwägungen, die die vorgelegte Regelung zu rechtfertigen vermöchten, seien nicht ersichtlich. Arbeitsaufwendiger Aktenumlauf hätte etwa durch eine Beschränkung des Beschwerderechts auf Bewilligungen in bestimmter Höhe vermieden werden können. Dies wäre ein sachlicher Anknüpfungspunkt gewesen. So aber könne es sogar dazu kommen, daß nur bestimmte Spruchkörper eines Gerichts oder einzelne Gerichte auf ihre Praxis in Prozeßkostenhilfesachen überprüft würden. Die Kenntnis der Staatskasse könne zudem von dem Handeln anderer Personen, wie des Geschäftsstellenpersonals oder des Prozeßgegners, abhängen. Der Bürger könne mit der Situation konfrontiert sein, daß sein Prozeßkostenhilfeantrag bei einem Spruchkörper oder Gericht schneller und ohne die Gefahr einer Aufhebung oder Verzögerung durch ein Beschwerdeverfahren behandelt werde als bei einem anderen.
B.
I.
1. Die Vorlage in dem Verfahren 1 BvL 14/88 ist unzulässig. Sie läßt nicht erkennen, daß es auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm entscheidungserheblich ankommt. Entscheidungserheblich ist eine Norm nur dann, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders entscheiden müßte als bei ihrer Gültigkeit (BVerfGE 22, 175 <176>; st. Rspr.). Das Landesarbeitsgericht hätte die Beschwerde auch dann zurückweisen müssen, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers die ihm auferlegten Ratenzahlungen rechtfertigten. Das hätte zuvor geklärt und gegebenenfalls im Vorlagebeschluß dargelegt werden müssen.
2. Die Vorlage in dem Verfahren 1 BvL 15/88 ist hingegen zulässig.
a) Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Beschwerde des Bezirksrevisors, da sie nur aufgrund von § 127 Abs. 3 ZPO statthaft sein kann, bei Verfassungswidrigkeit dieser Norm als unzulässig zurückgewiesen werden müßte, während andernfalls sachlich über sie zu entscheiden wäre. Dies begründet die Entscheidungserheblichkeit, weil die Verwerfung eines Rechtsmittels als unzulässig eine andere Entscheidung ist als seine sachliche Bescheidung (vgl. BVerfGE 22, 106 <109>; st. Rspr.).
b) Die Vorlagefrage muß aber eingegrenzt werden. Gegenstand der Vorlage ist entgegen ihrem Wortlaut nicht die Gesamtregelung des § 127 Abs. 3 ZPO, sondern nur die sich aus Satz 5 in Verbindung mit Satz 1 der Vorschrift ergebende Besonderheit, daß die beschwerdefähigen Entscheidungen nur einer unvollständigen Kontrolle unterliegen, weil sie der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt werden. Im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist eine Norm nur insoweit zur Prüfung gestellt, als sie das vorlegende Gericht für verfassungswidrig hält (BVerfGE 16, 306 <316>; 53, 257 <287>). Die Bedenken des vorlegenden Gerichts richten sich aber allein gegen § 127 Abs. 3 Satz 5 ZPO und seine Rückwirkung auf Satz 1. Gegen das Beschwerderecht der Staatskasse als solches und seine weitere Ausprägung in § 127 Abs. 3 Satz 2 bis 4 ZPO werden keine verfassungsrechtlichen Bedenken geltend gemacht.
II.
§ 127 Abs. 3 Satz 5 in Verbindung mit Satz 1 ZPO ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Umstand, daß der Staatskasse die beschwerdefähigen Entscheidungen nicht von Amts wegen vorgelegt werden, führt nicht zu einer willkürlichen Beschwerdepraxis. Eine stichprobenartige Kontrolle, wie das Gesetz sie vorzeichnet, ist vielmehr sachlich gerechtfertigt und verfassungsrechtlich bedenkenfrei.
1. Die vorgelegte Norm ist an Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des Willkürverbots zu messen.
a) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Vorlagegerichts sind in einleuchtender Weise gegen die gesetzliche Regelung selbst und nicht erst gegen ihre Handhabung durch den Bezirksrevisor gerichtet. § 127 Abs. 3 Satz 5 ZPO schreibt zwar nicht vor, wie der Bezirksrevisor bei der Ausübung seines Beschwerderechts zu verfahren hat, stellt ihn jedoch erkennbar von einer umfassenden Kontrolle aller beschwerdefähigen Entscheidungen frei. Damit läßt er auch zu, daß dieser regellos auf einzelne Entscheidungen zugreift und seine Kontrollfunktion auf Stichproben beschränkt. Die Gesetzesmaterialien deuten darauf hin, daß gerade dies beabsichtigt war (vgl. Protokoll der 94. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 10. Wp., Anlage 2, S. 5 f.).
b) Allerdings kann die Prüfung des vorgelegten Gesetzes nicht an eine ungleiche Behandlung einzelner Personen oder Personengruppen und damit an das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG anknüpfen. Aus § 127 Abs. 3 Satz 5 ZPO folgt nicht, daß der Bezirksrevisor nur in bestimmten, nach sachlichen oder personenbezogenen Merkmalen definierten Fällen tätig werden darf. Die Wirkungsweise des Gesetzes ist vielmehr, auch nach der Intention des Gesetzgebers, auf einen zufälligen Zugriff (Stichproben) des Bezirksrevisors angelegt. Ein solcher Zugriff droht allen Empfängern von Prozeßkostenhilfe ohne Zahlungsanordnung in gleicher Weise. Hat aber der Gesetzgeber nicht nur in seiner Regelung selbst, sondern auch hinsichtlich ihrer intendierten Wirkungsweise auf eine wie immer definierte Differenzierung verzichtet, so scheidet das allgemeine Gleichbehandlungsgebot als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab aus.
c) Die Regelung ist aber am Willkürverbot zu messen. Art. 3 Abs. 1 GG ist danach verletzt, wenn sich für eine gesetzliche Regelung kein sachlicher Grund finden läßt und sie deshalb als willkürlich zu bezeichnen ist (vgl. BVerfGE 1, 14 <52>; st. Rspr.). Dahin zielt auch die Kritik des vorlegenden Gerichts, die an die vom Gesetz ermöglichte Beliebigkeit der Auswahl durch den Bezirksrevisor anknüpft.
2. Die zur Prüfung gestellte Regelung verletzt das Willkürverbot nicht. Zwar kann es in Anwendung der angegriffenen Vorschrift dazu kommen, daß der Bezirksrevisor einzelne Bewilligungen von Prozeßkostenhilfe nach dem Zufallsprinzip herausgreift, so daß dem Betroffenen diese Auswahl als willkürlich erscheinen mag. Die Auswahl hat aber nur zur Folge, daß die Rechtmäßigkeit der Prozeßkostenhilfebewilligung noch einmal überprüft wird. Die Methode beliebiger Einzelzugriffe ist in diesem Zusammenhang sachlich begründet und findet dadurch auch vor dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ihre Rechtfertigung.
Die Regelung soll einer zu großzügigen Bewilligung von Prozeßkostenhilfe entgegenwirken, ohne selbst unangemessenen Verwaltungsaufwand auszulösen. Dieses Ziel kann durch eine am Zufallsprinzip orientierte Ausübung des Beschwerderechts erreicht werden. Unvorhersehbare Kontrollen sind in besonderer Weise geeignet, die Sorgfalt der Kontrollierten zu schärfen. Sie wirken daher weit über den Einzelfall hinaus, in dem die Kontrolle ausgeübt wird. Der Verwaltungsaufwand kann den jeweiligen Kapazitäten angepaßt werden. Die Kontrolldichte kann sich an den Ergebnissen der Stichproben orientieren.
Diese Gründe entkräften den Willkürvorwurf. Das Zufallsprinzip ist nicht, wie es scheinen mag, von vornherein mit Willkür gleichzusetzen. Soweit es, wie hier, nicht um die Zuteilung von Leistungen, sondern um die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Leistung geht, kann es sogar dem Gleichbehandlungsgebot in besonderer Weise Rechnung tragen, da das Kontrollrisiko gleichmäßig verteilt wird.
Henschel | Seidl | Grimm | |||||||||
Söllner | Kühling | Seibert | |||||||||
Jaeger |