Bundesverfassungsgericht
- 2 BvR 627/94 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der (ehemaligen) Gemeinde R...
gegen | § 14 Satz 1 des saarländischen Gesetzes Nr. 986 zur Neugliederung der Gemeinden und Landkreise des Saarlandes (Neugliederungsgesetz - NGG) vom 19. Dezember 1973 (ABl S. 852), geändert durch das Gesetz Nr. 1220 zur Änderung des Neugliederungsgesetzes vom 15. Juli 1987 (ABl S. 1025), als dadurch die Gemeinde R. mit der Stadt I. und den Gemeinden H., O. sowie R. zu einer neuen Gemeinde zusammengeschlossen wird |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin
Präsidentin Limbach
und die Richter Winter,
Hassemer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a
BVerfGG in der Fassung
der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 16. Dezember 1998 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die beschwerdeführende ehemalige Gemeinde R. wurde durch § 14 Satz 1 des Gesetzes Nr. 986 zur Neugliederung der Gemeinden und Landkreise des Saarlandes (Neugliederungsgesetz) vom 19. Dezember 1973 zum 1. Januar 1974 mit der Stadt I. und anderen Gemeinden zu einer neuen Gemeinde mit dem Namen Stadt I. zusammengeschlossen. Ihre gegen den Zusammenschluß beim Verfassungsgerichtshof des Saarlandes erhobene Verfassungsbeschwerde wurde mit Urteil vom 28. Juni 1974 als unbegründet zurückgewiesen. Der Gesetzgeber dürfe Gemeinden nur aus Gründen des Gemeinwohls auflösen, ihm stehe diesbezüglich aber ein weiter Gestaltungsraum zu. Dieser sei nicht verletzt. Die Beschwerdeführerin sei auch angemessen angehört worden.
Unter dem 22. Oktober 1991 erhob die Beschwerdeführerin erneut gegen ihre Auflösung Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes. § 14 Neugliederungsgesetz beruhe auf prognostischen Erwägungen des Gesetzgebers, deren Fehlerhaftigkeit nunmehr offensichtlich sei. Die Regelung habe sich nachträglich als von Anfang an verfassungswidrig erwiesen.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes verwarf die Verfassungsbeschwerde mit Urteil vom 22. März 1993 als unzulässig. Der Beschwerdeführerin fehle die Beteiligtenfähigkeit im Kommunalverfassungsbeschwerde-Verfahren nach Art. 123 der Verfassung des Saarlandes (SVerf), § 55 Abs. 2 des saarländischen Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof (VGHG). Sie habe ihre Rechtspersönlichkeit als Gemeinde am 1. Januar 1974 verloren. Die Beteiligtenfähigkeit könne für das vorliegende Verfahren auch nicht mehr fingiert werden. Die Beschwerdeführerin sei endgültig aufgelöst, nachdem der Verfassungsgerichtshof ihr unter Fiktion ihrer Beteiligtenfähigkeit Rechtsschutz gewährt und dabei die Rechtmäßigkeit der Auflösung in seinem Urteil vom 28. Juni 1974 bestätigt habe.
II.
Mit ihrer am 21. März 1994 beim Bundesverfassungsgericht gegen § 14 Neugliederungsgesetz eingelegten Kommunalverfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG. Die Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG stehe ihrer Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Zwar eröffneten Art. 123 SVerf, § 55 Abs. 2 VGHG den Gemeinden die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes. Aufgrund der Entscheidungspraxis des Verfassungsgerichtshofs sei aber ein effektiver Rechtsschutz gegen Auflösungsakte nicht gewährleistet, weil nach Ablauf der Beschwerdefrist mangels Beteiligtenfähigkeit nicht mehr gerügt werden könne, daß sich die gesetzgeberischen Prognosen im nachhinein als falsch herausgestellt hätten.
III.
Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 688/92 -, NVwZ 1994, S. 58 f.).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.
a) Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist nach § 91 Satz 2 BVerfGG ausgeschlossen, soweit eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach dem Recht des Landes beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann. § 91 Satz 2 BVerfGG verlangt, anders als § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, nicht bloß die vorgängige Erschöpfung des Rechtswegs. Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist vielmehr generell ausgeschlossen, wenn der Rechtsweg zu den Landesverfassungsgerichten eröffnet ist. Auf die prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs beim Landesverfassungsgericht kommt es nicht an. Die Gemeinden sind insofern auf das Verfahrensrecht des Landes verwiesen (vgl. Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 688/92 -, NVwZ 1994, S. 58 f.).
b) Das Verfahrensrecht des Saarlandes in der Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof des Saarlandes schließt die Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Auflösungsakte von Gemeinden nicht grundsätzlich aus. Gegen die durch § 14 Satz 1 Neugliederungsgesetz bewirkte Auflösung der Beschwerdeführerin war vielmehr grundsätzlich die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 123 SVerf, § 55 Abs. 2 VGHG zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes statthaft. Die Beschwerdeführerin hat dieses Rechtsmittel auch in Anspruch genommen und mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 28. Juni 1974 eine Entscheidung in der Sache erlangt. Daneben ist gemäß § 91 Satz 2 BVerfGG für eine Kommunalverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wegen desselben Beschwerdegegenstands kein Raum mehr.
Die generelle Sperrwirkung des § 91 Satz 2 BVerfGG bleibt auch davon unberührt, daß der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes die weitere Verfassungsbeschwerde vom 22. Oktober 1991 mangels Beteiligtenfähigkeit als unzulässig verworfen hat, weil die Auflösung der Beschwerdeführerin durch eine frühere Entscheidung bereits bestätigt worden war. Dies betrifft allein die prozessuale Ausgestaltung des an sich statthaften landesverfassungsrechtlichen Rechtsmittels und die Anwendung des einschlägigen Landesverfahrensrechts im Einzelfall.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach | Winter | Hassemer |