BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2055/97 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M...
Schützallee 16, Berlin -
gegen a) | den Beschluß des
Kammergerichts vom 2. September 1997 - 1 W 6182/97 -, |
b) | den
Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 1997 - 16 O 457/96 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
am 20. September 1999 einstimmig beschlossen:
Der Beschluß des Kammergerichts vom 2.
September 1997 - 1 W 6182/97 - und der
Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 17.
Juli 1997 - 16 O 457/96 - verletzen den Beschwerdeführer in
seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das
Landgericht zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen
Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Tragung von Gerichtskosten durch eine im Zivilrechtsstreit teilweise unterlegene Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist.
I.
1. Dem Beschwerdeführer wurde als Beklagtem in einem Rechtsstreit Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt. Das Landgericht gab der Klage durch Urteil teilweise statt, die Kosten des Rechtsstreits wurden gegeneinander aufgehoben. Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluß setzte das Gericht die von dem Beschwerdeführer an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.252,50 DM fest. Dieser Betrag entspricht der Hälfte des von dem Kläger bei Klageerhebung eingezahlten Gerichtskostenvorschusses.
Das Kammergericht wies die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet zurück: Der Kläger habe trotz Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den Beklagten keinen Anspruch gegen die Justizkasse auf Rückzahlung der dem Beklagten nach der Kostenentscheidung des Urteils zur Hälfte zu Last fallenden Gerichtskosten. Vielmehr stehe dem Kläger gegen den Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe der Hälfte der von ihm gezahlten und der Justizkasse verbleibenden Gerichtskosten nach § 123 ZPO zu. Hieran ändere auch die Bestimmung des § 58 Abs. 2 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) nichts. Diese Bestimmung betreffe lediglich noch zu zahlende, nicht aber bereits entrichtete Gerichtskosten. Auch eine analoge Ausdehnung des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG sei nicht möglich. Der Gesetzgeber habe bei früheren Änderungen des Gerichtskostengesetzes darauf verzichtet, eine entsprechende weitergehende Regelung klarstellend aufzunehmen, obwohl ihm das Problem bekannt gewesen sei. Diese Auslegung sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, die Gerichte hätten verkannt, daß zwei inhaltlich gleich zu behandelnde Fälle, nämlich die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe einerseits für den Kläger und andererseits für den Beklagten, willkürlich ungleich behandelt würden. Während der unterliegende Kläger als arme Partei nie Gerichtskosten zahlen müsse, habe der unterliegende mittellose Beklagte die Gerichtskosten in Form eines Rückerstattungsanspruchs des Klägers zu tragen. Die Auslegung der § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG, §§ 122, 123 ZPO gebiete im Lichte der Verfassung eine Gleichbehandlung dieser Fälle. Das Kammergericht habe sich nicht mit der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers hinsichtlich der historischen Entwicklung des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auseinandergesetzt und insoweit den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
3. Das Bundesministerium der Justiz, die Berliner Senatsverwaltung für Justiz sowie der Kläger des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 99, 129 <139>; Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 1999 - 1 BvR 984/89 -).
1. Abgesehen von den unsubstantiierten Rügen einer Verletzung der Art. 103 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG, die nicht den nach §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellenden Mindestanforderungen genügen, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.
2. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden keine Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt vielmehr auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 99, 129 <139>).
b) Im Ausgangsverfahren haben die Gerichte § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG dahingehend ausgelegt, daß sich die Vorschrift nur auf im Zeitpunkt der Kostenentscheidung noch nicht bezahlte Gerichtskosten bezieht, nicht aber auf von dem Prozeßgegner der mittellosen Partei bereits verauslagte Gerichtskosten. Diese Auslegung entspricht einer gefestigten Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Rpfleger 1989, S. 376; OLG Hamm, MDR 1994, S. 104; OLG Düsseldorf, MDR 1997, S. 106 f.). Sie führt jedoch zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von mittellosen Klägern und Beklagten, denen Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist.
aa) Ein unbemittelter Kläger, dem Prozeßkostenhilfe (ohne Zahlungsanordnung nach § 120 ZPO) bewilligt worden ist, muß selbst dann, wenn er den Prozeß verliert und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, regelmäßig keine Gerichtskosten zahlen. Dem Prozeßgegner (Beklagten) muß er keine Gerichtskosten erstatten, weil dieser insoweit keinen Erstattungsanspruch nach § 123 ZPO hat. Denn der Beklagte ist gemäß § 122 Abs. 2 ZPO von der Zahlung der Gerichtskosten grundsätzlich befreit und wird vom Staat gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auch nicht als Zweitschuldner in Anspruch genommen. Der Staatskasse muß der Kläger keine Gerichtskosten zahlen, weil er nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a ZPO von der Zahlung befreit ist.
Demgegenüber muß ein unbemittelter Beklagter, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, nach der von den Gerichten im Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung im Unterliegensfall die Gerichtskosten tragen. In dieser Konstellation ist der (bemittelte) Kläger verpflichtet, die mit Einreichung der Klage fällige Gebühr für das Verfahren im allgemeinen (§§ 61, 65 GKG) sowie gegebenenfalls im Laufe des Rechtsstreits anfallende weitere Auslagenvorschüsse, insbesondere für Zeugen und Sachverständige (§§ 402, 379 Satz 2 ZPO, § 68 GKG), zu zahlen, weil § 122 Abs. 2 ZPO in diesem Fall nicht gilt. Obsiegt der Kläger, hat er nach der herrschenden Auffassung, die § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nur auf noch nicht bezahlte Kosten anwendet, keinen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich der bereits verauslagten Kosten. Die Erstattungspflicht des Beklagten nach § 123 ZPO umfaßt deshalb auch diese Zahlungen.
bb) Zwischen einem unbemittelten Kläger und einem unbemittelten Beklagten bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vielmehr lassen sich für die vorgenommene Differenzierung keine tragfähigen sachlichen Gründe finden. Insbesondere kann das Anliegen, eine mutwillige Prozeßführung oder Manipulationen zu Lasten der Staatskasse zu verhindern, die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen (vgl. den Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1999 - 1 BvR 984/89 -, Umdruck S. 7 ff.).
cc) Die ungerechtfertigte Schlechterstellung des mittellosen Beschwerdeführers gegenüber einem mittellosen Kläger hätten die Gerichte im Wege der verfassungskonformen Auslegung von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG vermeiden müssen.
Der Wortlaut von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG steht einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, daß auch die bereits vom Kläger verauslagten Gerichtskosten von der Vorschrift erfaßt werden, nicht entgegen. § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG bestimmt, daß die Haftung eines anderen Kostenschuldners (durch die Staatskasse) nicht geltend gemacht werden soll, soweit einem Kostenschuldner, der auf Grund von § 54 Nr. 1 GKG (als Entscheidungsschuldner) haftet, Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist. Die Vorschrift unterscheidet mithin nicht zwischen Gerichtskostenansprüchen der Staatskasse, die vor oder nach der Kostenentscheidung geltend gemacht werden.
Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich nicht zwingend, daß die bereits verauslagten Gerichtskosten von § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG nicht erfaßt sein sollen. Vielmehr spricht die Gesetzesbegründung dafür, daß der Gesetzgeber mit § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG den Schutz der mittellosen Partei umfassend ausgestalten wollte (vgl. BTDrucks 7/2016, S. 79).
Der verfassungskonformen Auslegung steht auch nicht entgegen, daß sie eine Rückerstattungspflicht der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem obsiegenden Kläger, dessen Prozeßgegner Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, bedingt. Aus der fehlenden gesetzlichen Regelung eines solchen Rückerstattungsanspruchs der obsiegenden Partei kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe sie ausschließen wollen. Insoweit fehlt es in den Gesetzgebungsmaterialien an einem hinreichenden Anhaltspunkt. Es ist deshalb von einer Regelungslücke auszugehen, die durch analoge Anwendung von § 2 Abs. 4 GKG mit der Anerkennung eines entsprechenden Rückerstattungsanspruchs geschlossen werden kann (vgl. den Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1999 - 1 BvR 984/89 -, Umdruck S. 9).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier | Grimm | Hömig |