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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2115/09 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn C...,
Maximiliansplatz 5, 80333 München -
gegen a) | die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 14. September 2009 - 15 Ausl A 623/09 -, |
b) | den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 - OLGAusl. 15 Ausl. A 623/09 (117/09) - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Broß,
Di Fabio
und Landau
am 9. Oktober 2009 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 - OLGAusl. 15 Ausl. A 623/09 (117/09) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit in ihm die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung für zulässig erklärt wird. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.
Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 14. September 2009 - 15 Ausl. A 623/09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Bewilligungsentscheidung wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen die Auslieferung des Beschwerdeführers aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Griechenland zum Zwecke der Strafverfolgung.
I.
Der Beschwerdeführer besitzt die deutsche und die griechische Staatsangehörigkeit. Er soll zur Strafverfolgung an die Republik Griechenland ausgeliefert werden und befindet sich seit dem 25. Juni 2009 in Auslieferungshaft. Von griechischen Behörden sind seit Ende Mai 2009 bislang drei Europäische Haftbefehle gegen den Beschwerdeführer erlassen worden.
Zunächst ersuchte die Republik Griechenland auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls vom 21. Mai 2009 um die Auslieferung des Beschwerdeführers. Dieses Auslieferungsverfahren, das bereits Gegenstand einer früheren erfolgreichen Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers war (Az. 2 BvR 1826/09), betraf ein Strafverfahren wegen der Einflussnahme auf Mitarbeiter der griechischen Fernmeldeorganisation O... im Zeitraum zwischen dem 13. Februar 1998 und September 2003. Die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts München vom 10. August 2009 hob das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. September 2009 auf, im Wesentlichen wegen verfassungswidriger Anwendung von Verjährungsvorschriften durch das Oberlandesgericht.
Die nunmehr vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 und der Generalstaatsanwaltschaft München vom 14. September 2009 betreffen die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen vom 29. Juni 2009. Dieser bezieht sich auf einen ganz anderen Tatkomplex als der Europäische Haftbefehl des Vormonats, nämlich den Vorwurf eines Eingehungsbetrugs im Zeitraum zwischen 2002 und dem 19. Mai 2003 bei Vertragsabschluss über das zentrale Sicherheitssystem der Olympischen Spiele in Athen 2004. Bei diesem sogenannten „C4I“-Sicherheitssystem handelt es sich um ein integriertes Verwaltungs-, Kontroll-, Kommunikations- und Harmonisierungssystem. Der Beschwerdeführer habe als Geschäftsführer der S... Hellas A.E., einer Tochtergesellschaft der S... AG, bei Abschluss eines Vertrages zwischen der S..., einem US-amerikanischen Sicherheitstechnologiekonzern mit weltweit etwa 45.000 Beschäftigten, und dem griechischen Staat über das Sicherheitssystem der Olympischen Spiele in Athen 2004 - in Mittäterschaft mit unbekannten Personen der S... - einen Eingehungsbetrug zu Lasten des griechischen Staates begangen. Konkretisiert wird der Vorwurf damit, dass der Beschwerdeführer in Mittäterschaft mit unbekannten Mittätern der S... den für die Auftragsvergabe zuständigen Organe der griechischen öffentlichen Hand gegenüber dargestellt habe, dass sowohl die Liefergesellschaft S... als auch die Gesellschaft S... Hellas A.E. die Möglichkeit besäßen, das Sicherheitssystem „C4I“ für die Olympischen Spiele von Athen für den vollständigen Gebrauch innerhalb einer Frist von zwölf Monaten fertig zu stellen. Hierdurch seien die zuständigen Organe der griechischen öffentlichen Hand überzeugt worden, obige Gesellschaften mit der Lieferung des Sicherheitssystems „C4I“ für die Olympischen Spiele mit dem am 19. Mai 2003 geschlossenen Vertrag zu beauftragen. Die Darstellung des Beschwerdeführers gegenüber den für die Erteilung des Auftrags zuständigen Organen der griechischen öffentlichen Hand seien jedoch zur Gänze falsch gewesen, da die genannten Gesellschaften in Wirklichkeit nicht die Möglichkeit besessen hätten, die für die Erfüllung des Vertrages erforderlich gewesen wären. Die griechische öffentliche Hand habe das Sicherheitssystem „C4I“ bis zum heutigen Tage nicht erhalten, auch wenn sie den Vertragspreis sowohl an die Gesellschaft S... als auch an die Gesellschaft S... Hellas A.E. geleistet habe. Der dem griechischen Staat bereits entstandene oder in jedem Fall drohende Schaden belaufe sich auf den Vertragspreis gemäß dem Vertrag vom 19. Mai 2003 in Höhe von 254.999.000 €.
c) Der vorerst letzte Europäische Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer erging am 14. September 2009. Darin wird dem Verfolgten nunmehr ergänzend vorgeworfen, in der Zeit nach den Olympischen Spielen, das heißt vom 23. August 2004 bis zum 5. Dezember 2007, einen Betrug begangen zu haben, der sich auf die Vertragsabwicklung im Nachgang zu demjenigen Eingehungsbetrug beziehen soll, der bereits Gegenstand des vorliegenden zweiten Auslieferungsverfahrens ist. Der Tatvorwurf wird damit konkretisiert, dass der Beschwerdeführer zuständige Organe des griechischen Staates durch Täuschung dazu gebracht haben soll, nach den Olympischen Spielen den Kaufpreis für das „C4I“ System in Raten abzuzahlen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte am 4. August 2009, die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig zu erklären.
Auf Anforderung der Generalstaatsanwaltschaft München übermittelte das Public Prosecutor Office at the Court of Appeal of Athens am 7. und 14. August 2009 drei ergänzende Faxschreiben. Darin wird erläutert, dass nach der Durchführung der Olympischen Spiele Athen, im September 2004, mehrere Änderungen des ursprünglichen Vertrags zwischen den Parteien, also S... und der Republik Griechenland, vereinbart wurden. Übersandt wurde überdies ein „Verzeichnis der getätigten Zahlungen für das C4I-System für die olympische Sicherheit“.
Das Verzeichnis enthält unter anderem die Bemerkung:
Unsere Behörde hat nach dem Erhalt eines jeden Subsystems den entsprechenden Betrag von den Bürgschaftserklärungen freigegeben. Auf diese Art wurde der Betrag von 118.772.872,71 € freigegeben. Es wurde ein Betrag von 3.106.765,29 € nicht freigegeben, und zwar aufgrund von Minderungen bei den jeweiligen Subsystemen. Dieser Betrag wird nach der Bewilligung der Abnahme des Systems freigegeben.
Hinweise auf Zahlungen an die S... Hellas A.E. finden sich entgegen der Angaben im Europäischen Haftbefehl in der übersandten Aufstellung nicht. Auch die weitere Behauptung des Europäischen Haftbefehls, der Kaufpreis sei entrichtet worden, findet keine Bestätigung in der Aufstellung, vielmehr verweisen die griechischen Behörden auf umfangreiche Einbehalte gegenüber der vorleistungspflichtigen Firma S.... So erfolgte ausweislich der Aufstellung vom 11. August 2009 die Empfehlung der zuständigen Behörde, eine Minderung in Höhe von 3.106.765,29 € vorzunehmen, die nach Bewilligung der Abnahme auszuzahlen sei, und einen Betrag in Höhe von 36.900.810 € sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 26.093.423 € nicht zu entrichten, da Abzüge in Höhe von 21.466.551 € vorgeschlagen würden.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 7. September 2009 erklärte das Oberlandesgericht München die Auslieferung des Beschwerdeführers an die griechischen Behörden zur Strafverfolgung für zulässig und ordnete Auslieferungshaft an. Hierzu führte es im Wesentlichen aus:
Der dem Verfolgten zur Last gelegte Sachverhalt sei nach deutschem Recht nicht verjährt. Die von den griechischen Behörden vorgelegten Unterlagen belegten, dass die vereinbarten Vertragszahlungen bislang noch nicht vollständig geleistet worden seien. Die letzte Teilzahlung sei am 6. Juli 2008 erfolgt. Beim Betrug beginne die Verjährung nicht schon mit dem Zeitpunkt der ersten Vermögensverfügung, sondern erst mit der Erlangung des letzten von Vorsatz erfassten Vermögensvorteils. Der vorgeworfene Betrug sei damit keinesfalls verjährt. Der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen vom 29. Juni 2009 sei auch hinreichend konkret und genüge im Ergebnis den Anforderungen des § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG.
Die Generalstaatsanwaltschaft München bewilligte die Auslieferung des Beschwerdeführers unter dem 14. September 2009.
II.
Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München und die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München richtet sich die Verfassungsbeschwerde vom 14. September 2009. Mit Schriftsatz seiner anwaltlichen Vertreter vom 11. September 2009 beantragt der Beschwerdeführer zudem den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die beiden angegriffenen Entscheidungen in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Dabei greift er vor allem an, dass das Oberlandesgericht den Tatverdacht nicht geprüft habe, obwohl die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 IRG vorgelegen hätten. Das Oberlandesgericht München habe in der angefochtenen Entscheidung jegliche Auseinandersetzung mit Art. 16 Abs. 2 GG bei Auslegung verschiedener Vorschriften des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vermissen lassen und stattdessen die Anträge und Einwendungen des Beschwerdeführers mit willkürlich anmutenden Begründungen abgelehnt.
III.
Das Bundesministerium der Justiz und das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz haben Stellung genommen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden; das gilt sowohl für den willkürlichen Verzicht auf die Begründung einer Gerichtsentscheidung (vgl. BVerfGE 50, 287 <289>; 71, 122 <135 f.>; 81, 97 <106>) als auch für die Frage nach den Voraussetzungen einer Auslieferung deutscher Staatsangehöriger (BVerfGE 113, 273 ff.).
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen den Erlass des Auslieferungshaftbefehls richtet. Der Vortrag des Beschwerdeführers genügt den Darlegungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 BVerfGG nicht, da ihm keine substantiierte Begründung beigegeben ist.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung richtet, ist sie zulässig und begründet. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 verstößt gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.
Der verfassungsrechtliche Maßstab des Willkürverbots, an dem sich auch jede Gerichtsentscheidung messen lassen muss (vgl. BVerfGE 50, 287 <289>), verlangt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) - neben anderem - die Begründung einer Entscheidung jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 <135 f.>; 81, 97 <106>).
Begründungserfordernisse und Vorgaben für richterliche Sorgfalt folgen im Auslieferungsverfahrensrecht zudem unmittelbar aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Deutsche Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt (BVerfGE 113, 273 <292>). Das Verbot der Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16 Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote sind als Freiheitsrechte gewährleistet (BVerfGE 113, 273 <293>). Diese Grundsätze haben alle Stellen deutscher Staatsgewalt zu beachten. Sie sind für die Rechtsprechung maßstäblich, wenn auf der Grundlage eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden soll (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 2009 - 2 BvR 1826/09 -, juris).
Die sich daraus ergebenden Mindesterfordernisse an Art und Tiefe der Begründung richterlicher Entscheidungen im Auslieferungsverfahrensrecht sind vorliegend weder in rechtlicher - aa) - noch in tatsächlicher - bb) - Hinsicht erfüllt. Das Oberlandesgericht hat sich bei der verjährungsrechtlichen Prüfung des Tatvorwurfs nicht mit den einschlägigen innerstaatlichen Bestimmungen auseinandergesetzt, obwohl dies nach Lage des Falles geboten war. Überdies hat es als Darstellung im Europäischen Haftbefehl eine Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen worden sein soll (§ 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG), hingenommen, die zu unpräzise war, als dass auf dieser Grundlage eine dem hohen Rang des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG genügende gerichtliche Überprüfung möglich war.
Das Oberlandesgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen einer Verfolgungsverjährung gemäß § 9 Nr. 2 IRG zum Nachteil des Beschwerdeführers unter Hinweis auf eine „letzte Teilzahlung am 06.07.2008“ verneint, ohne nachvollziehbar zu begründen, weshalb Teilzahlungen aus dem Zeitraum nach 2004 für diese Frage von Bedeutung sein konnten. Einer Begründung fehlender Verfolgungsverjährung hätte es indes bedurft.
Die mögliche Verfolgungsverjährung ist ein zentraler Aspekt des vorliegenden Auslieferungsverfahrens. Daneben war sie bereits Gegenstand der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen die vorangegangene Auslieferungsentscheidung des Oberlandesgerichts München (Az. 2 BvR 1826/09). Auch die Generalstaatsanwaltschaft argumentierte im Hinblick auf die jetzt angegriffene zweite Auslieferungsentscheidung noch in ihrem Antrag vom 4. August 2009 zur Beurteilung der Strafverfolgungsverjährung nach deutschem Recht so, dass die Verjährung durch Handlungen der griechischen Strafverfolgungsbehörden, namentlich die Anordnung der Vernehmung beziehungsweise die erste Vernehmung am 18. April 2008, unterbrochen worden sei. Denn die Auslieferung sei auch dann zulässig, wenn die Tat im Inland zwar nicht mehr geahndet werden könne, die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates jedoch Handlungen vorgenommen hätten, die ihrer Art nach geeignet seien, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen. Demgemäß sei der in dem Europäischen Haftbefehl vom 29. Juni 2009 erhobene Betrugsvorwurf, wenn man auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 19. Mai 2003 abstelle, noch nicht verjährt. Diese Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3. September 2009 (Az. 2 BvR 1826/09) für verfassungsrechtlich unhaltbar erklärt.
Im Rahmen einer Auslegung von § 78a StGB, auf den § 9 Nr. 2 IRG verweist, ist kein rechtlich vertretbarer Aspekt ersichtlich, der die Annahme fehlender Inlandsverjährung stützen könnte. Der angegriffene Beschluss enthält gleichwohl nur folgende Ausführung zu diesem Problemkreis:
Der dem Verfolgten zur Last gelegte Sachverhalt ist nach deutschem Recht auch unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.09.2009, Az. 2 BvR 1826/09, nicht verjährt.
Die von den griechischen Behörden vorgelegten Unterlagen belegen, dass die vereinbarten Vertragszahlungen bislang noch nicht vollständig geleistet worden sind, die letzte Teilzahlung erfolgte am 06.07.2008. Beim Betrug beginnt die Verjährung nicht schon mit dem Zeitpunkt der ersten Vermögensverfügung, sondern erst mit der Erlangung des letzten vom Tatvorsatz erfassten Vermögensvorteils (Fischer, StGB, § 78a, Rdz. 8). Der vorgeworfene Betrug ist damit keinesfalls verjährt.
Nach § 78a StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung zu diesem Zeitpunkt. Ob eine Zahlung, die nach 2004 erfolgt ist, ein „zum Tatbestand gehörender Erfolg“ ist, hätte das Oberlandesgericht begründen müssen. Namentlich die durch die griechischen Behörden ergänzend vorgelegten Unterlagen werfen die Frage auf, ob die geleisteten Zahlungen überhaupt in Erfüllung des durch den Europäischen Haftbefehl vom 29. Juni 2009 inkriminierten Vertrages vom 19. Mai 2003 erfolgt sind. Ohne eine Begründung des Oberlandesgerichts erschließt sich dies jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Ausweislich der Mitteilung der griechischen Behörden erfolgte die letzte Zahlung auf den geänderten Vertrag am 30. Dezember 2008, mithin etwa achteinhalb Monate nach der behaupteten Beschuldigtenvernehmung des Beschwerdeführers, er habe gemeinsam mit der S... einen Eingehungsbetrug bei Abschluss des Vertrages begangen.
Überdies lässt der Beschluss jede Auseinandersetzung damit vermissen, ob ein betrugsrelevanter, für die Verjährung maßgeblicher Schaden eingetreten ist. Das Oberlandesgericht übergeht insbesondere die verjährungsrechtlichen Folgen einer Vertragsnovation und den Umstand, dass offenbar jeweils Sicherheiten durch die S... in gleicher Höhe gestellt wurden.
Es hätte einer Begründung bedurft, inwieweit die nach der Vertragsänderung erfolgten Teilzahlungen aufgrund der vor dem Abschluss des ursprünglichen Vertrages liegenden Täuschung und nicht nur aufgrund späterer neu hinzutretender vertraglicher Abreden geleistet wurden. Zu begründen gewesen wäre auch, inwiefern eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung nach Abschluss der Olympischen Spiele vorgenommen worden sein könnte, obwohl den griechischen Behörden ausweislich des Europäischen Haftbefehls doch spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass das angebliche Leistungsversprechen bis zu den Olympischen Spielen nicht eingehalten wurde.
Eine Verletzung des Willkürverbots liegt überdies im Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit den verjährungsrechtlichen Folgen der offenbar gestellten Sicherheiten. Das Oberlandesgericht hätte insbesondere ausführen müssen, weshalb es verjährungsrechtlich einen Vermögensschaden annehmen durfte, obwohl dem Vertragspartner zur Sicherung seines Rückzahlungsanspruchs eine werthaltige Sicherheit gestellt wurde. Denn die von den griechischen Behörden vorgelegten Zahlungsaufstellungen dokumentieren für den Zeitraum zwischen dem 20. Juni 2003 und dem 22. Mai 2005, dass das Unternehmen S... für jede Vorauszahlung - in einer Gesamthöhe von 121.879.638,00 € - eine entsprechend hohe Bürgschaftserklärung beim Ministerium für Nationale Verteidigung eingereicht hat.
Der angegriffene Beschluss unterschreitet das nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Mindestmaß richterlicher Begründungstiefe auch dadurch, dass er eine zu unpräzise Darstellung des Tatvorwurfs im Europäischen Haftbefehl hinnimmt. Eine Überprüfung des konkreten Auslieferungsersuchens, die dem hohen Rang des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG genügt, war auf der vorliegend vom Oberlandesgericht München akzeptierten Tatsachengrundlage unmöglich.
Erst die Vollständigkeit und Bestimmtheit der Auslieferungsunterlagen eröffnen die Möglichkeit einer dem betroffenen Grundrecht angemessenen gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfGE 113, 273 <315>). Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die hinreichend präzise Beschreibung derjenigen Umstände, unter denen die Straftat begangen worden sein soll. Zu den zu konkretisierenden Tatumständen zählen insbesondere Tatzeit, Tatort und Tatbeteiligung der gesuchten Person (§ 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG). Anforderungen an die Schilderung des historischen Sachverhalts hängen zwar von Besonderheiten des konkreten Falles ab. Der Tatvorwurf muss aber wenigstens so präzise konkretisiert sein, dass eine Subsumtion unter den jeweiligen Straftatbestand vorgenommen werden kann und die gerichtliche Nachprüfung von Auslieferungshindernissen und -voraussetzungen möglich wird (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß <Hrsg.>, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Kommentar, 3. Aufl., Bd. II, § 83a Rn. 8 <Februar 2008>). Namentlich der Grundsatz der Spezialität, dessen Beachtung im Auslieferungsverfahren tatsächlich und rechtlich gewährleistet sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Februar 1995 - 2 BvR 185/95 -, NJW 1995, S. 1667), setzt eine hinreichend präzise Bezeichnung der Tat voraus, weil er andernfalls ins Leere greift.
Diesen Anforderungen genügen die Auslieferungsunterlagen nicht. Sie schildern lediglich in allgemeiner Weise das Vorliegen von Geschäftsbeziehungen, ergänzt um die Behauptung, es habe in diesem Zusammenhang ein betrugsrelevantes Verhalten des Verfolgten zum Nachteil der griechischen öffentlichen Hand gegeben. Die Umstände der vorgeworfenen Täuschungshandlung werden ebensowenig konkretisiert wie diejenigen der Vermögensverfügung und des Schadens, für den lediglich eine Obergrenze angegeben wird. Der Tatvorwurf ist in dieser Form nicht unter deutsches Strafrecht subsumierbar. Der Europäische Haftbefehl verhält sich überdies lediglich fragmentarisch zu dem Zeitraum zwischen 2002 und dem 19. Mai 2003, mithin nicht zu den verjährungsrechtlich im vorliegenden Fall entscheidenden Aspekten des Tatvorwurfs. Soweit das Oberlandesgericht München seinem Beschluss auch noch die ergänzend erfragten Mitteilungen der griechischen Behörden über „eventuelle Zahlungen zur Erfüllung des im Europäischen Haftbefehl genannten Vertrags“ zugrunde legt, führen auch diese keine hinreichende Konkretisierung des Tatvorwurfs herbei. In welchem Kontext die Zahlungen vorgenommen wurden, bleibt unklar. Ob die Zahlungen einen strafrechtlich relevanten Vermögensschaden im Sinne des Betrugstatbestands darstellen, kann daher nicht beantwortet werden.
Auf welchem Weg das Oberlandesgericht zu seiner Ansicht gelangen konnte, der Haftbefehl gehe ersichtlich von einer gemeinschaftlichen Tatbegehung des Verfolgten zusammen mit weiteren leitenden Mitarbeitern der Firma S... aus und beschreibe im Folgenden die näheren Umstände der dem Verfolgten zur Last gelegten Tat, ist nicht nachvollziehbar. Den Versuch einer Subsumtion unter § 263 StGB unternimmt das Oberlandesgericht selbst nicht. Seine Ausführungen muten bisweilen so an, als ob es - anstelle der Prüfung eines konkretisierten Tatvorwurfs - lediglich kontrollieren möchte, ob die Sachverhaltsschilderung des Europäischen Haftbefehls einer möglichen Strafbarkeit des Verfolgten entgegensteht. So lässt der angegriffene Beschluss den Hinweis genügen, der Vorwurf des Betrugs bei Abschluss beziehungsweise Eingehung des Vertrags sei auch nicht dadurch entfallen, dass es in der Folge zu gewissen Vertragsanpassungen oder Vertragsänderungen gekommen sei. Ebenso wenig ließen die im Laufe der Ausführung erfolgten Teilabnahmen und entsprechenden Teilzahlungen den geschilderten Betrugsvorwurf entfallen, da diese entsprechend dem Tatplan eingetreten seien.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 beruht auf den dargelegten Grundrechtsverstößen. Es ist davon auszugehen, dass das Gericht bei hinreichender Beachtung der verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 14. September 2009 verletzt den Beschwerdeführer insofern in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG als sie die bereits durch den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 eingetretene Grundrechtsverletzung bestätigt und vertieft.
V.
Da der angegriffene Beschluss vom 7. September 2009 den Beschwerdeführer bereits in seinen Rechten aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, kann die Frage, ob auch die anderen vom Beschwerdeführer gerügten Grundrechtsverletzungen vorliegen, unbeantwortet bleiben.
VI.
Der Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Dabei erscheint es angezeigt, die Sache an ein anderes Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Verweisung an das Oberlandesgericht Bamberg beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 4, 412 <424>; 12, 113 <132>; 107, 104 <133>).
Im Rahmen der neuen Entscheidung wird unter Beachtung des Grundrechts auf Auslieferungsschutz gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG - neben einer angemessenen Konkretisierung des Tatvorwurfs und der willkürfreien Untersuchung einer etwaigen Verfolgungsverjährung - zu prüfen sein, ob eine Tatverdachtsprüfung gemäß § 10 Abs. 2 IRG nötig ist. Zuvörderst wird dabei als Ausprägung der grundrechtlichen Schutzpflicht eine vollständige Auswertung der bereits vorliegenden Aktenbestandteile - unter Einschluss auch der den Beschwerdeführer entlastenden Dokumente - geboten sein. Daneben wird sich der neue Beschluss bei der Frage nach einer möglicherweise erforderlichen Tatverdachtsprüfung aber auch mit dem bisherigen Ablauf des Auslieferungsverfahrens auseinanderzusetzen haben, insbesondere mit dem besonderen Umstand, dass in einem sehr komplexen Verfahren nur wenige Tage nach der Festnahme des Beschwerdeführers und dem Bekanntwerden von verjährungsrechtlichen Problemen bei dessen Auslieferung ein ganz anderer Haftbefehl erlassen wurde, dem dann am 14. September 2009 nochmals ein neuer - dritter - Haftbefehl an die Seite gestellt wurde.
VII.
Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
VIII.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 Alternative 1 BVerfGG.
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