BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2227/08 -
- 2 BvR 2228/08 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. der Frau W...,
2. des Herrn W...
gegen | das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. September 2008 - VI R 63/04 - |
- 2 BvR 2227/08 -,
1. des Herrn Dr. B...,
2. der Frau Dr. H...
gegen | das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. September 2008 - VI R 13/06 - |
- 2 BvR 2228/08 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Osterloh
und die Richter Mellinghoff,
Gerhardt
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 26. Juli 2010 einstimmig beschlossen:
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>). Die Beschwerdeführer werden durch die gemäß § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes - EStG - normierte Steuerbefreiung der nach den Abgeordnetengesetzen des Bundes und der Länder gewährten Abgeordnetenpauschalen nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Der Bundesfinanzhof hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 12 EStG auf die Beschwerdeführer anzuwenden. Nichtselbständig tätige Steuerpflichtige werden dadurch, dass § 3 Nr. 12 EStG die Aufwandsentschädigung, die Bundes- und Landtagsabgeordnete monatlich als Pauschale erhalten, steuerfrei stellt, hinsichtlich der steuerlichen Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen nicht verfassungswidrig benachteiligt.
1. Die - gegebenenfalls - bestehende steuerliche Begünstigung der Abgeordneten ist aufgrund der - auch verfassungsrechtlich geschützten - besonderen Stellung des Abgeordnetenmandats dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt:
a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfGE 110, 412 <431>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (stRspr; vgl. BVerfGE 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>). Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (stRspr; vgl. BVerfGE 112, 164 <174>; 122, 210 <230>). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (stRspr; vgl. BVerfGE 105, 73 <111>; 107, 27 <45 f.>; 112, 268 <279>; 122, 210 <230>).
b) Nach diesen Grundsätzen verstößt die Besteuerung der Beschwerdeführer nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG:
aa) Die Beschwerdeführer beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG. Für berufsbedingte Aufwendungen stehen ihnen nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG der Arbeitnehmerpauschbetrag und bei entsprechendem Nachweis ein höherer Werbungskostenabzug hinsichtlich der tatsächlich entstandenen Aufwendungen nach § 9 EStG zu. Dies entspricht dem der Einkommensteuer zugrunde liegenden Nettoprinzip, nach dem nur das „Nettoeinkommen“ - die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen - besteuert wird. Die - pauschale - steuerliche Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen nach § 9a EStG ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. BVerfGE 96, 1).
bb) Die von der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger, weisungsgebundener Arbeit abweichende einkommensteuerliche Berücksichtigung von „beruflich“ bedingten Aufwendungen eines parlamentarischen Mandatsträgers ist dem Grunde nach durch die besondere Stellung der Abgeordneten hinreichend sachlich begründet.
Abgeordnete „schulden“ in Abgrenzung zu Arbeitnehmern rechtlich keine Dienste, sondern nehmen in Freiheit ihr Mandat wahr (vgl. BVerfGE 76, 256 <341> betreffend den Vergleich mit Beamten). Der Abgeordnete entscheidet grundsätzlich frei und in ausschließlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Wähler über die Art und Weise der Wahrnehmung seines Mandats (vgl. BVerfGE 118, 277 <336 f.>); dies betrifft auch die Frage, welche Kosten er dabei auf sich nimmt. Die pauschale Erstattung dieser Aufwendungen soll Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden, die beim Einzelnachweis mandatsbedingter Aufwendungen dadurch aufträten, dass die Aufgaben eines Abgeordneten aufgrund der Besonderheiten des Abgeordnetenstatus nicht in abschließender Form bestimmt werden könnten (vgl. „Zweites Gutachten zur Neuregelung der Diäten der Mitglieder des Bundestages“ des Beirates für Entschädigungsfragen beim Präsidium des Deutschen Bundestages, BTDrucks 7/5531, S. 32, 44). Sie wird nach § 12 des Abgeordnetengesetzes - AbgG - des Bundes beziehungsweise § 6 AbgG des Landes Baden-Württemberg zweckgebunden ausschließlich für mandatsbedingte Aufwendungen gewährt. Ihr Charakter entspricht weniger einer Werbungskostenpauschale als eher einem pauschalierten Auslagenersatz für Kosten, deren tatsächlicher Anfall vermutet wird.
Wie der Bundesfinanzhof in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Entscheidungen zu Recht ausführt, dient auch die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung der Vereinfachung und der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten, da die Besteuerung der Kostenpauschale und die Geltendmachung der mandatsbezogenen Aufwendungen als Werbungskosten entfallen (vgl. v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Bd. 3, § 3 Rn. B 12/32). Da auch nicht offensichtlich ist, dass die Abgeordnetenentschädigung bereits im Kern nicht tatsächlich entstandenen Aufwand ausgleicht (vgl. BVerfGE 99, 280 <290 ff.>), ist danach eine abweichende steuerliche Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung eines Abgeordneten gegenüber den Erwerbsaufwendungen bei nichtselbständiger Arbeit dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt.
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Höhe der Abgeordnetenentschädigung richten, fehlt es bereits am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidungserforderlichkeit der Frage, ob die Steuerbefreiung der Abgeordnetenentschädigung der Höhe nach verfassungsmäßig ist, zutreffend verneint, denn insoweit könnten die Beschwerdeführer auch im Fall der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entschädigungsregelung mangels Entscheidungserheblichkeit im Ausgangsverfahren ihre Rechtsposition nicht verbessern.
Soweit im Steuerrecht Steuerbefreiungen, Steuerentlastungen oder sonstige steuerliche Begünstigungen nur bestimmten Personen oder Gruppen gewährt werden, stellt sich häufig die Frage, ob eine solche Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Liegt ein Gleichheitsverstoß vor, ist in der Regel eine bloße Erklärung der Verfassungswidrigkeit geboten, weil der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Auch um der Gefahr zu begegnen, dass die Gerichte und letztlich das Bundesverfassungsgericht durch ihre Einschätzung in den Bereich der Gesetzgebung übergreifen, ist daher jedenfalls in den Fällen, in denen die Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm geltend gemacht wird, die nur bestimmte Personen oder Gruppen begünstigt, für die Entscheidungserheblichkeit darauf abzustellen, ob es ausgeschlossen ist, dass der Gesetzgeber eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung verabschiedet. Die Entscheidungserheblichkeit fehlt, wenn der Gesetzgeber an der Schaffung einer für den Kläger günstigeren Regelung aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen sachlichen Gründen gehindert ist (vgl. BVerfGE 121, 108 <115 f.> m.w.N.). Dies ist aus den vom Bundesfinanzhof genannten Gründen vorliegend der Fall. Wäre die Abgeordnetenpauschale der Höhe nach verfassungswidrig, könnte die in Bezug auf die Abgeordnetenpauschale gewährte Steuerfreiheit auch den Beschwerdeführern nicht gewährt werden.
Von einer weiteren Begründung wird nach
§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Osterloh | Mellinghoff | Gerhardt |