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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1361/13 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F …, |
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte a o b,
Gustav-Schickedanz-Straße 10, 90762 Fürth -
gegen |
a) |
den Beschluss des Landgerichts München I vom 21. Mai 2013 - 8 Qs 14/12 -, |
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts München vom 21. März 2012 - I Gs 2605/12 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 11. Januar 2016 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landgerichts München I vom 21. Mai 2013 - 8 Qs 14/12 - und der Beschluss des Amtsgerichts München vom 21. März 2012 - I Gs 2605/12 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes.
- Der Beschluss des Landgerichts München I vom 21. Mai 2013 - 8 Qs 14/12 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten an das Landgericht München I zurückverwiesen.
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Durchsuchung seiner Wohnung. Diese erfolgte bei dem Beschwerdeführer als Drittem gemäß § 103 StPO zur Auffindung eines Banners einer Fangruppierung eines Fußballvereins als Beweismittel.
1. Einer Fangruppierung eines Fußballvereins in A. wurde ein regelmäßig im Stadion aufgehängtes Banner entwendet. Die seitens der Staatsanwaltschaft aufgenommenen Ermittlungen wegen Raubes führten zu Hinweisen, dass das Banner nunmehr im Besitz einer Fangruppierung eines anderen Vereins aus B. sei. Im Zuge der Ermittlungen vermerkte der ermittelnde Staatsanwalt, dass ihm kürzlich eine Person, mit der er über das Verschwinden des Banners gesprochen habe, mitgeteilt habe, sie habe gehört, dass sich das Banner bei der Ultragruppierung C. aus B. befinde und die dritte Person dieses dort gesehen habe. Die Person habe wegen befürchteter Racheakte höchsten Wert darauf gelegt, dass ihr Name nicht in den Akten auftauche. Dies habe er zugesichert. Die mitteilende Person schätzte er als sehr vertrauenswürdig ein.
Auf Anforderung der Staatsanwaltschaft gab die Polizei in B. eine anlassbezogene Beschreibung der Ultra-Szene in B. ab. Diese bestehe aus zwei Fangruppierungen. Die kleinere Gruppierung C. habe sich 2010 nach Differenzen in der Führungsebene von der größeren Gruppierung abgespalten. Ihr würden circa 80 bis 100 Personen zugerechnet, von denen circa 40 Mitglieder als gewaltbereit beziehungsweise -geneigt und circa 20 Mitglieder als gewaltsuchend kategorisiert würden. Nach polizeilichen Erkenntnissen habe sich der Beschwerdeführer nach der Abspaltung als Kopf der Gruppe C. herauskristallisiert, und es werde davon ausgegangen, dass er weiterhin eine Führungsposition innehabe. Aus der Szene sei zu hören, dass das Banner im Besitz der Ultra-Szene des Vereins aus B. sei. Es sei jedoch unbekannt, in wessen Besitz sich das Banner befinde. Es werde vermutet, dass es gut versteckt, aber jederzeit verwendbar sei und angenommen, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass eine der Führungskräfte einer Gruppierung das Banner in seinen Privaträumen bereithalte.
2. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht mit angegriffenem Beschluss gemäß § 103, § 105 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zur Auffindung des Banners als Beweismittel an. Es bestehe der Verdacht, dass die bislang unbekannten Täter das Banner zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt an die Ultra-Gruppierung C. übergeben hätten. Das Verhalten der Täter sei strafbar als Raub in Mittäterschaft gemäß § 249 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB. Der benannte Gegenstand könne als Beweismittel von Bedeutung sein. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen handele es sich bei dem Beschwerdeführer um den Gründer beziehungsweise die Führungspersönlichkeit der Ultra-Gruppierung C. Dies begründe den Verdacht, dass der bezeichnete Gegenstand in den angegebenen Räumlichkeiten des Beschwerdeführers aufgefunden werde.
3. Nach Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss ein. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab.
4. Mit angegriffenem Beschluss wies das Landgericht die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss zurück. Zwar seien für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung gemäß § 103 StPO das Vorhandensein konkreter Tatsachen und nicht nur Vermutungen erforderlich, dass sich der gesuchte Gegenstand in den Räumlichkeiten der selbst nicht beschuldigten dritten Person befinde. Die im Aktenvermerk des ermittelnden Staatsanwalts niedergelegte Mitteilung des nicht namentlich genannten Informanten enthalte jedoch keine Vermutungen des Informanten, sondern Umstände, die dieser von einem Augenzeugen erfahren habe. Danach sei das gesuchte Banner an die Ultra-Gruppierung C. übergeben worden und befinde sich nach wie vor bei dieser. Für die Frage, ob Tatsachen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung vorgelegen hätten, komme es nicht darauf an, ob der ermittelnde Staatsanwalt ein vom Behördenleiter für die Zusicherung der Vertraulichkeit besonders bezeichneter Staatsanwalt im Sinne von Ziffer 5.1 der Anlage D zur RiStBV gewesen sei. Zwar habe die mitteilende dritte Person nicht gewusst, wo genau sich das Banner befinde. Jedoch habe sich aus der anlassbezogenen Beschreibung der Ultraszene in B. ergeben, dass der Beschwerdeführer „der Kopf“ der Ultragruppierung C. gewesen sei. Die in der Beschreibung enthaltene Annahme, es sei eher unwahrscheinlich, dass das Banner bei Führungskräften der Ultra-Gruppierung gelagert werde, sei jedenfalls nicht zwingend. Vertretbar sei das Amtsgericht daher davon ausgegangen, dass ausreichende Tatsachen für die Annahme vorgelegen hätten, das Banner befinde sich in den Räumen des Beschwerdeführers. Auch seien die Ausführungen des Amtsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Anordnung nicht zu beanstanden. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer eine Führungspersönlichkeit der Ultra-Gruppierung gewesen sei, sei ein milderes - und gleichzeitig erfolgsversprechendes - Mittel als die Durchsuchungsanordnung nicht gegeben gewesen.
5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung seiner Rechte aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, des Rechtstaatsprinzips und des Grundsatzes des fairen Verfahrens. Der Durchsuchungsbeschluss bei dem nicht Verdächtigen sei ausschließlich auf die Behauptung einer namentlich unbekannten Person gegenüber einem Informanten der Staatsanwaltschaft gestützt worden, der nicht förmlich vernommen und belehrt worden sei und lediglich angegeben habe, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt bei einer vereinsähnlichen Gruppierung einen Gegenstand gesehen zu haben. Tatsachen aus denen hätte geschlossen werden können, dass der gesuchte Gegenstand bei dem Beschwerdeführer aufzufinden gewesen wäre, hätten nicht vorgelegen.
6. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof haben zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Die Ermittlungsakte hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 96, 44 <51 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.
1. a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10 -, juris, Rn. 56).
Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Anlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 <381 f.>; 59, 95 <97 f.>; BVerfGK 1, 126 <131>).
Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck verhältnismäßig sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>). Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 113, 29 <57>; 115, 166 <197>).
An eine Durchsuchung nach § 103 StPO bei einer nicht verdächtigen Person, die durch ihr Verhalten auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, sind besondere Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGK 1, 126 <132>). Konkrete Gründe müssen dafür sprechen, dass der gesuchte Beweisgegenstand in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann. Dies unterscheidet die Durchsuchung beim Unverdächtigen nach § 103 StPO von einer Durchsuchung bei einer verdächtigen Person nach § 102 StPO, bei der es bereits nach der Lebenserfahrung in gewissem Grade wahrscheinlich ist, dass Beweisgegenstände zu finden sind, die zur Prüfung des Tatverdachts beitragen können, und bei der durch die Verknüpfung des personenbezogenen Tatverdachts mit einem eher abstrakten Auffindeverdacht ein hinreichender Eingriffsanlass besteht (vgl. BVerfGK 1, 126 <132>; 15, 225 <241>).
b) Diesen Anforderungen wird der Durchsuchungsbeschluss nicht gerecht. Konkrete Gründe, die für ein Auffinden des Banners bei dem Beschwerdeführer sprachen, lagen nicht vor. Es kann insoweit dahinstehen, ob der durch den Staatsanwalt gefertigte Vermerk Grundlage für die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung sein konnte oder ob der Verwertung desselben verfahrensrechtliche Hindernisse entgegenstanden. Denn auch die in dem Vermerk niedergelegten Aussagen des Zeugen vom Hörensagen sind nicht geeignet, einen konkreten Auffindeverdacht zu begründen. Zwar sind die weiteren Einschätzungen in der von einem szenekundigen Beamten gefertigten anlassbezogenen Beschreibung, nach der das Banner gut versteckt, aber jederzeit verwendbar vermutet und es als eher unwahrscheinlich angenommen wird, dass eine der Führungskräfte das Banner in seinen Privaträumen aufbewahren würde, für das Gericht nicht bindend und die Erwägungen, mit denen das Landgericht diese Annahmen zurückgewiesen hat, zumindest verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ungeachtet dessen mangelt es jedoch an konkreten Tatsachen, die einen Auffindeverdacht hätten begründen können.
So hat der namentlich nicht benannte Informant angegeben, dass die ihm bekannte, namentlich ebenfalls nicht benannte dritte Person lediglich habe angeben können, dass sich das gesuchte Banner im Besitz der Ultra-Gruppierung C. befinde, ihr der Aufbewahrungsort jedoch nicht bekannt sei. Aus der polizeilichen anlassbezogenen Beschreibung der Ultra-Szene in B. lässt sich zugunsten eines Auffindeverdachts nur entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer bei der Abspaltung der Ultragruppe C. als führender Kopf der Gruppe herauskristallisiert habe und davon ausgegangen werde, dass er weiterhin eine Führungsposition innehabe. Die Annahme, dass sich das Banner bei ihm befinde, ist auf dieser Grundlage nicht mehr als eine Vermutung. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer zur mehrköpfigen Führungsriege der Ultragruppierung C. gehört, lässt sich auf die Entstehungsgeschichte der Ultragruppierung stützen. Zu dieser gehören nach polizeilichen Erkenntnissen jedoch auch circa 20 gewaltsuchende und 40 gewaltbereite beziehungsweise -geneigte Fans. Daraus ergibt sich eine erhebliche Anzahl an Personen, die potentiell in Betracht kommen, das Banner aufzubewahren oder versteckt zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass das Banner in einer Privatwohnung, bei einer Person der mehrköpfigen Führungsriege oder unabhängig davon bei dem Beschwerdeführer aufbewahrt wird, liegen nicht vor. Ein Verdacht für das Auffinden des Banners bei dem Beschwerdeführer lässt sich mithin nicht anhand von konkreten Tatsachen begründen.
2. Da die Verfassungsbeschwerde bereits aus den genannten Gründen Erfolg hat, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den weiteren gerügten Verfassungsverstößen nicht.
III.
Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts und die Entscheidung des Landgerichts, soweit sie den Durchsuchungsbeschluss zum Gegenstand hat, werden aufgehoben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird insoweit an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. dazu auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Huber | Müller | Maidowski | |||||||||