Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2681/20 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der D… GmbH & Co. KG, vertreten durch die S… GmbH & Co. KG, diese vertreten durch die R… GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführung, |
- Bevollmächtigte:
- … -
gegen |
a) |
den Berichtigungsbeschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts |
vom 3. November 2020 - 7 W 127/20 -, |
||
b) |
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts |
|
vom 29. Oktober 2020 - 7 W 127/20 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Paulus,
Christ
und die Richterin Härtel
am 11. Januar 2021 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2020 - 7 W 127/20 - in Form des Berichtigungsbeschlusses vom 3. November 2020 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Seine Wirksamkeit wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache oder bis zu einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg im Widerspruchsverfahren 324 O 385/20, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten ausgesetzt.
- Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
- Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
G r ü n d e :
I.
Die Verfassungsbeschwerde und der in Ergänzung gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richten sich gegen eine einstweilige Verfügung, die der Pressesenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts ohne Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Angelegenheit erlassen hat.
1. Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Gegendarstellungsansprüchen.
Die Beschwerdeführerin verantwortet eine Internetplattform. Am 11. September 2020 veröffentlichte sie auf dieser einen Artikel mit der Überschrift „[…] lobbyierte in China für […]“. In diesem Artikel wurde über die Lobbyaktivitäten einer vom Antragsteller des Ausgangsverfahrens gegründeten und geführten Firma berichtet. Der Artikel lautete auszugsweise:
„[…] sprach in Sachen […] nicht nur im Kanzleramt vor: Nach SPIEGEL-Informationen arrangierte der Ex-[…] auch Treffen von Managern in der deutschen Botschaft in Peking. […] Schon ein Jahr, bevor sich […] an […] wandte, kontaktierte ein hoher Vertreter seiner Firma […] den deutschen Botschafter in Peking, um ein Treffen mit […]-Managern zu arrangieren.“
2. Wegen dieser Berichterstattung forderte der Antragsteller des Ausgangsverfahrens die Beschwerdeführerin mit anwaltlichem Schreiben vom 15. September 2020 zu einer (Online-)Gegendarstellung hinsichtlich Teilen des oben wiedergegebenen Auszugs der Berichterstattung auf. In einem weiteren, ebenfalls gegen die angegriffene Berichterstattung gerichteten Unterlassungsschreiben, auf das der Antragsteller im Rahmen der Abmahnung Bezug nahm, führte er aus, es treffe zwar zu, dass sich Mitarbeiter seines Unternehmens entsprechend verhalten hätten, er selbst sei hieran jedoch weder beteiligt gewesen, noch habe er sich in irgendeiner Weise dazu verhalten. Aus der Meldung der Beschwerdeführerin ergebe sich jedoch, dass er selbst lobbyiert habe. Hierbei handele es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung. Eine darüber hinausgehende Begründung enthielt das dreiseitige Abmahnungsschreiben nicht.
Die Beschwerdeführerin lehnte die Veröffentlichung der Gegendarstellung mit Schreiben vom 16. September 2020 ab. Der Antragsteller trete einer Behauptung entgegen, die die streitgegenständliche Meldung nicht aufstelle. Für den verständigen und unvoreingenommenen Durchschnittsleser sei ohne weiteres erkennbar, dass die angegriffene Berichterstattung sich auf die dem Antragsteller als Gründer, Inhaber und Chairman obliegende Verantwortung für die Aktivitäten seiner Firma beziehe.
3. Mit Schriftsatz vom 23. September 2020 beantragte der Antragsteller beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung der Gegendarstellung zu verpflichten. Die Antragsschrift umfasste sieben Seiten. Hierin ging der Antragsteller unter anderem auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Rahmen ihres die Veröffentlichung der Gegendarstellung ablehnenden Schreibens vom 16. September 2020 ein, erwiderte darauf ausführlich und versuchte potentiellen Gegenargumenten der Beschwerdeführerin vorzugreifen.
a) Allein dem Antragsteller teilte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg mit gerichtlicher Verfügung vom 28. September 2020 mit, dass Bedenken gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung bestünden. Die Formulierung der angegriffenen Teile der Berichterstattung sowie der geforderten Gegendarstellung deuteten im Gesamtzusammenhang darauf hin, dass es sich um Meinungsäußerungen handele, die nicht gegendarstellungsfähig seien. Möglicherweise könne der Eindruck, dass der Antragsteller selbst tätig geworden sei, mit einer Gegendarstellung angegriffen werden. Es sei jedoch zweifelhaft, ob es sich um einen zwingenden Eindruck handele.
b) Daraufhin ließ der Antragsteller der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 drei modifizierte Versionen der Gegendarstellung zukommen. Das Schreiben umfasste fünf Seiten (davon drei Seiten Gegendarstellungen). Eine Veröffentlichung der ursprünglich zugeleiteten Gegendarstellung werde nicht weiter verlangt. Der geltend gemachte Anspruch werde als erfüllt angesehen, sofern die Beschwerdeführerin eine der drei neuen Fassungen der Gegendarstellung veröffentliche. Abgesehen von einer Bezugnahme auf das vorhergegangene Schreiben enthielt das Schreiben keine Begründung. Die Beschwerdeführerin lehnte in der Folge die Veröffentlichung der drei alternativen Gegendarstellungen ab.
c) Mit dem Ziel, die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung einer der drei neuen Fassungen seiner Gegendarstellung zu verpflichten, beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 bei der Pressekammer des Landgerichts Hamburg erneut, eine einstweilige Verfügung zu erlassen. In seinem – wiederum sieben Seiten umfassenden – Schriftsatz ging der Antragsteller auf die gerichtliche Verfügung vom 28. September 2020 ein und erwiderte auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrem erneuten Ablehnungsschreiben.
4. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2020 wies das Landgericht, das in den beiden Schriftsätzen vom 23. September und 8. Oktober 2020 einen einheitlichen Antrag sah, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Der ursprünglich vom Antragsteller geforderte Abdruck sei nicht gegendarstellungsfähig, da es sich um eine Meinungsäußerung handele. Da die angegriffene Berichterstattung nicht zwingend den Eindruck vermittele, der Antragsteller sei persönlich tätig geworden, hätten auch die modifizierten Anträge keinen Erfolg. Der Zurückweisungsbeschluss wurde der Beschwerdeführerin nicht bekanntgegeben.
Der gegen seinen Beschluss gerichteten sofortigen Beschwerde des Antragstellers half das Landgericht nicht ab und legte das Verfahren dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht vor.
5. Die Gerichtsakten gingen am 26. Oktober 2020 beim Hanseatischen Oberlandesgericht ein. Ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin erließ das Oberlandesgericht am 29. Oktober 2020 die angegriffene einstweilige Verfügung, die die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung einer der modifizierten Gegendarstellungen verpflichtete. Es führte aus, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts der Leser aufgrund der mehrfachen Nennung des Namens des Antragstellers zwingend von dessen persönlichem Tätigwerden ausgehe.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers übermittelte der Beschwerdeführerin die einstweilige Verfügung am 30. Oktober 2020 per Telefax und per E-Mail zur Kenntnisnahme. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 3. November 2020 berichtigte das Oberlandesgericht einen Schreibfehler. Die berichtigte Fassung des Beschlusses wurde der Beschwerdeführerin am 10. November 2020 zugestellt.
Am 20. November 2020 legte die Beschwerdeführerin Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Den zunächst für den 11. Dezember 2020 anberaumten Termin zur Verhandlung über den Widerspruch verlegte das Landgericht von Amts wegen auf den 15. Januar 2021.
6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 27. November 2020 – bei Gericht eingegangen am 30. November 2020 – rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren.
7. Am 17. Dezember 2020 wurde der Beschwerdeführerin ein Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln zur zwangsweisen Durchsetzung der beschwerdegegenständlichen einstweiligen Verfügung zugestellt. Das Landgericht Hamburg wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Widerspruch mit Beschluss vom 23. Dezember 2020 zurück.
Die Beschwerdeführerin hat die Gegendarstellung bisher nicht veröffentlicht.
8. In der Folge stellte die Beschwerdeführerin in Ergänzung zu ihrer Verfassungsbeschwerde einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie begehrt, die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung bis zu einer erneuten Entscheidung des Oberlandesgerichts, hilfsweise bis zu einer Entscheidung des Landgerichts im Widerspruchsverfahren auszusetzen.
9. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens hat im Verfahren der einstweiligen Anordnung Stellung genommen. Er ist der Ansicht, das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin sei nicht verletzt. Sie habe in ihren Erwiderungsschreiben, die er den Gerichten vorgelegt habe, Gelegenheit zur Äußerung gehabt. Im Rahmen der Widerspruchsbegründung habe sie zudem vollumfänglich ergänzend Stellung genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und hinsichtlich des Hilfsantrags begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei gelten, selbst wenn eine Verfassungsbeschwerde in der Sache Aussicht auf Erfolg hat, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der insoweit grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung strenge Maßstäbe (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; 111, 147 <152 f.>; stRspr).
Die Anforderungen, die sich aus der prozessualen Waffengleichheit in äußerungsrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren ergeben, sind eingehend verfassungsgerichtlich klargestellt (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 und 1 BvR 2421/17 -; sowie die Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 - und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -).
Angesichts dessen führt die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr) zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen. Denn die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der gerügten Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren offensichtlich zulässig und begründet.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 10; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 16).
Der Rechtsweg ist, unabhängig von dem noch fortdauernden Ausgangsverfahren, erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Beschwerdeführerin macht eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend. Sie wendet sich dabei gegen ein bewusstes Übergehen ihrer prozessualen Rechte. Eine Missachtung von Verfahrensrechten als solche kann insbesondere mit dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 924 Abs. 3 i.V.m. § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nicht geltend gemacht werden, denn im Rahmen dessen sind die Erfolgsaussichten in der Sache maßgeblich (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12 und vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12). Auch darüber hinaus gibt es keinen Rechtsbehelf, mit dem die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit als solche vor den Fachgerichten geltend gemacht werden könnte. Die Verfassungsbeschwerde kann daher ausnahmsweise unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung erhoben werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 10; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 16).
Ein besonders gewichtiges Feststellungsinteresse musste die Beschwerdeführerin nicht geltend machen, denn die Rechtsbeeinträchtigung durch die einstweilige Verfügung in Gestalt eines weiterhin vollstreckbaren Titels dauert fort (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 13 und vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12). Da der Antragsteller des Ausgangsverfahrens bereits die Vollstreckung betreibt, ist die Beschwerdeführerin dem akuten Risiko ausgesetzt, zur Veröffentlichung der Gegendarstellung gezwungen zu sein, ohne dass sie Gelegenheit gehabt hätte, hierzu vor Gericht Stellung zu nehmen. Dies wiegt besonders schwer, da die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung einen besonders intensiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bedeutet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 967/05 -, Rn. 40; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2018 - 1 BvR 442/15 -, Rn. 16).
3. Der Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Die hier maßgeblichen Rechtsfragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 ff. und vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 25 ff.; sowie die Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 15 ff.; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 14 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 19 ff.).
aa) Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Das Gericht muss den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180 <188>) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 9, 89 <96 f.>; 57, 346 <359>). Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 bis 16). Im Presse- und Äußerungsrecht kann jedenfalls nicht als Regel von einer Erforderlichkeit der Überraschung des Gegners bei der Geltendmachung von Ansprüchen ausgegangen werden. Speziell im Gegendarstellungsrecht ist das vorherige Veröffentlichungsverlangen eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Gegendarstellungsanspruch (vgl. § 56 Abs. 2 Nr. 4 RStV - nunmehr § 20 Abs. 2 Nr. 4 MStV, sowie § 11 Abs. 2 Satz 5 HbgPresseG). Ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Geltendmachung eines Gegendarstellungsanspruchs als solche dem Schuldner verborgen bleibt, scheidet damit aus (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 31).
bb) Von der Frage der Anhörung und Einbeziehung der Gegenseite zu unterscheiden ist die Frage, in welchen Fällen über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, haben die Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Die Annahme einer Dringlichkeit setzt freilich sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine entsprechend zügige Verfahrensführung voraus (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 19 f.).
cc) Über eine einstweilige Verfügung wird in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten gleichwohl angesichts der Eilbedürftigkeit nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müssen. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt ein Gericht jedoch nicht dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 bis 24; sowie Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 21). Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern.
Dabei ist von Verfassung wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn das Gericht in solchen Eilverfahren auch die Möglichkeiten einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Hierfür kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine Abmahnung allerdings nur dann, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: der Verfügungsantrag muss im Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Erklärung bei Gericht eingereicht werden; die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Gegendarstellung muss mit dem bei Gericht geltend gemachten Gegendarstellungsbegehren identisch sein; der Antragsteller muss ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen. Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der bei Gericht eingereichte Antrag auf eine Erwiderung des Antragsgegners inhaltlich eingeht und repliziert (vgl. näher den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 14 ff.; sowie Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 18 f; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 14 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 22) oder sonst mit ergänzendem Vortrag begründet wird.
Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 24; siehe auch BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 -, Rn. 16 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 23). Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn es bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten abzugeben (vgl. zur Identität von Abmahnung und Antrag im Verfügungsverfahren BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 -, Rn. 13 f.). Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies mit Blick auf die Nutzung dieser Hinweise in diesem oder in anderen gegen den Antragsgegner gerichteten Verfahren auch im Falle der Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 30, 36 und 39). Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 24; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 - Rn. 19 und vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 23).
b) Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin war vorliegend keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber dem Verfahrensgegner gewährleistet. Zwar hatte der Antragsteller die Beschwerdeführerin außerprozessual abmahnen und ihr unterschiedliche Gegendarstellungsverlangen zukommen lassen. Die Beschwerdeführerin hatte den Abdruck der Gegendarstellungen beide Male mit begründetem Schreiben abgelehnt. Bereits bei dem Vergleich der an die Beschwerdeführerin gerichteten Abmahnungsschreiben mit den an das Landgericht gerichteten Schriftsätzen des Antragstellers ist augenfällig, dass diese nicht identisch seien können (drei und fünf Seiten gegenüber zwei Mal sieben Seiten). Hinzukommt, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers in seinen gerichtlichen Antragsschriftsätzen jeweils auf Einwände, die die Beschwerdeführerin in ihrem Erwiderungsschreiben vorgetragen hatte, teilweise ausdrücklich erwiderte und darüber hinaus versuchte, potentiellen Gegenargumenten der Beschwerdeführerin vorzugreifen. Schon aus dem Umstand der ersichtlich fehlenden Kongruenz des Vortrags ergab sich, dass die Gerichte im Sinne gleichwertiger Äußerungs- und Verteidigungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin – gegebenenfalls auch fernmündlich oder per E-Mail – Gelegenheit hätten geben müssen, den Vortrag des Antragstellers zumindest zur Kenntnis zu nehmen und ihrerseits – gegebenenfalls auch kurzfristig – zu erwidern (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juli 2020 - 1 BvR 1379/20 - Rn. 14, wonach im lauterkeitsrechtlichen Verfügungsverfahren der Antragsgegnerseite im Zweifel bereits bei kleinsten Abweichungen rechtliches Gehör zu gewähren ist). Weiter ist zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung seit Eingang des ursprünglichen Antrags beim Landgericht bereits mehr als fünf Wochen vergangen waren. Es ist nicht ersichtlich, wieso das Oberlandesgericht vor diesem Hintergrund der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur – gegebenenfalls auch kurzfristigen – Stellungnahme geben konnte.
Erst recht hätte schon das Landgericht, spätestens jedoch das Oberlandesgericht die Beschwerdeführerin vor dem Erlass eines Beschlusses über den Hinweis des Landgerichts vom 28. September 2020 in Kenntnis setzen müssen. Es ist verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Verfahrensgegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller. Hierfür sind auch ihm die an den Antragsteller ergangenen richterlichen Hinweise zeitnah mitzuteilen. Dies gilt insbesondere, wenn es - wie vorliegend - bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum geht, einen Antrag gleichsam nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten abzugeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 24; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 19).
Die Einbeziehung der Beschwerdeführerin durch das Gericht vor Erlass der Verfügung wäre offensichtlich geboten gewesen. Im Rahmen dessen hätte eine Frist zur Stellungnahme kurz bemessen sein können. Unzulässig ist es jedoch, wegen einer gegebenenfalls durch die Anhörung des Antragsgegners befürchteten Verzögerung oder wegen einer durch die Stellungnahme erforderlichen, arbeitsintensiven Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Antragsgegners bereits in einem frühen Verfahrensstadium gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einer einseitig erstrittenen gerichtlichen Gegendarstellungsverfügung und den damit einhergehenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Antragstellers zu belasten.
4. Angesichts des Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit kommt es auf eine Prüfung der Verletzung weiterer Grundrechte nicht an.
5. Eine mit dem Hauptantrag beantragte Außervollzugsetzung der verfassungswidrig zustande gekommenen Entscheidung bis zu einer erneuten Entscheidung des Oberlandesgerichts war nicht erforderlich. Die verfassungsgerichtliche einstweilige Anordnung setzt die verfassungsrechtlich fehlerhaft getroffene Entscheidung zum Schutz der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin einstweilen außer Vollzug, wirkt darüber hinaus aber nicht auf das laufende Verfahren ein.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass der Beschwerdeführerin nach einer Widerspruchsentscheidung des Landgerichts unter Umständen erneut eine Zwangsvollstreckung droht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung über den Widerspruch wird das Landgericht Hamburg Gelegenheit haben, den Vortrag beider Verfahrensbeteiligter zu hören und bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Januar 2018 - 1 BvQ 70/17 -, Rn. 7). Den Rechten der Beschwerdeführerin kann so genüge getan werden.
6. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Paulus | Christ | Härtel | |||||||||