BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 750/23 -
- 1 BvR 763/23 -
IM NAMEN DES VOLKES
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
der (…),
vertreten durch die (…),
diese gesetzlich vertreten durch die Geschäftsführer (…),
- Bevollmächtigte: (…) -
1. gegen
den Beschluss des Oberlandesgerichts München
vom 10. Februar 2023 - 28 W 1655/22 Bau e -
- 1 BvR 750/23 -,
2. gegen
den Beschluss des Oberlandesgerichts München
vom 10. Februar 2023 - 28 W 1635/22 Bau e -
- 1 BvR 763/23 -
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Christ,
Wolff
und die Richterin Meßling
am 3. März 2025 einstimmig beschlossen:
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2023 - 28 W 1655/22 Bau e - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2023 - 28 W 1635/22 Bau e - verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 sowie aus Artikel 103
Absatz 1 des Grundgesetzes.
4. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sachen werden an das Oberlandesgericht München zu neuer Entscheidung zurückverwiesen.
5. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
6. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für jede der Verfassungsbeschwerden auf 10.000 Euro (in Wort: zehntausend Euro) festgesetzt.
G r ü n d e :
A.
1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit in einem landgerichtlichen Zivilrechtsstreit.
2
Die Beschwerdeführerin – Klägerin des Ausgangsverfahrens (dazu I.) – hat die Vorsitzende Richterin und einen beisitzenden Richter des erkennenden Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (II.). Sie hätten durch einen Hinweisbeschluss unangemessenen Vergleichsdruck aufgebaut; die Vorsitzende habe sich überdies in einer mündlichen Verhandlung unsachlich und unangemessen verhalten. Außerdem begründe der Inhalt ihrer dienstlichen Äußerungen die Besorgnis der Befangenheit.
3
Mit einem zweiten Ablehnungsgesuch hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, die Vorsitzende habe im laufenden ersten Ablehnungsverfahren gegen die Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO verstoßen und dieses Verfahren verzögert (III.). Erneut begründe auch der Inhalt ihrer dienstlichen Äußerung die Besorgnis der Befangenheit.
4
Das Landgericht hat die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde eingelegt.
5
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse jeweils vom 10. Februar 2023, mit denen das Oberlandesgericht München ihre sofortigen Beschwerden zurückgewiesen hat. Sie rügt jeweils die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot (IV.). Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.
I.
6
Die Beschwerdeführerin – eine Société en Commandite Simple mit Sitz in (…) – ist Klägerin des Ausgangsverfahrens, eines seit 2015 beim Landgericht München I anhängigen Rechtsstreits. Als Eigentümerin eines Hochhauskomplexes macht sie gegen die beklagte Generalunternehmerin werkvertragliche Nacherfüllungsansprüche aus einem Vergleich geltend, ferner die Feststellung von Schadensersatzansprüchen. Der Gang des Ausgangsverfahrens stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
7
1. Durch einen Parteiwechsel trat die Beschwerdeführerin an die Stelle einer früheren Klägerin, die wiederum an die Stelle der ursprünglichen Klägerin getreten war. Den beiden Klägerwechseln hatte die Beklagte zugestimmt. In materiell-rechtlicher Hinsicht trug die Klägerseite jeweils die Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche an die neu eintretende Partei vor. Dazu äußerte sich die Beklagte nicht.
8
2. Das Landgericht erhob zunächst Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. In einer mündlichen Verhandlung im August 2020 wurde der Sachverständige angehört. Die Kammer – besetzt mit der später abgelehnten Vorsitzenden Richterin C. – stellte durch Beschluss die Fortsetzung der Beweisaufnahme in Aussicht. Ein entsprechender Beweisbeschluss erging in der Folgezeit allerdings nicht.
9
3. Im Herbst 2020 nahmen die Parteien außergerichtliche Vergleichsverhandlungen auf. Im März 2021 teilte die damalige Klägerin dem Landgericht jedoch mit, der Versuch, einen Vergleich zu schließen, sei gescheitert.
10
Im Juni 2021 fragte die Vorsitzende Richterin C. bei den Parteien an, ob die Vergleichsverhandlungen nochmals aufgenommen worden seien und ob sie zwischenzeitlich Erfolg versprächen. Falls nicht, müsse die weitere Beweisaufnahme „kostenintensiv“ durchgeführt werden.
11
Weitere Vergleichsbemühungen blieben erfolglos. Die Beklagte teilte dem Landgericht daraufhin im September 2021 mit, die Vergleichsverhandlungen seien an der fehlenden Vergleichsbereitschaft einer Streithelferin gescheitert.
12
4. In einer weiteren mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 – die Kammer war mit der Vorsitzenden Richterin C. als beauftragter Richterin besetzt – lehnte die Beschwerdeführerin, die inzwischen als Klägerin in das Verfahren eingetreten war, erneut einen Vergleichsschluss ab und verlangte den Erlass eines Beweisbeschlusses. Im Protokoll heißt es weiter auszugsweise:
13
„Das Gericht weist darauf hin, dass die Kammer derzeit mit 474 Verfahren belastet ist. Davon 50 selbständige Beweisverfahren. Überlastungsanzeige bei der Präsidentin des Landgerichts München I wurde gestellt. Die Kammer ist derzeit statt mit 3,0 Richtern mit 1,75 Richtern und zu 0,75 Arbeitskraftanteil mit einem Proberichter besetzt. Die Kammer hat 178 Altverfahren und sieht sich infolge der Arbeitsüberlastung nicht in der Lage, binnen der nächsten 6 Monate einen umfangreichen Beweisbeschluss über ein Altverfahren aus dem Jahr 2015 mit 3 Aktenbänden nebst Anlagen zu verfassen“.
14
Die Vorsitzende Richterin C. unterbreitete in der Verhandlung sodann einen ausformulierten Vergleichsvorschlag, nach dem die Beklagte zur Abgeltung aller Ansprüche 420.000 Euro zahlen sollte, und bestimmte einen Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung im Juli 2022.
15
5. Mit einem Hinweisbeschluss vom 19. Mai 2022 gab die Kammer eine „Zusammenfassung“ und „derzeitige Einschätzung“ der bisherigen Beweisaufnahme; sie wies außerdem auf ihren Vergleichsvorschlag vom 23. März 2022 hin; dieser solle in der anberaumten Sitzung erörtert werden. Der Beschluss erging in der Besetzung mit der Vorsitzenden Richterin C., dem beisitzenden Richter N. und einer weiteren Richterin.
16
Die Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit, sie lehne den Vergleichsvorschlag ab, und begründete dies näher mit ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen. Außerdem erweiterte sie ihre Klage um einen Hilfsantrag, die Beklagte zur Zahlung von 4,48 Mio. Euro zu verurteilen.
17
6. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 sprach das Landgericht nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erneut eine „einvernehmliche Lösung“ an, die „aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll und prozessökonomisch“ erscheine. Ein Vergleich kam nicht zustande. Die Parteien stellten schließlich ihre Anträge. Die Kammer war besetzt mit der Vorsitzenden Richterin C., dem beisitzenden Richter N. und einer weiteren Richterin.
18
7. Am 28. Juli 2022 erließ das Landgericht – in der Besetzung wie zuvor – einen Hinweis- und Beweisbeschluss.
19
Darin teilte das Landgericht erneut mit, aus wirtschaftlichen Gründen sei eine „einvernehmliche Lösung“ sinnvoll.
20
Weiter enthielt der Beschluss rechtliche Hinweise für den Fall eines „streitigen Fortgangs“ des Verfahrens, die sich auf die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin, den möglichen Ablauf der Gewährleistungsfrist und eine mögliche Verwirkung der Mängelansprüche bezogen. Die Parteien wurden jeweils ohne Fristsetzung zur Stellungnahme aufgefordert.
21
Schließlich enthielt der Beschluss Regelungen zur Fortsetzung der Beweisaufnahme für den Fall, dass näher bezeichnete Punkte zur Begründetheit der Klage von den Parteien unstreitig vorgetragen oder bei streitigem Vortrag unter Beweis gestellt werden könnten.
II.
22
1. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin am 11. August 2022 die Vorsitzende Richterin C. und den beisitzenden Richter N. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt:
23
a) Die Hinweise im Beschluss vom 28. Juli 2022 begründeten die Besorgnis der Befangenheit, weil für diese zu diesem Zeitpunkt kein nachvollziehbarer, sachlich gerechtfertigter Anlass bestanden habe. Zudem seien die rechtlichen Hinweise dieses Beschlusses und des früheren Beschlusses vom 19. Mai 2022 einseitig zu ihren Lasten gegangen. Die Hinweise hätten allein das Ziel gehabt, sie unangemessen unter Druck zu setzen, einen von ihr nicht befürworteten Vergleich zu schließen, indem die Beklagte der Sache nach „verkappt“ beziehungsweise „unverhohlen“ aufgefordert werde, das Klagevorbringen zur Abtretung der Ansprüche zu bestreiten und die prozessualen Einreden der Verjährung oder Verwirkung zu erheben. Dies sei mit der gebotenen richterlichen Neutralität nicht vereinbar.
24
b) Die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. zeige sich auch in ihrer Verhandlungsführung am 20. Juli 2022. Sie habe sich bei ihren Ausführungen zum Sachverhalt ostentativ der Beklagten zugewandt und diese explizit darauf hingewiesen, diese möge sie unterbrechen, wenn sie etwas Unzutreffendes ausführe. Auf Korrekturen der Vertreter der Beschwerdeführerin habe sie diese barsch zurechtgewiesen, diese hätten sie nicht zu unterbrechen, um sich sodann wieder ostentativ der Beklagten zuzuwenden und ihren fehlerhaften Vortrag fortzusetzen. Trotz Hinweises habe sie falsche Angaben ins Protokoll aufgenommen.
25
Zur Glaubhaftmachung hat die Beschwerdeführerin eidesstattliche Versicherungen ihrer in der Sitzung anwesenden Vertreter vorgelegt.
26
2. Die Vorsitzende Richterin C. und der Richter N. haben dienstliche Äußerungen abgegeben.
27
a) Die dienstliche Äußerung der Vorsitzenden vom 1. September 2022 lautete auszugsweise:
„Dass die komprimierte Zusammenfassung eines Sachverhalts eine Partei subjektiv als ‚falsch‘ empfinden könnte, ist möglich und subjektiv verständlich – es kommt hingegen auf eine objektive Sichtweise an. Ebenso kann der subjektive Vorwurf von ‚verkappten‘ bzw. ‚unverhohlenen‘ Aufforderungen an nur eine Partei bei objektiv-rechtlicher Betrachtung eines rechtskundigen Dritten keinen Bestand haben.
Der Schwerpunkt der Rüge bezieht sich auf die Blickrichtung der Vorsitzenden im Rahmen der Sitzung vom 20.07.2022. Aufgrund der vorgegebenen Sitzungsanordnung in den Gerichtssälen und der Anatomie des menschlichen Auges, das nicht über einen 360-Grad Blickwinkel verfügt, ist es üblich und unvermeidlich, während eines Rechtsgesprächs mit mehreren Beteiligten den Blick bewusst von einer zur anderen Seite zu richten. Auf der linken Seite – vom Richtertisch aus gesehen – befand sich die Klageseite und auf der rechten Seite die Beklagtenseite sowie die Streithelferin. Der Unterzeichnerin ist nicht klar, wie die jeweilige andere Seite in eine Erörterung eingebunden werden soll, wenn das Gericht den Blick geradeaus an die Wand oder gesenkt auf den Boden oder ‚gen Himmel‘ richtet.
Die geschilderten Empfindungen der vier Personen auf der Klägerseite in den eidesstattlichen Versicherungen über das Verhalten der Unterzeichnerin reichen von ‚nicht lockerlassend‘, ‚ostentativ‘, ‚befremdend‘ bis ‚bemerkenswert‘ und sind interessant, zeigen sie doch bei vernünftig-objektiver Betrachtung die ganze Bandbreite einer unterschiedlichen höchstpersönlichen Wahrnehmung.“
28
b) Die dienstliche Äußerung des Richters N. vom 19. September 2022 lautete auszugsweise:
„In dem Beschluss, der teilweise auf bereits zuvor erteilten Hinweisen aufbaut, sollte auf eine Klärung des Prozessstoffes und Strukturierung des langjährigen Verfahrens hingewirkt werden. Auf etwaige Einreden wurde nicht hingewiesen, vielmehr erfolgte mehrfach die Bitte um Stellungnahme zu konkreten – aus Sicht des Gerichts noch klärungsbedürftigen – Punkten, wobei sich diese sämtlich bereits aus dem bisherigen Vortrag bzw. der mündlichen Verhandlung ergaben.“
29
3. Die Beschwerdeführerin hat schriftsätzlich erklärt, die dienstlichen Stellungnahmen führten ihrerseits zur Annahme der Befangenheit. Die Einlassungen der Vorsitzenden enthielten eine unzulässige rechtliche Würdigung des Ablehnungsgesuchs. Ferner werde ihr Vorbringen unangemessen verniedlicht und ins Lächerliche gezogen. Die dienstliche Äußerung des Richters N. sei inhaltlich unzureichend; hinzu komme der lange Zeitraum von fünf Wochen zwischen Ablehnungsgesuch und dienstlicher Äußerung.
30
4. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 14. Oktober 2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
31
a) Das Gesuch sei in weiten Teilen wegen Verspätung gemäß § 43 ZPO unzulässig. Der Vortrag beziehe sich größtenteils auf Sachverhalte, die der Beschwerdeführerin spätestens in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 bekannt gewesen seien. Dennoch habe sie ohne vorherige Rüge in der mündlichen Verhandlung an der „Diskussion“ über die weitere Beweisaufnahme mitgewirkt und Anträge gestellt.
32
Die Frage der Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin, des Ablaufs der Gewährleistungsfrist und der möglichen Verwirkung ihrer Ansprüche seien bereits in früheren mündlichen Verhandlungen erörtert worden. Es sei nicht ersichtlich, warum die bloße Wiederholung Anlass für die Besorgnis der Befangenheit liefern sollte.
33
Das gerügte Verhalten der Vorsitzenden C. in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 habe vor der Verhandlung zur weiteren Beweiserhebung und der Antragstellung durch die Beschwerdeführerin stattgefunden.
34
b) Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Die Art und Weise der Verfahrensführung des Richters könne grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Anhaltspunkte für den Ausnahmefall der Willkür seien nicht ersichtlich. Zum Verhalten der Vorsitzenden Richterin C. in der letzten mündlichen Verhandlung reiche bereits der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Alle Äußerungen seien „sachbezogen“ und „aufgrund des Verhaltens der Beteiligten verständlich“ gewesen.
35
Auch die dienstlichen Äußerungen der beiden abgelehnten Richter könnten die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Der Hinweis der Vorsitzenden Richterin C., es komme „auf die objektive Sichtweise an“, solle ausdrücken, dass sich die Richterin um eine objektive Darstellung bemüht habe, jedoch Verständnis dafür aufbringe, dass dies von einer Partei anders aufgefasst werden könne. Dem Vorwurf, die Vorsitzende Richterin C. habe versucht, den Vortrag der Beschwerdeführerin zu verniedlichen oder ins Lächerliche zu ziehen, werde entgegengetreten; die Ausführungen hätten ihre Blickrichtung „erläutern“ sollen.
36
5. Gegen den Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde erhoben.
37
a) Die dienstliche Äußerung der Vorsitzenden Richterin C. begründe die Besorgnis der Befangenheit, da sie eine rechtliche Würdigung des Ablehnungsvorbringens enthalte. Im Übrigen versuche die Vorsitzende, ihren Vortrag ins Lächerliche zu ziehen. Die „Interpretationsbemühungen“ des Landgerichts im angefochtenen Beschluss würden demgegenüber nicht tragen. Zum Teil habe das Landgericht die Einlassung der Vorsitzenden auch schlicht übergangen. Die Äußerungen des Richters N. stellten sich als Weigerung dar, sich mit den Argumenten des Ablehnungsgesuchs auseinanderzusetzen. Damit befasse sich das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht.
38
b) Hinsichtlich der Besorgnis der Befangenheit aufgrund des Beschlusses vom 28. Juli 2022 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen aus dem Ablehnungsgesuch wiederholt und vertieft.
39
Zur Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, die unangebrachten Hinweise und der unangemessene Vergleichsdruck seien ersichtlich kein Umstand, auf den sie sich nicht mehr berufen könne. Denn der Beschluss vom 28. Juli 2022 sei erst nach der letzten mündlichen Verhandlung ergangen. Erneut zutage tretende Befangenheit lasse auch ein neues Ablehnungsrecht entstehen.
40
Im Übrigen unterschieden sich die Hinweise von früheren Hinweisen dadurch, dass sie jetzt mit der Aufforderung zur Stellungnahme an beide Parteien verknüpft seien und die Fortsetzung der Beweisaufnahme explizit von der Klärung dieser tatsächlich nicht klärungsbedürftigen Punkte abhängig gemacht worden sei, wobei den Parteien nicht einmal eine Frist gesetzt worden sei. Die Beweisaufnahme sei danach gegebenenfalls am „Sankt Nimmerleinstag“ fortzusetzen.
41
c) Weiter hat die Beschwerdeführerin die Ausführungen des Landgerichts im Zurückweisungsbeschluss angegriffen, die sich auf das Verhalten der Vorsitzenden Richterin C. in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 beziehen.
42
6. Das Oberlandesgericht München hat – nach Nichtabhilfe durch das Landgericht – die sofortige Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss vom 10. Februar 2023 - Az. 28 W 1635/22 Bau e - als unbegründet zurückgewiesen. Das Landgericht habe das Ablehnungsgesuch vom 11. August 2022 gegen die Vorsitzende Richterin C. und gegen den Richter N. zu Recht zurückgewiesen.
43
a) Das Ablehnungsgesuch sei unzulässig, sofern es sich auf etwaige Bemerkungen der Vorsitzenden Richterin C. in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2022 stütze. Denn die Beschwerdeführerin habe sich, ohne einen Ablehnungsgrund geltend zu machen, danach sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt.
44
b) Hinsichtlich des Hinweisbeschlusses vom 28. Juli 2022 könne dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin auch insoweit ihr Ablehnungsrecht gemäß § 43 ZPO verloren habe. Denn der Inhalt des Beschlusses rechtfertige nicht die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter.
45
aa) Soweit der Beschluss eine „einvernehmliche Lösung“ thematisiere, lasse sich dem kein Drängen des Landgerichts auf Abschluss des vorgeschlagenen Vergleichs entnehmen. Lediglich werde der status quo dargestellt und auf die „grundsätzliche Sinnhaftigkeit“ einer einvernehmlichen Lösung hingewiesen.
46
bb) Die Hinweise zur Klärungsbedürftigkeit der Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin, zum Ablauf der Gewährleistungsfrist und zur möglichen Verwirkung seien nicht sachwidrig gewesen und könnten nicht als verkappte Aufforderung an die Beklagte aufgefasst werden, prozessuale Einreden zu erheben.
47
c) Soweit sich das Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende Richterin C. auf unangemessenes Verhalten in der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2022 stütze, sei es unzulässig. Die Beschwerdeführerin habe ihr Ablehnungsrecht gemäß § 43 ZPO verloren. Denn sie habe sich, ohne deswegen einen Ablehnungsgrund geltend zu machen, in der Folge in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt.
48
d) Der Inhalt der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden Richterin C. vom 1. September 2022 rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit ebenso wenig.
49
aa) Die abgelehnte Richterin setze sich darin zunächst mit dem Vorwurf auseinander, „verkappte“ beziehungsweise „unverhohlene“ Hinweise in Richtung nur einer Partei erteilt zu haben und vertrete die Auffassung, dieser Vorwurf sei bei objektiv-rechtlicher Betrachtung unbegründet, wenngleich eine Partei die gerichtlichen Ausführungen subjektiv als falsch empfinden könne.
50
Hierin sei keine unsachliche oder unangemessene Bewertung des Ablehnungsgesuchs beziehungsweise unangebrachte Kritik an der Ausübung des Ablehnungsrechts zu erkennen. Zwar hätten in der dienstlichen Äußerung Ausführungen zur Zulässigkeit und Begründetheit des Ablehnungsgesuchs zu unterbleiben, jedoch dürfe der abgelehnte Richter die zur Ablehnung führenden Vorgänge mit der gebotenen Zurückhaltung wertend beurteilen. Es rechtfertige nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn die abgelehnte Richterin zu einem erhobenen Vorwurf auch Stellung nehme. Hiermit sei zwangsläufig eine Bewertung des Vorwurfs durch den Abgelehnten verbunden, wobei diese im vorliegenden Fall weder inhaltlich noch nach dem Wortlaut die gebotene Zurückhaltung vermissen lasse.
51
bb) Soweit die abgelehnte Richterin zum Vorwurf ihres Verhaltens in der Verhandlung vom 20. Juli 2022 Stellung genommen habe, sei der dienstlichen Äußerung ein gewisses Unverständnis über die Rüge zu entnehmen. Die Grenze zu unangemessener Kritik werde aber weder inhaltlich noch hinsichtlich der Wortwahl überschritten. Die Stellungnahme zu den eidesstattlichen Versicherungen überschreite die Grenze zu unsachlicher, unangebrachter Kritik am Ablehnungsvorbringen ebenso wenig.
52
e) Die dienstliche Äußerung des Richters N. vom 19. September 2022 rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit ebenfalls nicht.
53
f) Schließlich sei auch bei einer Gesamtbetrachtung keine Besorgnis der Befangenheit ersichtlich. In die Gesamtbetrachtung seien ausschließlich diejenigen Ablehnungsgründe einzustellen, hinsichtlich derer die Beschwerdeführerin ihr Ablehnungsrecht nicht bereits gemäß § 43 ZPO verloren habe. Der Inhalt des Beschlusses vom 28. Juli 2022 und die dienstlichen Stellungnahmen der beiden abgelehnten Richter rechtfertigten weder jeweils für sich genommen noch in der Gesamtschau die Besorgnis der Befangenheit. Etwaige „davor liegende Äußerungen beziehungsweise Verhaltensweisen“ der abgelehnten Richter seien bei der Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin versuche unzulässigerweise, im Ablehnungsverfahren eine Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensgestaltung zu erreichen.
54
7. Eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin hat das Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen.
III.
55
1. Am 28. Oktober 2022 – während des laufenden Ablehnungsverfahrens – hat die Vorsitzende Richterin C. den Parteien eine Frist zur Stellungnahme zu einem Schreiben des gerichtlich bestellten Sachverständigen gesetzt. Außerdem hat sie den Parteien aufgegeben, einen Vorschuss für die Kosten des Sachverständigen an die Justizkasse zu zahlen, sowie zu bestimmten Fragen des Sachverständigen Stellung zu nehmen. Am 7. November 2022 hat die Vorsitzende den Parteien aufgegeben, zum Streitwert bestimmter Klageanträge Stellung zu nehmen. Sie hat zudem mitgeteilt, welcher Betrag bislang an den Sachverständigen ausgezahlt worden sei. Die Akte werde „an die Kostenbeamtin zur Überprüfung des eingezahlten Vorschusses“ weitergeleitet. Falls Überschüsse bestehen sollten, werde dies „zeitnah mitgeteilt“.
56
2. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin die Vorsitzende Richterin C. wegen Besorgnis der Befangenheit – erneut – abgelehnt. Sie habe durch ihr Vorgehen abermals demonstriert, dass sie ihr Begehren nicht ernst nehme. Zugleich habe die Vorsitzende den Fortgang des Verfahrens über das erste Ablehnungsgesuch vom 11. August 2022 behindert.
57
3. In der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden Richterin C. vom 17. November 2022 heißt es auszugsweise wie folgt:
„Die Wartepflicht aus § 47 Abs. 1 ZPO betrifft Entscheidungen in der Hauptsache. Die vorliegend beanstandete Bitte des Gerichts um Stellungnahme zum Streitwert nach aktuellem Klageantrag aus der Sitzung vom 20.07.2022 betrifft § 3 ZPO iVm. § 17 GKG. Die Unterlagen wurden aufgrund des Schreibens des Sachverständigen Prof. W. vom 21.08.2022 angefordert. Die Mitteilung der bisher bereits ausgezahlten Auslagenvorschüsse ist eine allgemeine Information für die Parteien zur Wirtschaftlichkeit des Verfahrens, diese Beurteilung obliegt den Parteien selbst bzw. den zuständigen Entscheidungsgremien der beiden juristischen vollkaufmännischen Personen – nicht dem Gericht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu überlangen Verfahrensdauern im Zivilprozess (vgl. Beschluss vom 30.07.2009, 1 BvR 2662/06 in der Anlage) ist ein weiteres Vorgehen während eines Beschwerdeverfahrens zulässig, weil die Parteien einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz haben (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG).
Angesichts der zwischenzeitlich am 10./11.11.2022 bei Frau Präsidentin des Landgerichts München I eingelegten ‚Dienstaufsichtsbeschwerde‘ gegen die Vorsitzende (vgl. Anlage), die offenbar parallel zum ‚weiteren Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit‘ vom 07.11.2022 eingelegt wurde, könnte die etwaige prozesstaktische Motivation der genannten Anträge durchaus objektiv beleuchtet werden.“
58
4. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin geltend gemacht, der Inhalt des Schreibens begründe die Besorgnis der Befangenheit, da sich die Vorsitzende Richterin C. anmaße, die Wahrnehmung gesetzlicher Rechte als prozesstaktisch motivierte Handlungen zu titulieren, deren „Beleuchtung“ sie in Aussicht stelle.
59
5. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 als unbegründet zurückgewiesen. Ablehnungsgründe im Sinne von § 42 Abs. 1 und 2 ZPO lägen nicht vor. Die Verfügungen der Vorsitzenden Richterin C. hätten keine Entscheidungen in der Hauptsache dargestellt. Eine Verzögerung der Vorlage der sofortigen Beschwerde vom 27. Oktober 2022 betreffend die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs vom 11. August 2022 an das Oberlandesgericht sei nicht zu erkennen. Auf den Inhalt der dienstlichen Äußerung ist das Landgericht nicht eingegangen.
60
6. Das Oberlandesgericht München hat die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin – nach Nichtabhilfe durch das Landgericht – mit dem angegriffenen Beschluss vom 10. Februar 2023 - Az. 28 W 1655/22 Bau e - zurückgewiesen. Sie sei zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht habe das Ablehnungsgesuch vom 7. November 2022 gegen die Vorsitzende Richterin C. zu Recht zurückgewiesen. Dazu hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:
61
a) Die Vorsitzende habe zwar durch ihre Verfügungen vom 28. Oktober und 7. November 2022 ihre Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO objektiv verletzt. Eine Einschränkung dahin, dass dem abgelehnten Richter im Zeitraum der Wartepflicht lediglich Entscheidungen in der Hauptsache untersagt seien, bestehe nicht. Bei den vorgenommenen Handlungen handele es sich auch nicht um solche, die wegen ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub geduldet hätten.
62
Der objektiv vorliegende Verstoß begründe aber nicht die Besorgnis der Befangenheit. Denn die Verstöße beruhten – wie die dienstliche Äußerung vom 17. November 2022 zeige – auf einer Verkennung der Rechtslage, nicht jedoch auf einer Missachtung des Begehrens der Beschwerdeführerin. Die Vorsitzende habe in ihrer dienstlichen Äußerung deutlich gemacht, weshalb sie angenommen habe, trotz laufenden Ablehnungsverfahrens zu weiteren Verfahrenshandlungen berechtigt gewesen zu sein. Sie sei ausschließlich vom Bestreben geleitet gewesen, das Verfahren zu fördern. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, inwiefern sich aus den beide Parteien gleichermaßen betreffenden Verfügungen bei verständiger Würdigung aus Sicht der Beschwerdeführerin eine gerade ihr gegenüber unsachliche oder negative Einstellung ergeben sollte.
63
In Kenntnis der dienstlichen Äußerung habe sich aus dem Verstoß gegen die Wartepflicht bei verständiger Betrachtung nicht der Eindruck der Voreingenommenheit der Vorsitzenden ihr gegenüber ergeben können.
64
b) Das Ablehnungsgesuch sei ebenfalls unbegründet, soweit die Beschwerdeführerin die Besorgnis der Befangenheit aus der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden vom 17. November 2022 herleite. Die Vorsitzende habe die Anträge der Beschwerdeführerin nicht als prozesstaktisch motivierte Handlungen „tituliert“, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass dies möglich erscheine, ohne die Vorgehensweise jedoch als negativ oder unangebracht zu bewerten. Wenngleich es nahegelegen hätte, sich dieser Formulierungen zu enthalten, erschienen sie als eine der Sachlage nach verständliche Reaktion der Vorsitzenden, die sich mit zwei Ablehnungsgesuchen und einer Dienstaufsichtsbeschwerde konfrontiert gesehen habe. Auch sei die Bemerkung nach Formulierung und Wortwahl in keiner Weise überzogen, sondern sachlich gehalten.
65
c) Die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich schließlich auch nicht aus der Art und Weise der Sachbehandlung durch die Vorsitzende, was den Gang des ersten Ablehnungsverfahrens nach Eingang der sofortigen Beschwerde vom 27. Oktober 2022 angehe.
66
d) Auch bei einer Gesamtbetrachtung der vorgebrachten Ablehnungsgründe ergebe sich keine Besorgnis der Befangenheit.
67
7. Eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin hat das Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen.
IV.
68
1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 18. April 2023 - 1 BvR 763/23 - wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2023 - 28 W 1635/22 Bau e -.
69
a) Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe den Kern ihres Vorbringens, das für die Annahme von Befangenheit von entscheidender Bedeutung sei, nicht in Erwägung gezogen und damit wesentlichen Vortrag unberücksichtigt gelassen.
70
aa) Sie habe in der Begründung ihrer sofortigen Beschwerde ausgeführt, dass die abgelehnten Richter mit dem Beschluss vom 28. Juli 2022 unangemessenen Druck auf sie ausgeübt hätten, einen Vergleich zu schließen, obwohl sie wiederholt und unter Angabe von Gründen die Vergleichsvorschläge des Gerichts abgelehnt habe. Diesen Vortrag, der sich aus dem zusammenhängenden Gesamtgeschehen ergebe, habe das Oberlandesgericht nicht berücksichtigt und damit einen Kern der Begründung des Ablehnungsgesuchs nicht erfasst. Das Oberlandesgericht habe allenfalls einzelne Gesichtspunkte, nicht aber den dahinterliegenden Sinn erkannt und abgehandelt.
71
bb) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs folge weiter aus den Ausführungen zu den dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter. Das Oberlandesgericht verweigere eine Auseinandersetzung mit dem, worum es eigentlich gehe. Ihre „wahre Beanstandung“ sei einerseits, die Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin C. vom 1. September 2022 enthalte eine unzulässige rechtliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs. Andererseits beanstande sie, dass die Ausführungen der Vorsitzenden ihr Begehren ins Lächerliche ziehen würden; es gehe erkennbar nicht darum, dass die Vorsitzende „Kritik“ äußere.
72
b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2023 verletze außerdem Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in seinem materiellen Gewährleistungsgehalt. Das Oberlandesgericht habe Bedeutung und Tragweite dieser Verfassungsgarantie verkannt, indem es die vorgebrachten Argumente teils nicht berücksichtigt und insgesamt nur unzureichend erwogen habe.
73
c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts verstoße schließlich auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
74
2. Mit ihrer weiteren Verfassungsbeschwerde vom 18. April 2023 - 1 BvR 750/23 - wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Februar 2023 - Az. 28 W 1655/22 Bau e -. Sie rügt erneut die Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, sowie des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
75
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz sowie die Beklagte und die Streithelfer des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Streithelferin hat beantragt, die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen. Im Übrigen sind keine Stellungnahmen abgegeben worden.
76
4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
B.
77
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen jeweils vor. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet.
I.
78
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. Februar 2023 - 28 W 1635/22 Bau e - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
79
a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 72, 119 <121>; stRspr).
80
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen jedoch nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <187 ff.>; 86, 133 <145 f.>).
81
Ist ein bestimmtes Vorbringen zwar im Tatbestand einer Entscheidung wiedergegeben, wird es jedoch in der rechtlichen Würdigung nicht behandelt, kann daraus der Schluss gezogen werden, das Vorbringen sei zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht erwogen worden (vgl. BVerfGE 28, 378 <385>; 54, 86 <92>; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2009 - II ZR 77/08 -, NJW 2009, S. 2137).
82
Das Unterlassen rechtlichen Gehörs verletzt Art. 103 Abs. 1 GG allerdings nur dann in verfassungsrechtlich relevanter Weise, wenn die gerichtliche Entscheidung auf dem Fehlen des Gehörs beruht, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung zu einer Entscheidung geführt hätte, die für den Beteiligten günstiger gewesen wäre (vgl. BVerfGE 62, 392 <396>; 89, 381 <392 f.>), und wenn der Gehörsverstoß auch nicht durch Nachholen der Anhörung geheilt worden ist (BVerfGK 15, 116 <119 f.>). Eine Heilung eines Gehörsverstoßes durch ergänzende Erwägungen im Anhörungsrügeverfahren ist möglich, wenn das Gericht durch Ausführungen zur Rechtslage den gerügten Gehörsverstoß beseitigen kann, insbesondere indem es rechtliches Vorbringen nunmehr (erstmals) zur Kenntnis nimmt und bescheidet (BVerfGK 15, 116 <120>; vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2016 - 1 BvR 1225/15 -).
83
b) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
84
aa) Es hat das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2022 habe unangemessenen Vergleichsdruck erzeugen sollen, nicht erwogen.
85
(1) Das Oberlandesgericht ist auf einen wesentlichen Kern des Vortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der rechtlichen Würdigung des angegriffenen Beschlusses nicht eingegangen, nämlich auf das Vorbringen, mit dem Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2022 hätten die abgelehnten Richter unangemessenen Druck auf die Beschwerdeführerin aufgebaut, einen Vergleich zu schließen. Dieses Vorbringen war für das Ablehnungsverfahren von zentraler Bedeutung, weil die vorgebrachten Tatsachen in rechtlicher Hinsicht einen potentiellen Ablehnungsgrund darstellten. Unangemessener Druck auf Parteien eines Zivilverfahrens, einen Vergleich zu schließen, kann die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO begründen (OLG Jena, Beschluss vom 14. November 2005 - 1 W 63/05 - BeckRS 2006, 4914; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 42 Rn. 23; Göertz, in: Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl. 2025, § 42 Rn. 20).
86
Auf dieses Vorbringen ist das Oberlandesgericht in der rechtlichen Würdigung des angegriffenen Beschlusses nicht eingegangen, es wird nur im Beschlusstatbestand kurz referiert. Das Oberlandesgericht führt zwar aus, soweit der Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2022 unter Ziffer 2 eine „einvernehmliche Lösung“ thematisiere, sei darin kein „Drängen“ des Landgerichts auf einen Vergleich zu sehen. Vielmehr werde lediglich der diesbezügliche Status quo dargestellt und auf die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer einvernehmlichen Lösung hingewiesen. Damit wird das Vorbringen aber verfehlt. Die Beschwerdeführerin hatte sich nicht darauf berufen, dass bereits Vergleichsbemühungen als solche die Besorgnis der Befangenheit begründeten, sondern maßgeblich auf den unangemessenen Vergleichsdruck abgestellt.
87
Die Entscheidungsgründe enthalten auch im Übrigen keine argumentative Auseinandersetzung mit dem Vorbringen zum unangemessenen Vergleichsdruck. Das Oberlandesgericht beschränkt sich darauf, eine mögliche „Sachwidrigkeit“ der einzelnen Hinweise isoliert zu prüfen und zu verneinen. Dabei sind die Ausführungen bereits für sich genommen zivilrechtlich kaum nachvollziehbar.
88
Demgegenüber wird das Vorbringen, der Vergleichsdruck ergebe sich gerade mit Blick auf den bisherigen Verfahrensverlauf und den Zeitpunkt der Erteilung der Hinweise, nicht erwogen. Ausdrücklich lässt das Oberlandesgericht dahinstehen, ob die Hinweise zum damaligen Verfahrenszeitpunkt erforderlich waren beziehungsweise geht – hinsichtlich des Hinweises auf eine mögliche Verwirkung der streitgegenständlichen Ansprüche – auf die Frage der Erforderlichkeit nicht ein.
89
Vorgetragene Umstände, die die Behauptung der Beschwerdeführerin indiziell stützen könnten, berücksichtigt das Oberlandesgericht ebenfalls nicht. Weder werden das auffallende Insistieren des Landgerichts auf einem Vergleichsschluss im Verfahrensverlauf noch der damit verbundene sachfremde Hinweis der Vorsitzenden Richterin C. auf die Geschäftslast der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2022 erörtert.
90
Das Oberlandesgericht bezieht außerdem nicht ein, dass die Aufforderung zur Stellungnahme im Beschluss vom 28. Juli 2022 keine Frist enthielt, so dass sich eine etwaige weitere Beweisaufnahme erheblich verschieben würde.
91
Die vom Oberlandesgericht abschließend vorgenommene Gesamtbetrachtung beschränkt sich auf Leerformeln.
92
(2) Das Oberlandesgericht hat das Vorbringen der Beschwerdeführerin auch nicht als offensichtlich unsubstantiiert oder von seinem Rechtsstandpunkt aus als unerheblich angesehen. Es hat zwar insbesondere angenommen, dass mit Blick auf die Präklusionswirkung des § 43 ZPO diejenigen Verfahrenstatsachen keine selbständigen Ablehnungsgründe bilden, die sich zeitlich vor dem Beschluss vom 28. Juli 2022 ereignet hatten. Dies liegt innerhalb des fachgerichtlichen Wertungsspielraums. Doch war es von diesem Rechtsstandpunkt aus nicht ausgeschlossen, das frühere Verfahrensgeschehen zumindest indiziell zu berücksichtigen. Anerkannt ist, dass ein Ablehnungsgesuch auch auf früher bekannte und noch nicht geltend gemachte Tatsachen gestützt werden kann, wenn aus der Gesamtbetrachtung mehrerer Umstände in der Summe die Besorgnis der Befangenheit hergeleitet wird (vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2011 - 32 W 11/11 -, BeckRS 2011, 20170 m.w.N.; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 43 Rn. 3). Erst recht ist eine indizielle Berücksichtigung früheren Verfahrensgeschehens möglich.
93
(3) Aus dem angegriffenen Beschluss ergibt sich damit, dass das Oberlandesgericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin zum unangemessenen Vergleichsdruck zwar zur Kenntnis genommen hat, wie der Beschlusstatbestand durch die (zusammengefasste) Wiedergabe des Vorbringens ausweist. Aus dem fehlenden Eingehen auf dieses Vorbringen in der rechtlichen Würdigung ist nach den konkreten Umständen des Falles jedoch zu schließen, dass es das Oberlandesgericht nicht in Erwägung gezogen hat. Nach allem liegt ein Gehörsverstoß vor (vgl. BVerfGE 86, 133 <147>).
94
bb) Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Es lässt sich nicht ausschließen, dass das Oberlandesgericht die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. und des Richters N. bejaht hätte, wenn es das Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt hätte. Der Gehörsverstoß ist auch nicht durch den Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge geheilt. Dieser beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Ausführungen im angegriffenen Beschluss zu wiederholen und zu bekräftigen.
95
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. Februar 2023 - 28 W 1635/22 Bau e - verletzt weiter Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit er die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. betrifft.
96
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter (vgl. BVerfGE 22, 254 <258>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327>). Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 <213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>).
97
Eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Das Bundesverfassungsgericht prüft daher nicht, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestanden hat, sondern nur, ob die angegriffene Entscheidung spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 2023 - 2 BvR 1122/22 -). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind jedenfalls überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>), beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>).
98
b) Das Oberlandesgericht hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, soweit es die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. mit Blick auf ihre dienstliche Äußerung verneint hat.
99
aa) Der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts entspricht allerdings der verfassungskonformen fachgerichtlichen Rechtsprechung zum Ausschluss von Richtern und ist als solcher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
100
(1) Nach § 42 ZPO kann ein Richter von den Parteien wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen Partei Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des Richters zu geben. Der „böse Schein“ reicht aus. Dabei kommen aber nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen, während rein subjektive Vorstellungen oder Gedankengänge des Ablehnenden als Ablehnungsgründe ausscheiden (vgl. BGHZ 226, 350 <361>; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - VIII ZR 271/13 -; jeweils m.w.N.; stRspr).
101
(2) Unzulängliche oder unsachliche Stellungnahmen des Richters zu den zum Ablehnungsgesuch führenden Vorgängen in der dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs. 3 ZPO können die Besorgnis der Befangenheit begründen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. September 1997 - 6 W 140/97 -, NJW-RR 1998, S. 858; vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 42 Rn. 24 m.w.N.). Im Einzelnen gilt Folgendes:
102
Die dienstliche Äußerung dient der Feststellung der tatsächlichen Vorgänge, die zu dem Ablehnungsgesuch geführt haben. Sie erleichtert es dem Ablehnenden, durch Bezugnahme den Ablehnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Zugleich dient sie den Richtern, die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufen sind, als Erkenntnisquelle. Die Verpflichtung zur dienstlichen Äußerung zählt damit zu dem Bestand an Regelungen, die das Verfahrensgrundrecht auf einen unabhängigen und unparteilichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in prozessualer Hinsicht verwirklichen.
103
Die fachgerichtliche Rechtsprechung hat demgemäß Anforderungen entwickelt, die an den Inhalt einer funktionsgerechten dienstlichen Äußerung zu stellen sind. Sie hat sich auf die Tatsachen zu beziehen, die der Ablehnende zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs vorgetragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 - II ZB 2/10 -; Beschluss vom 9. Dezember 2020 - VI ZR 40/20 -). Ausführungen zur Zulässigkeit sowie zur Begründetheit des Ablehnungsgesuchs – also zur Frage, ob die vorgetragenen Tatsachen die Besorgnis der Befangenheit begründen – haben zu unterbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 - II ZB 2/10 -; Beschluss vom 12. Oktober 2011 - V ZR 8/10 -). Lediglich darf der abgelehnte Richter die zur Ablehnung führenden Vorgänge tatsachenadäquat werten (vgl. BGHZ 77, 70 <73>). Diese Rechtsprechung spiegelt die Bedeutung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wider.
104
bb) Das Oberlandesgericht hat bei der Anwendung des einfach-rechtlichen Prüfungsmaßstabs die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen überschritten. Der Verfassungsverstoß liegt in der fehlerhaften Würdigung der dienstlichen Äußerung der abgelehnten Vorsitzenden vom 1. September 2022, deren Inhalt die Beschwerdeführerin als selbständigen Ablehnungsgrund geltend macht. Hierbei verkennt das Oberlandesgericht Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
105
(1) Die dienstliche Äußerung enthält Ausführungen, die offenkundig auf eine mögliche Voreingenommenheit der Vorsitzenden Richterin C. schließen lassen.
106
Insgesamt ist die dienstliche Äußerung davon geprägt, dass die Vorsitzende hinsichtlich des Geschehens in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2022 eine „subjektive“ beziehungsweise „höchstpersönliche“ Wahrnehmung der Vertreter der Beschwerdeführerin einer „vernünftig-objektiven Betrachtung“ gegenüberstellt, die sie anscheinend für sich selbst in Anspruch nimmt. Hierin liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Abwertung des Ablehnungsvorbringens.
107
Hinzu kommt, dass die Vorsitzende mehrfach ironische Formulierungen wählt, die zur Sachaufklärung nichts beitragen, aber geeignet sind, das Vorbringen der Beschwerdeführerin lächerlich zu machen. Dies ist der Fall, soweit sie auf die „Anatomie des menschlichen Auges“ eingeht, um ihre Blickrichtung in der mündlichen Verhandlung zu erklären, im selben Zusammenhang von einem Blick „gen Himmel“ spricht und die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen als „interessant“ einstuft.
108
Schließlich fasst die Vorsitzende das Ablehnungsgesuch verkürzend und entstellend zusammen, indem sie ausführt, der „Schwerpunkt der Rüge“ beziehe sich auf ihre Blickrichtung in der Sitzung vom 20. Juli 2022. Dies ist ersichtlich unzutreffend.
109
(2) Indiziert eine dienstliche Äußerung eine mögliche Voreingenommenheit des abgelehnten Richters derart deutlich, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob eine Besorgnis der Befangenheit dennoch auszuschließen ist. Dem genügen die Ausführungen des Oberlandesgerichts – auch bei Anerkennung eines weiten fachgerichtlichen Spielraums – nicht.
110
Das Oberlandesgericht verneint die Besorgnis der Befangenheit im Wesentlichen mit der Erwägung, die dienstliche Äußerung zeige zwar „ein gewisses Unverständnis über die Rüge“ der Beschwerdeführerin. Doch lasse ihre „Bewertung des Vorwurfs“ weder inhaltlich noch nach dem Wortlaut die gebotene Zurückhaltung vermissen beziehungsweise sei jeweils die Grenze zu unangemessener oder unsachlicher Kritik nicht überschritten.
111
Angesichts der sich aufdrängenden Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin wird diese pauschale und inhaltsleere Begründung, die sich mit den einzelnen gerügten Aspekten nicht näher auseinandersetzt, der Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gerecht. Die Grenze zum Verfassungsverstoß ist damit überschritten.
112
c) Keine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt hingegen in der Würdigung der dienstlichen Äußerung des Richters N. Diese ist bereits einfach-rechtlich nicht zu beanstanden.
113
3. Auf die Rüge der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot kommt es damit nicht mehr an.
II.
114
1. Der weitere Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10. Februar 2023 - 28 W 1655/22 Bau e - verletzt die Beschwerdeführerin ebenfalls in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
115
a) Dies gilt zunächst, soweit das Oberlandesgericht die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. mit Blick auf die Missachtung der Wartepflicht nach § 47 Abs. 1 ZPO verneint hat.
116
aa) Verstöße gegen die Wartepflicht begründen nach der verfassungskonformen fachgerichtlichen Rechtsprechung zwar nicht automatisch die Besorgnis der Befangenheit. Eine solche wird regelmäßig bei schwerwiegenden oder wiederholten Verstößen angenommen, nicht aber zum Beispiel dann, wenn die als fehlerhaft gerügte Anwendung des § 47 Abs. 1 ZPO bei objektiver Betrachtung zumindest vertretbar erscheint oder ein einmaliger Verstoß auf einem offensichtlichen Versehen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2016 - III ZR 461/15 - m.w.N.).
117
bb) Das Oberlandesgericht hat jedoch bei der Anwendung des einfach-rechtlichen Prüfungsmaßstabs die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen überschritten.
118
(1) Das Oberlandesgericht stützt sich – erstens – darauf, dass die Verstöße auf einem Rechtsirrtum der abgelehnten Richterin beruhten. Diese sei „ausschließlich von dem Bestreben geleitet“ gewesen, das Verfahren zu fördern. Das ergebe sich aus ihrer dienstlichen Äußerung.
119
Mit dieser Erwägung wird der verfassungsrechtlich geschützte Kern des Ablehnungsrechts verfehlt, wonach für die Besorgnis der Befangenheit auf die – wenn auch objektivierte – Sicht der Verfahrensbeteiligten zum Zeitpunkt der Ablehnung abzustellen ist. Maßgeblich ist der „böse Schein“, auf die tatsächliche innere Haltung des Richters kommt es nicht an.
120
Entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts kann eine dienstliche Äußerung, die im Nachhinein die Motive des Richters offenlegt, früheres Fehlverhalten nicht ungeschehen machen. Sie kann auch den Eindruck der Voreingenommenheit nicht ohne weiteres beseitigen. Zwar gibt es zum Strafprozessrecht Rechtsprechung der Fachgerichte, wonach eine dienstliche Äußerung einem Ablehnungsgesuch unter Umständen den Boden entziehen kann. Das soll der Fall sein, wenn der Richter Fehlverhalten eingesteht und/oder sich für sein Verhalten entschuldigt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 292/11 -, NStZ 2012, S. 168 m.w.N.; zum Meinungsstand vgl. Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 26 Rn. 27). Ob diese Rechtsprechung verfassungsrechtlich tragfähig ist, kann aber offenbleiben. Denn die genannten Voraussetzungen sind offensichtlich nicht erfüllt. Die geforderte Selbstkorrektur der abgelehnten Vorsitzenden ist ausgeblieben. Sie hat in ihrer dienstlichen Äußerung an ihrer unzutreffenden Rechtsauffassung schlicht festgehalten.
121
(2) Das Oberlandesgericht meint – zweitens – es sei nicht ersichtlich, „inwiefern sich aus den beide Parteien gleichermaßen betreffenden verfahrensleitenden Verfügungen der abgelehnten Richterin während des Zeitraums der Wartepflicht bei verständiger Würdigung aus Sicht der [Beschwerdeführerin] eine gerade ihr gegenüber unsachliche oder negative Einstellung ergeben sollte“.
122
Diese Erwägung steht ebenfalls zum verfassungsrechtlich garantierten Kernbestand des Ablehnungsrechts im Widerspruch. Denn das Oberlandesgericht übersieht, dass das Tätigkeitsverbot gerade dem Schutz der ablehnenden Partei dient (vgl. nur Vossler, in: BeckOK ZPO, 52. Edition, Stand: 1. März 2024, § 47 Rn. 1). Die Regelung soll die Garantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in verfahrensrechtlicher Hinsicht absichern, indem die Tätigkeit des abgelehnten Richters einstweilen auf unaufschiebbare Handlungen beschränkt wird.
123
b) Das Oberlandesgericht hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ferner verletzt, soweit es die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden Richterin C. mit Blick auf ihre dienstliche Äußerung verneint hat.
124
Die dienstliche Äußerung enthält Anhaltspunkte, die offenkundig auf eine mögliche Voreingenommenheit der abgelehnten Richterin schließen lassen, nämlich soweit sie ausführt, es „könnte die etwaige prozesstaktische Motivation der genannten Anträge durchaus objektiv beleuchtet werden.“ Hierin liegt eine Kritik an der Wahrnehmung des Ablehnungsrechts, die in einer dienstlichen Äußerung nicht statthaft ist. Die danach gebotene besonders sorgfältige Prüfung, ob die Besorgnis der Befangenheit dennoch verneint werden kann, leistet das Oberlandesgericht auch im vorliegend angegriffenen Beschluss nicht.
125
aa) Zunächst bleibt unberücksichtigt, dass im selben Verfahren bereits der Inhalt der früheren dienstlichen Äußerung vom 1. September 2022 Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs war, wie dem Senat bekannt war. Die abgelehnte Vorsitzende hatte also Anlass, in ihrer erneuten dienstlichen Äußerung jeden Anschein einer Voreingenommenheit zu vermeiden. Dazu war sie anscheinend nicht bereit, was die Besorgnis der Befangenheit ebenfalls dringend indiziert. In den Erwägungen des angegriffenen Beschlusses wird dieser Aspekt nicht behandelt. Bereits damit überschreitet das Oberlandesgericht die Grenze zum Verfassungsverstoß.
126
bb) Auch die weiteren Erwägungen tragen nicht. Soweit das Oberlandesgericht meint, die Vorsitzende habe das Vorgehen der Beschwerdeführerin nicht als negativ oder unangebracht bewertet, verfehlt dies erneut den Kern des Ablehnungsrechts. Maßgeblich ist die (objektivierte) Sicht der Beschwerdeführerin, der hier das unlautere Motiv der bloßen Prozesstaktik nahegelegt wird. Nicht nachvollziehbar ist weiter die Auffassung des Oberlandesgerichts, die „fragliche Bemerkung“ sei, was „Formulierung und Wortlaut“ angehe, ausschließlich sachlich gehalten. Denn der Ausdruck „prozesstaktisch motiviert“ ist ersichtlich eine abwertende Beschreibung des Prozessverhaltens der Beschwerdeführerin; die Formulierung, deren Motivation könnte „beleuchtet“ werden, legt nahe, sie wolle etwas verbergen. Schließlich ist dem Oberlandesgericht auch nicht darin zu folgen, es handele sich um eine „nach der Sachlage noch verständliche Reaktion“. Vielmehr hatte die Vorsitzende mit Blick auf das Vorgeschehen gerade Anlass, auf weitere unsachliche Einlassungen zu verzichten.
127
2. Ob die Verfassungsbeschwerde gegen den weiteren Beschluss auch hinsichtlich der übrigen Rügen der Beschwerdeführerin begründet ist, bedarf keiner Entscheidung.
III.
128
Die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts sind nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
C.
129
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung der Gegenstandswerte beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>) und richtet sich nach der objektiven Bedeutung der Sache.
130
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
- Christ
- Wolff
- Meßling