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Altersgrenze für Kassenärzte ist verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 38/1998 vom 16. April 1998

Beschluss vom 31. März 1998
1 BvR 2167/93

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat zwei Verfassungsbeschwerden einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführer rügten Normen, die ab 1999 das Erlöschen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vollendung des 68. Lebensjahres vorsehen.

Die 2. Kammer hat entschieden, daß diese Normen verfassungsgemäß sind.

I.

Die Beschwerdeführer, beide zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte, werden durch die folgenden Normen ab dem 1.1.1999 bzw. im Jahre 2004 diese Zulassung wegen Überschreitens der Altersgrenze verlieren.

Die Normen, gegen die sich die Verfassungsbeschwerden richteten, lauten (auszugsweise):

§ 95 Abs. 7 S. 2 SGB V (in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1992, GSG):

"...Im übrigen endet ab 1. Januar 1999 die Zulassung am Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Vertragsarzt sein achtundsechzigstes Lebensjahr vollendet. War der Vertragsarzt

1. zum Zeitpunkt der Vollendung des achtundsechzigsten Lebensjahres weniger als zwanzig Jahre als Vertragsarzt tätig und

2. vor dem 1. Januar 1993 bereits als Vertragsarzt zugelassen,

verlängert der Zulassungsausschuß die Zulassung längstens bis zum Ablauf dieser Frist..."

Art. 33 § 1 S. 1 GSG

"Altersgrenze für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte

Bei Vertragsärzten und Vertragszahnärzten, die am 1. Januar 1999 das 68. Lebensjahr bereits vollendet haben, endet die Zulassung am 1. Januar 1999. War der Vertragsarzt oder der Vertragszahnarzt zu diesem Zeitpunkt

1. weniger als 20 Jahre als Vertragsarzt oder als Vertragszahnarzt tätig und

2. vor dem 1. Januar 1993 als Vertragsarzt oder Vertragszahnarzt zugelassen,

verlängert der Zulassungsausschuß die Zulassung längstens bis zum Ablauf dieser Frist. Satz 1 gilt für angestellte Ärzte und Zahnärzte entsprechend."

Die Beschwerdeführer machten geltend, sie würden durch die Normen in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) sowie Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz) verletzt. 90% der Bevölkerung seien in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Allein von privaten ärztlichen Behandlungen könnten sie nicht existieren.

II.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die angegriffenen Normen für mit dem GG vereinbar erklärt. Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Zu Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit):

Ob der altersbedingte Ausschluß von der vertragsärztlichen Tätigkeit lediglich die Berufsausübung betrifft oder einer Beschränkung der Berufswahl gleichkommt, kann hier offenbleiben. Denn die Altersbegrenzung genügt auch den - erhöhten - verfassungsrechtlichen Anforderungen an Berufswahl beschränkende Regelungen.

Die Altersgrenze dient einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut - der Gesundheit - der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten. Wie bei allen Altersgrenzen, die die Berufsausübung im höheren Alter einschränken, dienen die angegriffenen Regelungen auch dazu, Gefährdungen, die von Älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Berufstätigen ausgehen, einzudämmen. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit auch heute noch mit zunehmendem Alter größer wird. Zur Sicherstellung dieses Ziels darf der Gesetzgeber auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine generalisierende Regelung erlassen; eine Prüfung der individuellen Leistungsfähigkeit ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich.

Die angegriffenen Regelungen sind auch verhältnismäßig.

Sie sind zur Sicherung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Vertragsarztes geeignet und erforderlich. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist weiter zu berücksichtigen, daß den bereits am 1. Januar 1993 zugelassenen Ärzten die Möglichkeit eingeräumt wird, wenigstens 20 Jahre eine vertragsärztliche Praxis zu betreiben. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, daß diese Zeitspanne ausreicht, getätigte Investitionen zu erwirtschaften und eine angemessene Alterssicherung aufzubauen.

Der Eingriff wird darüber hinaus dadurch abgemildert, daß der Vertragsarzt auch nach Vollendung des 68. Lebensjahres durch eine privatärztliche Tätigkeit Einkünfte erzielen kann.

2. Auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) ist nicht ersichtlich. Dieses Grundrecht kommt als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht, weil die angegriffenen Vorschriften sich auf die berufliche Betätigung und nicht auf deren Ergebnis beziehen.

3. Die Altersgrenze verstößt auch nicht insoweit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, als sie die Berufsausübung des Vertragsarztes im Gegensatz zu anderen freien Berufen beschränkt. Denn wenn eine zwischen Berufsgruppen differenzierende Regelung dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG standhält, liegt hierin regelmäßig zugleich die ausreichende Rechtfertigung für die vorgenommene Ungleichbehandlung.