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Erfolglose Verfassungsbeschwerde von Betreibern eines Metro-Großmarktes

Pressemitteilung Nr. 75/1998 vom 3. Juli 1998

Beschluss vom 04. Juni 1998
1 BvR 2652/95

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat eine Verfassungsbeschwerde der Betreiber eines Metro SB-Großmarktes nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführerinnen wendeten sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, mit denen ihnen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verschiedene Beschränkungen auferlegt worden sind.

I.

Die Beschwerdeführerinnen gehören zur "Metro-Gruppe". Sie betreiben einen SB-Großmarkt in Esslingen, der in Zuschnitt, Organisation und unternehmerischem Konzept den übrigen "Metro-Märkten" in Deutschland entspricht.

Die Metro befindet sich seit vielen Jahren in rechtlichen Auseinandersetzungen mit Einzelhandelsverbänden über die Frage, ob sie die gesetzlichen Privilegien eines Großhandelsunternehmens in Anspruch nehmen darf.

Auf die Klage eines eingetragenen Vereins zur Förderung der Interessen des Einzelhandels hin verurteilte das Landgericht Stuttgart (LG) die Beschwerdeführerinnen dazu, es zu unterlassen, in ihrem SB-Markt Waren für den betriebsfremden Eigenverbrauch der Kunden zu verkaufen, in der "Metro-Post" eine doppelte Preisauszeichnung (Netto- und Bruttopreis) ohne graphische Differenzierung vorzunehmen und ihre Kassen auch noch nach Schluß der gesetzlichen Ladenschlußzeiten offen zu halten. Zur Begründung stützte sich das LG im wesentlichen auf die sogenannte "Metro III"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. November 1989.

Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) bestätigte dieses Urteil, die Revision wurde vom BGH nicht angenommen.

Hiergegen erhoben die Beschwerdeführerinnen Verfassungsbeschwerde und rügten u.a. eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), weil ihnen gegenüber die ansonsten akzeptierte "10%-Toleranzschwelle" nicht angewendet werde. Nach dieser Toleranzschwelle bleibt die Großhandelseigenschaft unberührt, wenn die Privateinkäufe von Kunden 10% des Umsatzes nicht überschreiten. Sie - die Beschwerdeführerinnen - hätten im übrigen nach Vereinbarungen mit dem Hauptverband des deutschen Einzelhandels und der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Maßnahmen zur Reduzierung der betriebsfremden Privateinkäufe ergriffen. Ferner rügten sie die Verletzung des Gebots des "gesetzlichen Richters" (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), weil das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) hätte vorgelegt werden müssen, sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Sie ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Die von den Zivilgerichten angewendeten Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und der Preisangabenverordnung dienen dem Verbraucherschutz, die Bestimmungen des Gesetzes über den Ladenschluß dem Arbeitsschutz für Angestellte. Verbraucher- und Arbeitsschutz sind Gemeinwohlbelange, die eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit grundsätzlich rechtfertigen.

    Zwar beziehen sich diese Schutzbestimmungen auf den geschäftlichen Verkehr mit "Letztverbrauchern". Die angegriffenen Entscheidungen gehen jedoch davon aus, daß es keinen Erfahrungssatz gebe, wonach gewerbliche Einkäufer angesichts des Warensortiments und der Warenportionierung im SB-Markt der Beschwerdeführerinnen ihren Privatbedarf nicht dort abdeckten. Diese Einschätzung hat sich, wie die von den Beschwerdeführerinnen in die Ausgangsverfahren eingeführten Gutachten zeigen, als zutreffend erwiesen.

    Die Unterlassungsverurteilungen sind zur Erreichung der verfolgten gesetzgeberischen Zwecke auch geeignet und erforderlich.

    Zwar enthalten die Sachverständigen-Gutachten die Feststellung, daß der Anteil an betriebsfremden Privateinkäufen in dem SB-Markt der Beschwerdeführerinnen tatsächlich unter 10% des Gesamtumsatzes des Marktes liege. Die Ausführungen des OLG, weshalb es diesen Gutachten nicht gefolgt sei, sind jedoch in sich schlüssig und plausibel. Es bestehen deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß das OLG trotz der Gutachten davon ausgegangen ist, der Anteil der Privateinkäufe am Gesamtumsatz der Beschwerdeführerinnen liege über den gutachterlich festgestellten ca. 3 bzw. ca. 8%.

    Ebensowenig ist es verfassungsrechtlich zu beanstanden, daß das OLG den Beschwerdeführerinnen die Berufung auf die "10%-Toleranzschwelle" allein deshalb versagt hat, weil die Metro überhaupt keine Ausgangs- und Verwendungskontrollen durchführe. Verfassungsrechtlich wäre die Versagung der Anwendung der Toleranzgrenze unter Berufung auf fehlende Kontrollmaßnahmen erst dann problematisch, wenn zweifelsfrei feststünde, daß der Privatverkauf tatsächlich auch ohne solche Kontrollmaßnahmen nur marginal wäre. Es steht jedoch nach den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des OLG noch nicht einmal zweifelsfrei fest, daß der Anteil an Privatkäufen höchstens 10% des Gesamtumsatzes des SB-Marktes der Beschwerdeführerinnen ausmacht.

  2. Die Rüge einer Verletzung der Vorlagepflicht an den EuGH ist unbegründet.

    Die Entscheidung über die Einleitung eines Vorlageverfahrens ist nach Art. 177 EG-Vertrag zunächst Sache der Fachgerichte. Das BVerfG prüft nur, ob diese Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist. Dies ist nicht der Fall. Die Gerichte haben die Vorlagepflicht nicht grundsätzlich verkannt. Für das - ohnehin nicht vorlagepflichtige - OLG gilt dies schon deshalb, weil es sich mit der Frage einer Vorlage ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Hinsichtlich des Beschlusses des BGH ist davon auszugehen, daß er auf die europarechtlichen Erwägungen des OLG Bezug genommen und damit seiner Prüfungspflicht Genüge getan hat.

    Die Kammer führt weiter aus, daß die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen auch nicht bewußt von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen sind.

  3. Die angegriffenen Entscheidungen sind schließlich auch nicht willkürlich. Die Beschwerdeführerinnen rügen zu Unrecht, die Gerichte muteten ihnen Ausgangskontrollen zu, obwohl sie selbst solche Kontrollen für verfassungsrechtlich bedenklich hielten. Die Beschwerdeführerinnen sind nicht zu Ausgangskontrollen verurteilt worden. Die Gerichte haben ihnen lediglich die Privilegierung des Großhandels versagt, solange sie keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die Funktionsechtheit eines Großhandels sicherzustellen. Allein in diesem Zusammenhang stellt das OLG fest, daß, sollten alle anderen Maßnahmen scheitern, auch Ausgangskontrollen nicht unzumutbar wären. Das ist weder widersprüchlich noch schlechthin unvertretbar.