Bundesverfassungsgericht

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Zur Verfassungsmäßigkeit der Besitzstandsregelung in Art. 237 § 1 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum BGB

Pressemitteilung Nr. 82/1998 vom 16. Juli 1998

Beschluss vom 03. Juli 1998
1 BvR 13/98

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), in dem Art. 237 § 1 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) zum Nachteil der Beschwerdeführerin angewandt worden ist, nicht zur Entscheidung angenommen.

Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB ist durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz vom 17. Juli 1997 in das EGBGB eingefügt worden und lautet:

"Fehler bei dem Ankauf, der Enteignung oder der sonstigen Überführung eines Grundstücks oder selbständigen Gebäudeeigentums in Volkseigentum sind nur zu beachten, wenn das Grundstück oder selbständige Gebäudeeigentum nach den allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis, die im Zeitpunkt der Überführung in Volkseigentum hierfür maßgeblich waren (§ 4 Abs. 3 Buchstabe a Halbsatz 1 des Vermögensgesetzes), nicht wirksam in Volkseigentum hätte überführt werden können oder wenn die mögliche Überführung in Volkseigentum mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar war. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar sind Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben."

I.

In dem Verfahren ging es um ein Grundstück, das eine Erbengemeinschaft 1959 an ein Institut der DDR verkaufte. 1960 wurde das Grundstück im Grundbuch als Eigentum des Volkes eingetragen.

Die Beschwerdeführerin - Rechtsnachfolgerin eines Mitglieds der Erbengemeinschaft - klagte gegen die Rechtsnachfolgerin der Käuferin und trug u.a. vor, die Erbengemeinschaft sei nach wie vor Eigentümerin des Grundstücks, weil zwei frühere Mitglieder beim Verkauf nicht wirksam vertreten gewesen seien. Der BGH hat die Abweisung der Klage durch die Vorinstanz im Ergebnis bestätigt. Nach dem Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz seien Fehler bei dem Ankauf, der Enteignung oder der sonstigen Überführung eines Grundstücks in Volkseigentum nur zu beachten, wenn das Grundstück nach den allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis im Zeitpunkt der Überführung in Volkseigentum nicht wirksam in Volkseigentum hätte überführt werden können oder wenn die mögliche Überführung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar gewesen sei. Die Voraussetzungen dieser Regelung seien im vorliegenden Fall erfüllt.

Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG).

II.

Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Weder hat die Verfassungsbeschwerde grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Die Kammer führt aus, daß Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB nicht zu einer Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG führt. Vielmehr stellt die Norm eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.

Art. 14 Abs. 1 GG lautet:

"Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt."

Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB ist durch besonders gewichtige Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt und genügt auch im übrigen den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit.

In der DDR hatte die Einhaltung von Verfahrensvorschriften beim Erwerb von Volkseigentum nicht dieselbe Bedeutung wie bei Eigentumsübertragungen in der Bundesrepublik. Infolgedessen kam es in einer Vielzahl von Fällen zu faktischem Volkseigentum, dessen Bestand auch nach dem Recht der DDR in formeller Hinsicht zweifelhaft sein konnte, aber in der Rechtswirklichkeit nicht in Frage gestellt wurde. Zweck des Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB ist es, für diesen Bereich des (faktischen) Übergangs von Grundstücken in Volkseigentum Rechtssicherheit und auch Rechtsfrieden zu schaffen. Zur Erreichung dieser im besonderen öffentlichen Interesse liegenden Zwecke ist die Norm geeignet und auch erforderlich.

Der mit ihrer Anwendung verbundene Entzug einer formalen Eigentumsposition ist zumutbar. Insoweit hat der BGH nachvollziehbar dargelegt, daß die früheren Eigentümer zu DDR-Zeiten von dem endgültigen Übergang des Grundstücks in Volkseigentum ausgehen mußten. Auch nach der Wiedervereinigung hatten sie aufgrund der unklaren Rechtslage keine gesicherte Rechtsposition; sie konnten nicht darauf vertrauen, daß sie ihr früheres Eigentum zurückerhalten würden.

2. Auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt.

Insoweit hat der BGH u.a. zu Recht festgestellt, daß der getroffene Regelungsbereich mit der Rechtslage in den alten Bundesländern nicht vergleichbar sei.

Daß die Regelung Bestandsschutz nur für Volkseigentum, nicht aber auch für Privateigentum gewährt, vermag einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gleichfalls nicht zu begründen; es fehlt schon an der Übereinstimmung der zu vergleichenden Sachverhalte. Bei Eigentumsübertragungen an Private war in der DDR in wesentlich weitreichenderem Maße Rechtsschutz gegen Verfahrensmängel möglich als bei der Entstehung von Volkseigentum.