Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Anerkennung als Asylberechtigter

Pressemitteilung Nr. 96/1998 vom 2. September 1998

Beschluss vom 05. August 1998
2 BvR 153/96

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat aufgrund der Verfassungsbeschwerde (Vb) eines libanesischen Asylbewerbers ein Urteil des Verwaltungsgerichts Minden, mit dem seine Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt wurde, wegen Verstoßes gegen Art. 16a Abs. 1 GG ("Asylgrundrecht") zum Teil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen. Die Vb betraf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Feststellung des politischen Charakters einer Verfolgungsmaßnahme und an die Würdigung des Vorbringens eines Asylbewerbers zu seinen individuellen Verfolgungsgründen.

I.

Der Beschwerdeführer (Bf) ist libanesischer Staatsangehöriger. Er reiste im Oktober 1992 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Mann gab an, er gehöre zur Gruppe von General Aoun und sei festgenommen worden, als er Flugblätter mit Aufrufen zum Wahlboykott verteilt habe. Nach der Festnahme sei er schwer gefoltert worden. Gegen Zahlung einer Kaution habe man ihn freigelassen, woraufhin er in Erwartung eines Strafverfahrens im Libanon mit einer voraussichtlichen Haftstrafe von drei bis fünf Jahren nach Deutschland ausgereist sei. Seinen Asylantrag hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) 1994 abgelehnt und weiter festgestellt, daß auch keine Abschiebungshindernisse nach dem Ausländergesetz (AuslG) vorlägen. Gleichzeitig wurde dem Bf die Abschiebung in den Libanon angedroht. Zur Begründung hieß es, das Vorbringen sei nicht glaubhaft. Jedenfalls handele es sich nicht um einen Fall politischer Verfolgung, sondern um Ahndung kriminellen Unrechts. Anhaltspunkte für einen politischen Strafzweck seien nicht ersichtlich. Gegen diesen Bescheid erhob der Bf Klage vor dem Verwaltungsgericht Minden (VG). In der Verhandlung äußerte sich der Mann näher zu den Umständen seiner Festnahme, der Haft und den Gründen für das Verteilen der Flugblätter. Das VG hob daraufhin 1995 die Abschiebungsandrohung auf und verpflichtete das Bundesamt zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG. Zur Begründung führte das Gericht aus, es bestehe kein Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mannes. Er werde aber im Libanon nicht politisch verfolgt, da keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, daß die Behörden ihn zumindest auch wegen seiner politischen Überzeugung treffen wollten, was aber Voraussetzung für die Annahme politischer Verfolgung sei. Nach Üb erzeugung des Gerichts sei es den Behörden im Libanon nicht um die Bestrafung oder Unterdrückung der politischen Überzeugung einer Person, sondern ausschließlich um die Sicherung der staatlichen Ordnung und der Wahlen vor einem Boykott gegangen. Auch in der Folter liege keine politische Verfolgung, da Übergriffe gegen Beschuldigte im Libanon sowohl gegenüber "politischen" wie "gewöhnlichen" Straftätern ein gängiges Mittel seien. Darin könne nur ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG erblickt werden.

II.

Mit seiner Vb rügte der Bf die Verletzung der Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 3, 16a, 19 Abs. 4, 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 GG. Die Kammer hat die Vb zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung des "Asylgrundrechts" angezeigt war.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Verletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung können asylrechtsbegründend sein. Da insbesondere auch die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts liegt, kann eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Nur bei einer über die politische Betätigung hinausgehenden kriminellen Komponente könnten die Taten unter Umständen aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen.

    b) Bei der Prüfung dieser Merkmale verbleibt den Fachgerichten ein gewisser Wertungsrahmen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine Wertung dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist.

  2. a) Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Erwägungen des VG zum politischen Charakter der Verfolgung der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Anders als das VG meint, kommt es nicht darauf an, ob das Vorgehen gegen die Flugblattaktion "politisch motiviert" war oder nur die ungehinderte Durchführung der Wahlen sichern sollte. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die gegen den Bf ergriffenen Maßnahmen nach ihrer nach außen erkennbaren Gerichtetheit darstellen. Aus dem Urteil des VG wird nicht hinreichend deutlich, daß das Vorgehen einem anderen Ziel hätten dienen können als den Bf an der Betätigung seiner politischen Überzeugung, wonach die Wahlen nicht stattfinden dürften, zu hindern. Welche über diese Betätigung der politischen Überzeugung hinausgehende kriminelle Komponente in der Flugblattaktion zu sehen sein soll, etwa die Gefährdung staatlich geschützter Rechtsgüter, ist den Ausführungen des VG nicht zu entnehmen.

    b) Zudem führt das VG zur Gefahr von Mißhandlungen des Bf im Libanon aus, daß die Strafverfolgungsbehörden dort gerade hinsichtlich der Staatsschutzbestimmungen besonders empfindlich und "mit besonderer Härte" reagierten. Damit hat es in der Sache zugleich einen "Politmalus" festgestellt. Auf dieser Grundlage ist nicht mehr verständlich, weshalb das VG hieraus lediglich ein Abschiebungshindernis abgeleitet, eine drohende politische Verfolgung jedoch verneint hat. Im Gegenteil legt die vom VG angenommene gesteigerte Wahrscheinlichkeit von Mißhandlungen bei Verstößen gegen Staatsschutzbestimmungen gerade den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen nahe. Damit war das Urteil des VG aufzuheben, soweit es den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG verletzt, und zur erneuten Entscheidung an das VG zurückzuverweisen.