Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Feststellung subjektiver Nachfluchtgründe - hier: erfolgreiche Verfassungsbeschwerde

Pressemitteilung Nr. 120/1998 vom 5. November 1998

Beschluss vom 16. Oktober 1998
2 BvR 1328/96

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde eines Asylbewerbers ein verwaltungsgerichtliches Urteil teilweise - soweit es um § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG; Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter) ging - aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung an das Verwaltungsgericht (VG) zurückverwiesen.

I.

Den Asylantrag des im September 1993 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten iranischen Beschwerdeführers lehnte das Bundesamt im März 1994 ab. Eine hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Zur Begründung führte das VG u.a. aus, durch das vom Beschwerdeführer gegebene kritische Fernsehinterview, das für einen im Exil tätigen iranischen Fernsehsender aufgenommen und im Juli 1995 über den sogenannten "Offenen Kanal" in Dortmund ausgestrahlt worden sei, hebe sich der Beschwerdeführer "nicht aus der großen Masse der iranischen Asylbewerber heraus, die allgemein mit den politischen Verhältnissen im Iran unzufrieden" seien. Das Begehren auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG habe keinen Erfolg. Eine Gefahr für Leben oder persönliche Freiheit drohe dem Beschwerdeführer weder wegen seiner Asylantragstellung noch wegen seiner Aktivitäten in einem privaten Fernsehprogramm.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer die Verletzung verschiedener Grundrechte.

II.

Das angegriffene Urteil verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, soweit es die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG abgewiesen hat.

Die Erwägungen, mit denen das VG das Vorliegen einer Rückkehrgefährdung wegen exilpolitischer Betätigung und ein sich hieraus ergebendes Abschiebungsverbot im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG verneint hat, wird verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Die Begründung, der Beschwerdeführer habe sich durch seinen Fernsehauftritt nicht aus der großen Masse der iranischen Asylbewerber herausgehoben, läßt nicht erkennen, auf welcher Grundlage das Gericht zu seiner Beurteilung kommt. Es fehlt jegliche Darlegung, welche Kriterien es im Rahmen der Prüfung des § 51 Abs. 1 AuslG zur Abgrenzung zwischen unbedeutenden und bedeutenden exilpolitischen Aktivitäten herangezogen hat. Dazu, daß öffentliche Auftritte in einem Fernsehsender etwa zur gängigen Form der politischen Selbstdarstellung von iranischen Asylbewerbern gehören und als typische Plattform für Kritik an ihrem Heimatstaat genutzt werden, finden sich in der angegriffenen Entscheidung keinerlei Feststellungen noch gibt es dafür irgendwelche Anhaltspunkte.

Im Ergebnis bleibt deshalb die Beurteilung des Fernsehinterviews als unbedeutende Aktivität willkürlich. Insbesondere erscheint nicht ausgeschlossen, daß die Einschätzung des VG auf sachfremden Erwägungen beruht: Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, daß der Eindruck bestehe, der Beschwerdeführer sei gezielt "im zeitlichen Kontext zur mündlichen Verhandlung" aktiv geworden. Unmut darüber, daß erfolglose Asylbewerber ggf. aufgrund exilpolitischer Betätigung einen abschiebungsrechtlich relevanten Nachfluchtgrund schaffen, liegt grundsätzlich neben der Sache. Der Besonderheit selbstgeschaffener Nachfluchttatbestände wird dadurch Rechnung getragen, daß eine durch den Asylbewerber selbstgeschaffene Gefährdungssituation im Zusammenhang mit dem asylgrundrechtlichen Schutzanspruch aus Art. 16a Abs. 1 GG unbeachtlich bleibt.