Bundesverfassungsgericht

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Auch kommunale Wählervereinigungen und deren Dachverbände müssen von der Körperschaft- und Vermögensteuer befreit werden

Pressemitteilung Nr. 122/1998 vom 11. November 1998

Beschluss vom 29. September 1998
2 BvL 64/93

Der Zweite Senat des BVerfG hat entschieden, daß die Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und die des Vermögensteuergesetzes (VStG; gültig bis 31. Dezember 1996) mit dem GG insoweit unvereinbar und nichtig sind, als kommunalen Wählervereinigungen und ihren Dachverbänden im Gegensatz zu politischen Parteien und deren Gebietsverbänden keine gesetzliche Befreiung von der Körperschaft- und Vermögensteuer gewährt wird.

I.

Für die Erhebung der Körperschaft- und Vermögensteuer hinsichtlich kommunaler Wählervereinigungen und deren Dachverbänden sind § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 KStG und § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 1 VStG maßgeblich.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist der Dachverband der kommunalen Wählervereinigungen in Baden-Württemberg, ein eingetragener Verein. Nach seiner Satzung hat er den Zweck, bei der politischen Willensbildung des Volkes auf allen Ebenen, insbesondere im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, mitzuwirken. Der Dachverband wehrte sich dagegen, daß er 1990 zur Zahlung von Vermögen- und Körperschaftsteuer in Höhe von insgesamt rund 25.000,-- DM herangezogen wurde. Der Verband klagte vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg (FG). Das FG legte dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob die maßgeblichen Vorschriften des KStG und VStG insoweit mit den Grundsätzen der Chancengleichheit der politischen Parteien und anderen politischen Vereinigungen vereinbar sind, als kommunale Wählervereinigungen von den Befreiungen des KStG und des VStG ausgeschlossen sind. Nach Auffassung des FG sind die Vorschriften verfassungswidrig, weil für eine Differenzierung zwischen kommunalen Wählervereinigungen und Parteien keine zwingenden Gründe im Sinne des Gleichheitssatzes ersichtlich seien.

II.

Der Zweite Senat teilt die Auffassung des FG. Die zur Prüfung vorgelegten Normen verstoßen gegen das Grundrecht auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 9, 28 Abs. 1 S. 2 GG).

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Zwar nimmt der Dachverband selbst nicht an Wahlen teil. Er kann sich dennoch auf die Chancengleichheit berufen, weil sich sein Auftrag und seine tatsächlichen Handlungsweisen auf den Bereich der politischen Willensbildung im Vorfeld der Wahlen erstrecken.

2. Das Recht auf Chancengleichheit wird durch die vorgelegten steuerrechtlichen Bestimmungen verletzt. Die Unterschiede bei der Steuerlast für politische Parteien einerseits, kommunale Wählervereinigungen und ihre Dachverbände andererseits sind durch keinen verfassungsrechtlich tragfähigen Grund gerechtfertigt.

Die unterschiedliche Besteuerung verändert die Wettbewerbslage zwischen Parteien und kommunalen Wählervereinigungen in ernsthaft ins Gewicht fallender Weise. Sie findet keine Rechtfertigung in unterschiedlichen Aufgaben, Tätigkeitsfeldern und Finanzbedürfnissen der beiden im Wettbewerb stehenden Gruppen. Vielmehr erfaßt die Körperschaft- und die Vermögensteuer die kommunalen Wählervereinigungen und ihre Dachverbände ausschließlich beim Erzielen von Einkommen und beim Innehaben von Vermögen. Bei dieser Tätigkeit schaffen sich die kommunalen Wählervereinigungen vorbereitend wirtschaftliche Grundlagen für den Wettbewerb mit den politischen Parteien, ohne daß die Geldmittel schon für bestimmte Aufgaben oder Tätigkeitsbereiche gebunden wären.

Im Gegensatz dazu werden das Einkommen und das Vermögen der politischen Parteien von der Besteuerung befreit, ohne daß es auf die Summe, Zweckbindung oder Verwendung ankäme. Die Vorteile des staatlichen Steuerverzichts kommen allen Parteien unabhängig von ihrem Tätigkeitsfeld, ihrer Größe und ihrem Wahlerfolg zugute. Die Chancengleichheit beider Wettbewerber ist deshalb erheblich beeinträchtigt.

Besteuerungsgrenzen und Freibeträge rechtfertigen diesen Nachteil nicht. Der Senat führt weiter aus, daß die Benachteiligung auch nicht dadurch verfassungsrechtlich gerechtfertigt wird, daß kommunale Wählervereinigungen bei der Entgegennahme von Beiträgen und Spenden die verfassungs- und steuerrechtlichen Grenzen der Steuerfreiheit von Spenden und Beiträgen umgehen könnten.

III.

Die angegriffenen Vorschriften sind nichtig, soweit sie kommunale Wählervereinigungen und ihre Dachverbände zur Körperschaft- und Vermögensteuer heranziehen. Für den Zeitraum bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber kann die Ungleichbehandlung nur dadurch ausgeräumt werden, daß die kommunalen Wählervereinigungen und ihre Dachverbände in den noch nicht bestandskräftig entschiedenen Fällen in die Steuerbefreiung einbezogen werden. Für die Zukunft bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, eine andere, gleichheitskonforme Regelung zu schaffen.