Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde mehrerer Kommunen im Zusammenhang mit unentgeltlicher Nutzung von Verkehrswegen für Telekommunikationslinien

Pressemitteilung Nr. 8/1999 vom 21. Januar 1999

Beschluss vom 07. Januar 1999
2 BvR 929/97

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde mehrerer Kommunen, darunter die Landeshauptstädte München und Wiesbaden, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die unentgeltliche Nutzungsberechtigung an öffentlichen Verkehrswegen für die Durchleitung von Telekommunikationslinien (§ 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und Abs. 4 des Telekommunikationsgesetzes (TKG); Wortlaut s. Anlage).

I.

  1. Das - vollständig seit dem 1. Januar 1998 in Kraft befindliche - TKG regelt in den § 50ff. die Benutzung öffentlicher Verkehrswege für den Bau von Leitungen. Danach gilt folgendes:

    Das Leitungsrecht ist zweistufig ausgestaltet. Die Nutzungsberechtigung steht zunächst gemäß § 50 Abs. 1 TKG dem Bund zu. Er kann diese Berechtigung aber nicht selbst in Anspruch nehmen, sondern muß sie gemäß § 50 Abs. 3 TKG auf diejenigen Lizenznehmer übertragen, die eine Lizenz zum Betreiben von Übertragungswegen erworben haben. Für diese Lizenz müssen die Lizenznehmer eine Gebühr entrichten. Die ihnen zugleich übertragene Nutzungsberechtigung an öffentlichen Wegen ist dagegen unentgeltlich (§ 50 Abs. 1 S. 1 TKG). Insbesondere können die Eigentümer der Verkehrswege von den Lizenznehmern keine Nutzungsentgelte verlangen.

  2. Die insgesamt zehn Beschwerdeführer erhoben gegen § 50 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und 4 TKG Kommunalverfassungsbeschwerde und rügten eine Verletzung der Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG (Wortlaut siehe Anlage).

II.

Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat die Kommunalverfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie - soweit zulässig erhoben - unbegründet ist. Der Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG ist durch die angegriffene Norm nicht berührt.

  1. Die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich zu. Die Selbstverwaltungsgarantie bedarf der Ausgestaltung und Formung durch den Gesetzgeber.

    Art. 28 Abs. 2 GG räumt den Gemeinden Eigenverantwortlichkeit auch im Hinblick auf die Finanzhoheit im gemeindeinternen Bereich ein.

  2. Der Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG ist hier nicht berührt.

    a) Unentgeltliche Nutzungsberechtigung (§ 50 Abs. 1 S. 1 TKG)

    Die Vorschrift entzieht den Gemeinden keine Aufgaben auf dem Gebiet der gemeindlichen Daseinsvorsorge. Es bleibt ihnen vielmehr unbenommen, nach Einholung einer Lizenz selbst Telekommunikationslinien zu betreiben oder Sprachtelefondienste anzubieten.

    Auch die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden bei der Verwaltung von Gemeindestraßen wird durch diese Vorschrift jedenfalls nicht in einer Weise betroffen, die den Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie berühren könnte. Eine spezifische Betroffenheit in diesem Sinn kann zwar vorliegen, wenn der Gesetzgeber unmittelbar regelnde Vorgaben für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung setzt oder zielgerichtet auf die Erfüllung der Aufgabe Einfluß nimmt. Das ist hier jedoch nicht erkennbar.

    Die Beschwerdeführer sind durch die angegriffene Regelung auch nicht in ihrer Finanzhoheit betroffen. Diese gewährleistet lediglich die Eigenverantwortlichkeit des gemeindlichen Wirtschaftens und nicht einzelne Vermögenspositionen. § 50 Abs. 1 S. 1 TKG hindert die Gemeinden nur daran, durch eine bestimmte Nutzung aus einzelnen Vermögensgegenständen Einnahmen zu erzielen. Er untersagt, für die Durchleitung von Telekommunikationsleitungen Entgelte zu erheben. Die grundsätzliche wirtschaftliche Nutzbarkeit des Gemeindevermögens im übrigen bleibt unberührt. Weil die Finanzausstattung der Gemeinden durch § 50 Abs. 1 S. 1 TKG nicht verändert wird, bedurften Fragen der angemessenen Finanzausstattung oder der finanziellen Mindestausstattung keiner Erörterung.

    b) Beteiligungsrechte der Gemeinden (§ 50 Abs. 3 und Abs. 4 TKG)

    Der verfahrensrechtliche Gehalt der von Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Planungshoheit ist nicht betroffen. Es kann offenbleiben, ob die Rechtsprechung des BVerfG zur Beteiligung der Gemeinden bei Eingriffen in ihre Planungshoheit einschlägig ist, weil deren Beteiligung hier hinreichend gewährleistet ist.

    Soweit die Kommunen als Eigentümer der betroffenen Verkehrswege nicht bereits nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz anzuhören sind, steht ihnen nach der Rechtsprechung der Fachgerichte bei Beeinträchtigung der Planungshoheit ein Anhörungsanspruch unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG zu.

    Die Berücksichtigung ihrer sachlichen Belange ist ebenfalls in verfassungsrechtlich ausreichendem Maß sichergestellt. Für oberirdische Leitungen ist sie in § 50 Abs. 3 S. 2 TKG ausdrücklich vorgesehen. Auch für unterirdische Leitungen ist sie hinreichend gewahrt, und zwar selbst dann, wenn man mit den Beschwerdeführern davon ausgeht, daß bei unterirdischen Leitungen nach dem Sinn und Zweck der angegriffenen Regelung nur technische Belange berücksichtigungsfähig sind. Die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Gesichtspunkte, insbesondere mögliche Konflikte mit anderen Versorgungsleitungen wie Abwasser oder Energie, sind nämlich sämtlich technische Belange.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 8/99 vom 21. Januar 1999

§ 50 TKG

"Grundsatz der Benutzung öffentlicher Wege

(1) Der Bund ist befugt, Verkehrswege für die öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationslinien unentgeltlich zu benutzen, soweit nicht dadurch der Widmungszweck der Verkehrswege dauernd beschränkt wird (Nutzungsberechtigung). Als Verkehrswege gelten die öffentlichen Wege, Plätze und Brücken sowie die öffentlichen Gewässer.

(2) Der Bund überträgt das Recht nach Absatz 1 auf Lizenznehmer nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 im Rahmen der Lizenzerteilung nach § 8. Telekommunikationslinien sind so zu errichten und zu unterhalten, daß sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung sowie den anerkannten Regeln der Technik genügen.

(3) Die Verlegung neuer Telekommunikationslinien und die Änderung vorhandener Telekommunikationslinien bedürfen der Zustimmung der Träger der Wegebaulast. Bei der Verlegung oberirdischer Leitungen sind die Interessen der Wegebaulastträger, der Lizenznehmer und die städtebaulichen Belange abzuwägen. Die Zustimmung kann mit technischen Bedingungen und Auflagen versehen werden, die diskriminierungsfrei zu gestalten sind.

(4) Ist der Wegebaulastträger selbst Lizenznehmer oder mit einem Lizenznehmer im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zusammengeschlossen, so ist die Regulierungsbehörde für die Zustimmungserteilung nach Absatz 3 zuständig, wenn ein anderer Lizenznehmer die Verkehrswege des Wegebaulastträgers nutzen will."

Art. 28 Abs. 2 GG

"Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung."