Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde von "Radio Bremen"

Pressemitteilung Nr. 9/1999 vom 22. Januar 1999

Beschluss vom 15. Januar 1999
1 BvR 1946/98

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde der Rundfunkanstalt "Radio Bremen" einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen Übergangsvorschriften im Gesetz zur Änderung des Radio-Bremen-Gesetzes vom 27. Oktober 1998 (ÄndG), die die Beendigung der Amtszeit des nach der bisherigen Gesetzesfassung gewählten Direktoriums sowie die Wahl einer Intendantin oder eines Intendanten und eines neuen Direktoriums zum 30. April 1999 regeln.

I.

  1. Mit dem ÄndG wird die Organisationsstruktur von "Radio Bremen" von einer Direktoriums- auf eine Intendantenverfassung umgestellt und damit denjenigen der übrigen Rundfunkanstalten angeglichen. Das Gesetz enthält im wesentlichen folgende Änderungen:

    - Der Intendant, der nach der alten Rechtslage nur Teil des Direktoriums war, ist nunmehr neben Rundfunkrat, Verwaltungsrat und Direktorium ein eigenes Organ der Anstalt, leitet sie und trägt die Verantwortung für den Betrieb und die Programmgestaltung.

    - Jedes Mitglied des Direktoriums leitet weiterhin seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung, künftig allerdings unter Beachtung der Gesamtverantwortung des Intendanten.

    - Die Wahl der Mitglieder des Direktoriums durch den Rundfunkrat erfolgt auf Vorschlag des Intendanten.

    - Der Intendant und die Direktoren können aus wichtigem Grund mit Zwei-Drittel-Mehrheit vom Rundfunkrat abberufen werden, die Direktoren auf Vorschlag des Intendanten auch mit einfacher Mehrheit (bisher: nur Abwahl durch den Rundfunkrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit).

    Art. 2 ÄndG enthält Übergangs- und Schlußvorschriften, deren Wortlaut in der Anlage beigefügt ist.

  2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die den Intendanten und die Direktoren betreffenden Bestimmungen der Übergangs- und Schlußvorschriften in Art. 2 Abs. 2 bis 5 ÄndG und rügte deren Unvereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Rundfunkfreiheit).

    Zur Begründung heißt es u.a., bei dem ÄndG handele es sich um eine "lex Klostermeier" (derzeitiger Intendant der Anstalt). Dieser solle von den Koalitionsfraktionen der SPD und CDU, nachdem dessen erwartete Ablösung durch den Rundfunkrat nicht erfolgt sei, auf dem Weg der Gesetzgebung vorzeitig aus dem Amt scheiden. Der Gesetzgeber habe mit dem ÄndG in mißbräuchlicher Weise die Grenzen seiner Gestaltungsmacht überschritten.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schützt die Rundfunkfreiheit im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Er verlangt vom Gesetzgeber eine positive Ordnung des Rundfunks, die geeignet ist, die Zielvorgaben des Grundrechts zu verwirklichen. Dazu gehört insbesondere die Organisationsstruktur des Rundfunks. Zwar genießt der Gesetzgeber insoweit weitgehende Freiheit. Insbesondere ist es ihm auch nicht verwehrt, die Organisationsstruktur zu ändern. Allerdings dürfen solche Änderungen nicht zur Einflußnahme auf die publizistische Tätigkeit des Rundfunks verwendet werden, die nach dem Willen des GG gerade von politischer Bestimmung freigehalten werden soll. Dieses Verbot bezieht sich nicht nur auf das Programm, sondern auch auf die Personen, die das Programm gestalten oder verantworten. Der Gesetzgeber ist nicht berechtigt, ihre Amtsführung verdeckt zu sanktionieren oder sie wegen ihrer Amtsführung zu ersetzen.

    Organisatorische Änderungen, die eine vorzeitige Beendigung von Amtsperioden zur Folge haben, sind dem Verdacht versteckten Einflusses auf die Personalpolitik des Rundfunks in besonderem Maße ausgesetzt. Deswegen müssen hier zur Verhütung von Mißbräuchen an den Änderungsbedarf hohe Anforderungen gestellt werden. Regelmäßig wird ein Mißbrauch dann ausscheiden, wenn die Änderung einen gewichtigen sachlichen Grund hat, in die bisherige Organisation intensiv eingreift und so dringlich ist, daß das Ende der Amtsperiode nicht ohne Gefährdung der sachlichen Reform abgewartet werden kann.

  2. Gemessen hieran bieten die angegriffenen Normen für ein rechtsmißbräuchliches Verhalten des Gesetzgebers keinen hinreichenden Anhalt.

    a) Den in Art. 1 ÄndG geregelten Änderungen der Organisationsstruktur lag ein gewichtiger sachlicher Anlaß zugrunde. Mit der Gesetzgebungsinitiative reagierte die Bürgerschaft auf die sich abzeichnende Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin, die von dem medienpolitischen Widerstand gegen den Bestand von Radio Bremen im Rahmen der geplanten ARD-Strukturreform sowie von den Bestrebungen zur Abschaffung oder Veränderung des ARD-Finanzausgleichs ausgeht.

    Die aus Anlaß der Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin vorgenommene Gesetzesänderung führt auch zu einer derart tiefgreifenden Änderung der Organstruktur, daß insgesamt nicht mehr von einer Organkontinuität ausgegangen werden kann. Der Intendant ist nach dem Vorbild der übrigen Rundfunkanstalten vom bloßen Vorsitzenden des Direktoriums nunmehr in ein eigenständiges Organ der Anstalt umgewandelt. Die Leitungsfunktion des Direktoriums ist auf ihn übertragen worden. Das Direktorium ist nach der Neuregelung dem Organ Intendant nachgeordnet und steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm.

    Die Kammer führt aus, daß diese Intensität der Strukturveränderung die Organneubesetzung notwendig macht.

    b) Schließlich ergibt sich auch aus der Festlegung des konkreten Zeitpunktes des Inkrafttretens der Novellierung des Radio-Bremen-Gesetzes (30. April 1999) kein greifbarer Anhaltspunkt für eine insoweit mißbräuchliche Ausübung der gesetzgeberischen Gestaltungsmacht. Der Gesetzgeber wäre an einer zeitnahen Umsetzung seiner tiefgreifenden Organisationsveränderung gehindert, wenn er den Ablauf der Amtszeit sämtlicher bisherigen Direktoriumsmitglieder abwarten müßte. Der sachliche Anlaß der Strukturveränderung rechtfertigt eine zügige Umsetzung. Die Existenzbedrohung der Beschwerdeführerin ist gegenwärtig. Der Gesetzgeber durfte daher davon ausgehen, daß eine bis ins Jahr 2002 aufgeschobene Reform die mit ihr beabsichtigte Wirkung nicht mehr erzielen würde.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 9/99 vom 22. Januar 1999

Artikel 2 ÄndG:

"(1) Dieses Gesetz tritt nach Maßgabe dieses Artikels am 30. April 1999 in Kraft.

(2) Die Amtszeit des nach dem Radio-Bremen-Gesetz vom 22. Juni 1993 (Brem.GBl. S. 197 - 225-b-1), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Februar 1998 (Brem.GBl. S. 27) geändert worden ist, gewählten Direktoriums endet mit Inkrafttreten dieses Gesetzes.

(3) Der Rundfunkrat wählt nach Artikel 1 Nr. 9 den Intendanten oder die Intendantin und danach auf Vorschlag dieses Intendanten oder dieser Intendantin die Direktoren oder Direktorinnen spätestens bis zum 30. April 1999. Der Intendant oder die Intendantin kann das Vorschlagsrecht nach Artikel 1 Nr. 9, soweit § 15 Abs. 3 S. 1 anzuwenden ist, auch vor dem Amtsantritt ausüben.

Soweit die nach Satz 1 Gewählten ihr Amt nicht bis zum 1. Mai 1999 antreten können, kann der Vorsitzende des Verwaltungsrats erforderlichenfalls mit einzelnen der nach Absatz 2 oder 4 bis 30. April 1999 amtierenden Amtsinhabern eine Verlängerung ihrer Amtsführung über den 30. April 1999 hinaus bis zum Amtseintritt vereinbaren.

(4) Soweit der Vertrag eines Mitglieds des Direktoriums vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ausläuft, kann der Verwaltungsrat dessen Vertrag bis längstens zum 30. April 1999 verlängern.

(5) Betreffend Absätze 3 und 4 tritt das Gesetz am Tage nach der Verkündung in Kraft. Damit tritt § 15 Abs. 2 des in Absatz 2 genannten Gesetzes außer Kraft."