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Steuerfreiheit der "Zulage-Ost" ist verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 12/1999 vom 28. Januar 1999

Beschluss vom 11. November 1998
2 BvL 10/95

Der Zweite Senat des BVerfG hat auf eine gerichtliche Vorlage festgestellt, daß die Vorschriften, nach denen im Gebiet der früheren DDR arbeitenden Bundesbediensteten im Jahr 1993 eine steuerfreie Aufwandsentschädigung gezahlt worden ist, gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Steuergerechtigkeit verstoßen.

I.

Nach der 1957 eingeführten Regelung des § 3 Nr. 12 Einkommensteuergesetz (EStG; Wortlaut s. Anlage) sind aus öffentlichen Kassen gezahlte Aufwandsentschädigungen für im öffentlichen Dienst stehende Personen unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei. Was unter "Aufwandsentschädigung" zu verstehen ist, regelt insbesondere § 17 Bundesbesoldungsgesetz (Wortlaut s. Anlage).

Auf dieser Grundlage sowie einer Richtlinie des Bundesministers des Innern und der jeweiligen Ausweisung in den Bundeshaushaltsplänen für die Jahre 1990 bis 1993 wurden den im Beitrittsgebiet tätigen Bundesbediensteten steuerfreie Aufwandsentschädigungen gewährt. In den Folgejahren wurden diese Entschädigungen stetig reduziert.

II.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wurde 1991 an die Oberfinanzdirektion Cottbus versetzt und erhielt für das Streitjahr 1993 eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 27.600,-- DM. Sie erhob vor dem Finanzgericht Brandenburg Klage mit dem Ziel, für das Veranlagungsjahr 1993 neben der Aufwandsentschädigung ihre Werbungskosten voll absetzen zu können. Im Rahmen dieses Verfahrens hat das Finanzgericht dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorgelegt, ob § 3 Nr. 12 S. 1 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Das vorlegende Gericht ist der Meinung, die Regelung begünstige Bedienstete des öffentlichen Dienstes ohne sachlich rechtfertigenden Grund und verstoße deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

III.

Der Zweite Senat des BVerfG, der die Vorlagefrage entsprechend der Begründung des Beschlusses auf die im Jahr 1993 an Bundesbedienstete gezahlten Aufwandsentschädigungen ("Zulage-Ost") beschränkt hat, teilt die Auffassung des Finanzgerichts.

§ 3 Nr. 12 S. 1 EStG in seiner Anwendung auf Zulagen für Besoldungsempfänger des Bundes wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit im Beitrittsgebiet verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil diese Zulagen überwiegend Erwerbseinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind und deshalb als solche besteuert werden müssen. Auch die Begrenzung dieses Steuerprivilegs auf Bezüge aus einer Bundes- oder Landeskasse verletzt den Gleichheitssatz, weil er die sonstigen Arbeitnehmer von dieser Steuerfreiheit ausnimmt, obwohl sie unter in gleicher Weise veränderten Arbeitsbedingungen tätig sind. Schließlich verstößt § 3 Nr. 12 S. 1 EStG in dieser Anwendung auch insoweit gegen die Gleichheit "vor dem Gesetz", als die Belastungs- und Entlastungsgründe nicht im Steuergesetz mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorbezeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltet sind.

  1. Zur Begründung heißt es u.a.:

    Einnahmen und Aufwendungen, die durch eine Erwerbstätigkeit veranlaßt sind und deshalb in die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden, bilden den Ausgangstatbestand der Einkommensteuer. Abweichungen von diesem Tatbestand bedürfen eines besonderen, sachlich-rechtfertigenden Grundes.

    Für das Privileg der Steuerfreiheit der "Zulage-Ost" fehlt es an einem solchen rechtfertigenden Grund.

    a) Die hier zu beurteilende Zuwendung für eine dienstliche Tätigkeit "bei einer Dienststelle im Beitrittsgebiet" ist überwiegend eine Stellenzulage. Die Aufwandsentschädigung betrug in der Besoldungsgruppe R teilweise bis zu 2.500,-- DM monatlich; reisekosten- und trennungsgeldrechtliche Leistungen wurden zusätzlich gezahlt.

    Die an die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Streitjahr 1993 gezahlte, unversteuerte Aufwandsentschädigung in Höhe von 27.600,-- DM glich im Kern nicht tatsächlich entstandenen Erwerbsaufwand aus, sondern bot einen finanziellen Anreiz für die Übernahme der Stelle in Cottbus. Sie erhöht also das Gehalt der Klägerin, ist damit Bestandteil ihrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und unterliegt folglich der Einkommensteuer.

    b) Die Steuerfreiheit der "Aufwandsentschädigung" kann auch nicht als Verschonungssubvention gerechtfertigt werden. Zwar schließt der Gleichheitssatz nicht jede steuerliche Verschonung aus, die das Verhalten des Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will. Eine solche Intervention, die das Steuerrecht in den Dienst außerfiskalischer Verwaltungsziele stellt, setzt aber voraus, daß der Gesetzgeber Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorzeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltet.

    Die unter der Bezeichnung "Aufwandsentschädigung" gewährte Stellenzulage ist im Gesetz nicht als konkreter Anreiz, als Stellenzulage für bestimmte Tätigkeiten gekennzeichnet und begrenzt. Vielmehr ist sie als Entschädigung für "die mit dem Aufenthalt im Beitrittsgebiet verbundenen besonderen Aufwendungen" ausgestaltet. Die Zahlung der Stellenzulage unter der Bezeichnung "Aufwandsentschädigung" macht deutlich, daß der einer Zulage innewohnende Lenkungszweck gesetzlich nicht einmal angedeutet, geschweige denn tatbestandlich vorgezeichnet ist. Die Frage, inwieweit eine einkommensteuerrechtliche Steuerfreiheit wiedervereinigungsbedingte Anreize und Subventionen überbringen darf, kann deshalb hier im Ergebnis offenbleiben.

    c) Die Begrenzung der Steuerfreiheit auf Bezüge, die aus öffentlichen Kassen gezahlt werden, benachteiligt zudem die Bezieher von Aufwandsentschädigungen aus sonstigen Kassen, insbesondere die privaten Arbeitnehmer. In beiden Fallgruppen werden die Zulagen zum Arbeitsentgelt gezahlt, um die Bereitschaft zu einer Tätigkeit in den neuen Bundesländern und zu veränderten Arbeitsbedingungen zu honorieren. Diese Besonderheiten sind für öffentliche wie für private Arbeitnehmer gleich. Insoweit gibt es keinen rechtfertigenden Grund, weshalb eine Stellen- oder Erschwerniszulage je nach Art des Arbeitsrechtsverhältnisses unterschiedlich besteuert werden dürfte.

  2. Folgen der Unvereinbarkeit

    Grundsätzlich umfaßt die Erklärung der Unvereinbarkeit von Normen mit dem GG alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Regelungen beruhen. Dies hätte im vorliegenden Fall zur Folge, daß § 3 Nr. 12 S. 1 EStG bei allen noch anfechtbaren Steuerbescheiden für das Veranlagungsjahr 1993 auf die Aufwandsentschädigung für Tätigkeiten von Bundesbediensteten im Beitrittsgebiet nicht angewendet werden dürften. Der Senat führt aus, daß eine solche rückwirkende Regelung jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und im Hinblick auf die Erfordernisse der Rechtssicherheit verfassungsrechtlich nicht angezeigt ist.

    Die Unvereinbarkeitserklärung im vorliegenden Fall wird sich also weder für die Klägerin des Ausgangsverfahrens noch für weitere hiervon Betroffene nachteilig durch eine rückwirkende Aufhebung der Steuerbefreiung auswirken.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 12/98 vom 28. Januar 1999

§ 3 Nr. 12 EStG

"Steuerfrei sind ...

Nr. 12: aus einer Bundeskasse oder Landeskasse gezahlte Bezüge, die in einem Bundesgesetz oder Landesgesetz oder einer auf bundesgesetzlicher oder landesgesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung oder von der Bundesregierung oder einer Landesregierung als Aufwandsentschädigung festgesetzt sind und als Aufwandsentschädigung im Haushaltsplan ausgewiesen werden. Das gleiche gilt für andere Bezüge, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, daß sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen; ..."

§ 17 Bundesbesoldungsgesetz

Aufwandsentschädigungen dürfen nur gewährt werden, wenn aus dienstlicher Veranlassung Aufwendungen entstehen, deren Übernahme dem Beamten, Richter oder Soldaten nicht zugemutet werden kann, und der Haushaltsplan Mittel dafür zur Verfügung stellt.