Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche "Asyl-Verfassungsbeschwerde" eines Kurden

Pressemitteilung Nr. 25/1999 vom 3. März 1999

Beschluss vom 22. Januar 1999
2 BvR 86/97

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde eines Türken kurdischer Volkszugehörigkeit ein verwaltungsgerichtliches Urteil aufgehoben, mit dem die Klage des Türken auf Anerkennung als Asylberechtigter abgewiesen worden ist.

Das Verwaltungsgericht (VG) muß auf der Grundlage dieser Kammerentscheidung die Sache erneut verhandeln und entscheiden.

I.

Der Beschwerdeführer reiste im September 1990 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er u.a. an, er habe die PKK finanziell unterstützt und sei deshalb mehrfach - bis fünfzehn Mal - für ein oder zwei Tage verhaftet worden. Beim letzten Mal sei er sogar einen Monat lang inhaftiert gewesen und dabei mißhandelt und gefoltert worden. Man habe ihn geschlagen und mit Stiefeln getreten. Den ihm gemachten Vorwurf der Unterstützung der Kurden bzw. der PKK habe er eingeräumt.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab. Eine hiergegen gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

II.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat festgestellt, daß das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des VG den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG verletzt.

  1. Das VG hat die vom Beschwerdeführer unter Beweis gestellten Behauptungen dazu, daß er in der Türkei wiederholt wegen Unterstützung der PKK verhaftet worden sei, als wahr unterstellt. Das VG hat damit seiner Entscheidung im wesentlichen den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Sachverhalt zugrunde gelegt. Die Qualifizierung der Behandlung des Beschwerdeführers durch staatliche Stellen als asylrechtlich unerheblich hält einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

    a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG können auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung asylrechtsbegründend sein. Da insbesondere auch die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts liegt, kann eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Es bedarf einer besonderen Begründung, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. Hierfür kommt der Rechtsgüterschutz in Betracht, sofern die staatlichen Maßnahmen einer über die Betätigung der politischen Überzeugung hinaus gehenden zusätzlichen kriminellen Komponente gelten.

    Nicht asylbegründend sind staatliche Maßnahmen nur dann, wenn und soweit sie sich auf die Abwehr des Terrorismus beschränken. Wird hingegen über die Bekämpfung von Straftaten hinaus der politische Gegner - in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal - verfolgt, kommt den dabei ergriffenen staatlichen Maßnahmen asylbegründende Wirkung zu. So vermag insbesondere eine (angebliche) Terrorismusbekämpfung staatlichen Gegenterror, der etwa darauf gerichtet ist, die nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung in Erwiderung des Terrorismus unter dem Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen, nicht zu rechtfertigen.

    b) Gemessen hieran hätte das VG berücksichtigen müssen, daß vor allem die Häufigkeit der Verhaftungen, deren schikanöse Tendenz, die dem Beschwerdeführer zugefügte menschenrechtswidrige Behandlung, deren Fortsetzung trotz der von ihm eingeräumten Unterstützung der PKK und schließlich auch das Ausbleiben gesetzlich vorgesehener strafrechtlicher Konsequenzen im Sinne "sonstiger Umstände" Anhaltspunkte dafür geben können, daß es sich hierbei um Maßnahmen politischer Verfolgung handelt. In dieser Erscheinungsform können die genannten Maßnahmen jenseits der Terrorismusbekämpfung auch zum Ziel haben, die im Einzelfall festgestellte oder generell bei allen Kurden in Südostanatolien vermutete, mit dem Terrorismus/Separatismus sympathisierende Gesinnung durch Anwendung menschenrechtswidriger Gewalt und fortwährende Schikanen zu bekämpfen.

  2. Die Kammer legt weiter dar, daß das VG darüber hinaus verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen ist, die Frage weiter aufzuklären, ob die dem Beschwerdeführer widerfahrenen staatlichen Maßnahmen härter als diejenigen zur Verfolgung ähnlicher nicht politischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit und damit asylrelevant gewesen sein könnten.

    Die Begründung, der Beschwerdeführer habe hierfür nichts dargelegt und auch aus der allgemeinen Lageerkenntnis sei dies nicht erkennbar, kann sich nicht auf eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Grundlage stützen.