Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Ausschluß der Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken von Verfolgten des NS-Regimes - hier: Erfolglose Verfassungsbeschwerden

Pressemitteilung Nr. 31/1999 vom 16. März 1999

Beschluss vom 17. Februar 1999
1 BvR 1579/95

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde von Rechtsnachfolgern jüdischer Eigentümer, die ihr Eigentum an zwei Grundstücken unter dem NS-Regime verloren hatten, nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Anträge der Beschwerdeführer, ihnen die Grundstücke nach dem Vermögensgesetz (VermG) zurückzuübertragen, wurden von den Verwaltungsbehörden abgelehnt. Auch ihre Klagen vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos, weil auch Vermögenswerte, die durch nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen entzogen worden sind, gem. § 4 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. b und c VermG (Wortlaut s. Anlage) von der Rückübertragung nach dem VermG ausgeschlossen seien.

I.

  1. Nach dem (in der Ursprungsfassung) im September 1990 in Kraft getretenen VermG sind Vermögenswerte, die bestimmten Maßnahmen im Sinne des § 1 VermG (z.B. entschädigungslose Enteignung) unterlagen und in Volkseigentum überführt oder an Dritte veräußert wurden, auf Antrag an die Berechtigten zurückzuübertragen, soweit die Rückübertragung nicht gesetzlich ausgeschlossen ist.

    Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. b und c VermG ist die Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken ausgeschlossen, wenn diese dem Gemeingebrauch gewidmet wurden (§ 5 Abs. 1 Buchst. b VermG) oder im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau verwendet wurden (§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG).

  2. Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Geltung des Restitutionsausschlusses nach § 4 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. b und c des VermG für Rückübertragungsansprüche von Verfolgten des NS-Regimes nach § 1 Abs. 6 VermG (Wortlaut s. Anlage).

    Die Beschwerdeführer sind Rechtsnachfolger jüdischer Grundstückseigentümer, deren im Ostteil Berlins gelegene Grundstücke von der Geheimen Staatspolizei 1933 beschlagnahmt wurden, nachdem die Eigentümer wegen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen das Land verlassen hatten.

    Die Grundstücke verfielen dem Deutschen Reich und wurden nach 1945 in der Deutschen Demokratischen Republik - ohne Festsetzung einer Entschädigung - in Volkseigentum überführt.

    Die Beschwerdeführer begehrten nach § 1 Abs. 6 VermG die Rückgabe der Grundstücke. Ihre Anträge wurden abgelehnt. Hiergegen erhobene Klagen zum Verwaltungsgericht (VG) blieben erfolglos. Dies gilt auch für die Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).

    Gegen die Entscheidungen des VG und des BVerwG erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerden und rügten eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und 3 GG (Eigentumsgarantie) sowie Art. 3 Abs.1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz).

II.

Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie werfen weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Art. 14 GG (Eigentumsgarantie)

    a) Die Verwaltungsgerichte vertreten die Auffassung, die Beschwerdeführer hätten beim Inkrafttreten des VermG und dessen anschließender Übernahme in die gesamtdeutsche Rechtsordnung keine durchsetzbaren vermögenswerten Rechtspositionen innegehabt, in die durch die Regelungen des VermG hätte eingegriffen werden können. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Beschluß der Kammer vom 21. Oktober 1998 - 1 BvR 179/94 -, siehe Pressemitteilung Nr. 133/98 vom 1. Dezember 1998).

    b) Art. 14 GG ist auch nicht deshalb verletzt, weil die Verwaltungsgerichte davon ausgegangen sind, daß es nicht gegen das Eigentumsgrundrecht verstößt, wenn Grundstücke und Gebäude, deren Verlust auf Maßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG beruht, von der Rückübertragung auszunehmen sind, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - dem Gemeingebrauch gewidmet oder im komplexen Wohnungsbau oder Siedlungsbau verwendet wurden.

    Das BVerfG geht zwar davon aus, daß Restitutionsansprüche den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen. Dies gilt auch für Ansprüche nach § 1 Abs. 6 VermG.

    In eine danach bestehende vermögenswerte Rechtsposition ist durch § 4 Abs. 1 S. 1 und § 5 Abs. 1 Buchst. b und c VermG jedoch nicht eingegriffen worden. Denn diese Vorschriften waren bereits in der Ursprungsfassung des VermG enthalten und gleichzeitig mit § 1 Abs. 6 S. 1 VermG in Kraft getreten.

    Der Rückübertragungsanspruch ist folglich von vornherein nur mit den Beschränkungen in den Schutzbereich des Art. 14 GG gelangt, die sich aus § 4 Abs. 1 S. 1 und § 5 Abs. 1 Buchst. b und c VermG ergeben.

    Danach ist die Annahme einer nachträglichen Einschränkung des Anspruchs durch diese Vorschriften auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG oder nach Art. 14 Abs. 3 GG ausgeschlossen.

  2. Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz)

    Die angegriffenen Entscheidungen stehen auch im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.

    a) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das VG und das BVerwG in den Ausgangsverfahren auf die Rückübertragungsansprüche der Beschwerdeführer die Ausschlußregeln des § 4 Abs. 1 S. 1 und des § 5 Abs. 1 VermG angewandt und damit NS-Geschädigte und ihre Rechtsnachfolger wie Personen behandelt haben, die ihren Restitutionsanspruch aus Maßnahmen des DDR-Unrechts herleiten.

    Der Gesetzgeber hat bei der Wiedergutmachung von Unrecht, das eine dem GG nicht verpflichtete Staatsgewalt zu verantworten hat, einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Ausreichend ist es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, wenn die Wiedergutmachung wenigstens in ihrer grundsätzlichen Ausgestaltung dem Gerechtigkeitsgebot entspricht.

    b) Gemessen daran begegnet es im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber die vermögensrechtliche Wiedergutmachung des NS-Unrechts im Beitrittsgebiet unter den Vorbehalt des Restitutionsausschlusses nach § 4 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 VermG gestellt und insoweit zum Teil anders geregelt hat, als dies in der Nachkriegszeit im alliierten Rückerstattungsrecht und im Bundesrückerstattungsrecht geschehen ist.

    Ziel des Gesetzgebers des VermG war es, für den Verlust von Vermögenswerten aufgrund von Maßnahmen einerseits der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und andererseits der DDR-Staatsgewalt eine möglichst einheitliche Regelung zu treffen. Motiv für dieses Regelungskonzept war ersichtlich nicht, NS- und DDR-Unrecht qualitativ zu bewerten oder auf eine Stufe zu stellen. Der Grund für die im wesentlichen übereinstimmende Behandlung der beiden Betroffenengruppen lag vielmehr in der besonderen politischen und wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Zeitpunkt der Wiedervereinigung, die sich von derjenigen nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches elementar dadurch unterschied, daß zwei grundlegend verschiedene Rechts-, Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme zusammenzuführen waren.

    Dieser Zusammenschluß konnte nach den Grundsätzen, die die beiden deutschen Regierungen in der Gemeinsamen Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 für den Bereich des Vermögensrechts vereinbart haben, nur auf der Grundlage einer sozial verträglichen Lösung gelingen, die die im Beitrittsgebiet gewachsenen rechtlichen und sozialen Strukturen in den notwendigen Interessenausgleich einbezog.

    Dies gilt auch für die hier betroffenen Ausschlußtatbestände des § 4 Abs. 1 S. 1 und des § 5 Abs. 1 Buchst. b und c VermG, durch die der Eckwert in Nr. 3 Buchst. a der Gemeinsamen Erklärung konkretisiert worden ist.

    Nach der - verfassungsrechtlich unbedenklichen - Vorstellung des Bundesgesetzgebers bringen diese Vorschriften die widerstreitenden Interessen der Alteigentümer einerseits und der Verfügungsberechtigten sowie der Allgemeinheit andererseits in einen sozialen, auf die Schaffung von Rechtsfrieden gerichteten Ausgleich. Dies geschieht dadurch, daß die in der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik entstandenen Fakten - wie die Inanspruchnahme von Grundstücken und Gebäuden zu Gemeingebrauchszwecken oder für den komplexen Wohnungsbau - nicht rückgängig zu machen, sondern die Betroffenen auf Entschädigungsansprüche zu verweisen sind. Es liegt im Rahmen der legislativen Gestaltungsfreiheit und ist wegen der gleichen tatsächlichen Betroffenheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Bundesgesetzgeber diese Einschätzung auch für Grundstücke und Gebäude vorgenommen hat, auf die sich Ansprüche nach § 1 Abs. 6 VermG richten.

    Es ist daher sowohl der in § 4 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 VermG geregelte Restitutionsausschluß sachlich ausreichend gerechtfertigt als auch die Entscheidung, an dem Personenkreis des § 1 Abs. 6 VermG begangenes NS-Unrecht nicht allgemein nach den Regeln des alliierten und westdeutschen Rückerstattungsrechts, sondern grundsätzlich wie DDR-Unrecht nach den auf die spezifischen Bedürfnisse der Wiedervereinigung zugeschnittenen Regeln des Vermögensrechts wiedergutzumachen.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 31/99 vom 16. März 1999

§ 1 Abs. 6 VermG

Dieses Gesetz ist entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Zugunsten des Berechtigten wird ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe des II. Abschnitts der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl. für Groß-Berlin I S. 221) vermutet.

§ 4 Abs. 1 VermG

(1) Eine Rückübertragung des Eigentumsrechts oder sonstiger Rechte an Vermögenswerten ist ausgeschlossen, wenn dies von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist. ...

§ 5 VermG

(1) Eine Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken und Gebäuden ist gemäß § 4 Abs. 1 insbesondere auch dann ausgeschlossen, wenn Grundstücke und Gebäude

a) mit erheblichem baulichen Aufwand in ihrer Nutzungsart oder Zweckbestimmung verändert wurden und ein öffentliches Interesse an dieser Nutzung besteht,

b) dem Gemeingebrauch gewidmet wurden,

c) im komplexen Wohnungsbau oder Siedlungsbau verwendet wurden,

d) der gewerblichen Nutzung zugeführt oder in eine Unternehmenseinheit einbezogen wurden und nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Unternehmens zurückgegeben werden können.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Buchstaben a und d ist die Rückübertragung von Eigentumsrechten nur dann ausgeschlossen, wenn die maßgeblichen tatsächlichen Umstände am 29. September 1990 vorgelegen haben.