Bundesverfassungsgericht

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Unzulässige gerichtliche Vorlage im Zusammenhang mit Atomwaffen

Pressemitteilung Nr. 32/1999 vom 17. März 1999

Beschluss vom 02. Februar 1999
2 BvM 1/98

Der Zweite Senat des BVerfG hat eine Vorlage des Amtsgerichts Stuttgart (Strafsachen) für unzulässig erklärt. Die Vorlage betraf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung und Produktion, Lagerung und Stationierung von Atomwaffen sowie die Drohung mit ihrem Einsatz mit geltendem Völkergewohnheitsrecht vereinbar sind.

I.

Bei dem AG Stuttgart ist ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs anhängig. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, mit anderen Personen nach Durchtrennung der Umzäunung auf ein Militärgelände in Stuttgart-Vaihingen gelangt zu sein und dort die Parolen 'Abolish Nukes + Nato' und 'We love your face, but not your base' an die Außenfassade des Hauptquartieres gesprüht zu haben. Das AG hat dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 2 GG (Wortlaut s. Anlage) die Frage vorgelegt, ob die Entwicklung und Produktion, Lagerung und Stationierung von Atomwaffen sowie die Drohung mit ihrem Einsatz mit den Regeln des Völkerrechts, insbesondere

  • dem Verbot, im Krieg unnötige Leiden zuzufügen,
  • dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Proportionalität,
  • dem Gebot der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht- kombattanten und der notwendigen Differenzierung zwischen zivilen und militärischen Zielen,
  • dem Verbot des Völkermordes und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
  • dem Verbot, der Umwelt dauernde und schwere Schäden zuzufügen,
  • dem Gebot, die Menschenrechte zu achten,
  • dem Verbot des Einsatzes von Gift und giftigen Waffen,
  • dem Verbot, unbeteiligte und neutrale Staaten bei einem Waffeneinsatz in Mitleidenschaft zu ziehen,

zu vereinbaren sind. Nach Auffassung des AG ist im Falle der Völkerrechtswidrigkeit die Schuld des Angeklagten "kaum geeignet", die Notwendigkeit einer Bestrafung zu begründen.

II.

Die Vorlage ist unzulässig. Die Begründung macht nicht ausreichend deutlich, inwiefern die Entscheidung des Gerichts im konkreten Verfahren von der Regel des Völkerrechts abhängig ist.

1. Nach dem Vorlagebeschluß ist eine zur Straflosigkeit führende Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten "nicht ausgeschlossen". Diese Formulierung läßt die Möglichkeit offen, daß das Gericht auch im Falle der Völkerrechtswidrigkeit von Nuklearwaffen zu dem Ergebnis kommt, daß das Verhalten des Angeklagten nicht gerechtfertigt werden kann. Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit reicht dies nicht aus. Entscheidungserheblich ist die Beantwortung der völkerrechtlichen Frage nur dann, wenn das Gericht begründet, daß und warum es im Falle der Völkerrechtswidrigkeit eine Rechtfertigung des Angeklagten annehmen würde, im Falle der Völkerrechtsmäßigkeit hingegen nicht.

2. Die Vorlage macht auch nicht verständlich, weshalb im Falle der Völkerrechtswidrigkeit des Atomwaffenbesitzes die Meinungs- und Versammlungsfreiheit die Rechtswidrigkeit oder Schuld des Angeklagten ausschließen könnte. Ihm wird vorgeworfen, in ein fremdes, umfriedetes Besitztum eingedrungen und dort durch das Aufsprühen von Parolen die Außenfassade eines Gebäudes beschädigt zu haben. Angesichts dieser Tatumstände hätte das AG zumindest die Rechtsprechung erörtern müssen, wonach die Meinungs- und Versammlungsfreiheit derartige Rechtsverletzungen nicht schützt. Dabei hätte das Gericht auch ausführen müssen, weshalb eine Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen angesichts des Gebots friedlicher Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf das Verhalten des Angeklagten rechtfertigen oder seine Schuld ausschließen könnte.

3. Auch die Ausführungen des AG zur Strafzumessung können die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht begründen, solange eine Auseinandersetzung mit dem Gebot der Friedlichkeit fehlt und außerdem nicht dargelegt ist, weshalb der strafrechtliche Schutz von Hausfrieden und Sachgütern durch die völkerrechtliche Qualifikation der von den Atomwaffen geschaffenen allgemeinen Gefahrenlage berührt werden könnten.

4. Das AG hat sich schließlich auch nicht ausreichend mit den verschiedenen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung zu dem betroffenen Problemkreis auseinandergesetzt.


Anlage zur Pressemitteilung Nr. 32/99 vom 17. März 1999

Art. 100 (Normenkontrolle) Abs. 2 GG

(1) ...

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. ...

(3) ...