Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerden von Pharmaunternehmen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der "Negativ-Liste"

Pressemitteilung Nr. 40/1999 vom 30. März 1999

Beschluss vom 25. Februar 1999
1 BvR 1472/91

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) von drei Pharmaunternehmen gegen Entscheidungen eines Landessozialgerichts (LSG) nicht zur Entscheidung angenommen.

Auf Anträge der Beschwerdeführerinnen (Bf) erließ in erster Instanz das Sozialgericht (SG) einstweilige Anordnungen (e.A.), durch die dem Bundesminister für Gesundheit die Veröffentlichung der sog. Negativ-Liste untersagt wurden. Diese Liste enthält eine Übersicht über von der Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ausgenommene Präparate (Präparatübersicht).

Das LSG hob im August 1991 die Entscheidungen des SG auf und lehnte die Anträge der Bf auf Erlaß e.A. ab.

I.

1. Die Versicherten der GKV haben gemäß § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln.

Nach § 34 Abs. 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung "unwirtschaftliche" Arzneimittel von der Versorgung durch die GKV ausschließen.

Von dieser Ermächtigung machte der Bundesminister im Februar 1990 Gebrauch. Er erließ eine Verordnung, in der von der Versorgung ausgeschlossene Arzneimittel nicht mit Präparat- oder Markennamen aufgeführt, sondern abstrakt nach Wirkstoffkombinationen bestimmt sind. Der Gesetzgeber bestimmte desweiteren in § 93 SGB V in der Fassung des Art. 1 GRG, daß der Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen (Bundesausschuß) in regelmäßigen Zeitabständen die nach der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel in einer Übersicht zusammenstellen und im Bundesgesetzblatt bekannt machen solle.

Nach Veröffentlichung der Verordnung durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erstellte nicht der Bundesausschuß, sondern das Bundesministerium für Gesundheit im Oktober 1991 eine solche Präparatübersicht. Diese wurde dem Bundesausschuß lediglich zugesandt, der daraufhin mitteilte, er gehe von einer Veröffentlichung der Übersicht durch das Bundesministerium für Gesundheit aus. So geschah es auch.

2. Die Bf produzieren und vertreiben Arzneimittel, die in der Präparatübersicht enthalten sind. In den Ausgangsverfahren begehrten die Bf, dem Bundesminister für Gesundheit die Veröffentlichung der Präparatübersicht im Wege der e.A. zu untersagen. Die entsprechenden e.A. des SG hob das LSG auf und lehnte die Anträge der Bf auf e.A. ab. Gegen die Entscheidungen des LSG erhoben die Bf Vben und rügten vor allem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit).

3. Der Gesetzgeber fügte durch Art. 1 Nr. 50 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der GKV (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 § 93 SGB V einen zweiten Absatz zu, wonach der Bundesminister für Gesundheit die Präparatübersicht zusammenstellen und im Bundesanzeiger bekanntmachen kann, wenn der Bundesausschuß seiner Pflicht zu Erstellung und Veröffentlichung der Übersicht nicht in einer von dem Bundesminister für Gesundheit gesetzten Frist nachkommt. § 93 Abs. 2 SGB V trat am 1. Januar 1993 in Kraft.

II.

Die Kammer hat die Vben nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihnen kommt weder grundsätzlich verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Verfassungsrecht angezeigt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Es ist nicht ersichtlich, daß die Bf durch die angegriffenen Entscheidungen einen besonders schweren Nachteil erlitten haben.

1. Die Beschlüsse des LSG stehen allerdings nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG in Einklang. Die Präparatübersicht berührte - entgegen den Feststellungen des LSG - den Schutzbereich dieses Grundrechts. Die Übersicht berührt die Berufstätigkeit der Bf zwar nicht unmittelbar, steht aber - ebenso wie § 34 Abs. 3 SGB V und die Verordnung - in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der betroffenen Pharmaunternehmen und ist eine Maßnahme mit objektiv berufsregelnder Tendenz.

Auch wenn der Ausschluß der entsprechenden Arzneimittel bereits mit dem Inkrafttreten der vom Bundesminister für Gesundheit erlassenen Verordnung bewirkt war, trat die mittelbare Beeinträchtigung der beruflichen Betätigung der Bf faktisch erst mit Veröffentlichung der Präparatübersicht ein. Insoweit nimmt die Präparatübersicht an dem berufsregelnden Gehalt von Gesetz und Verordnung teil und verstärkt diesen in tatsächlicher Hinsicht.

Die Kammer führt aus, daß bis zur Gesetzesänderung im Jahre 1993 der Bundesminister für Gesundheit keine Kompetenz zur Erstellung und Veröffentlichung der Präparatübersicht hatte. Er hätte vielmehr versuchen müssen, den Bundesausschuß zur Erstellung und Veröffentlichung der Übersicht zu bewegen, bevor er diese selbst veröffentlichte.

2. Die verfassungswidrige Veröffentlichung der Präparatübersicht zwingt allerdings nicht zur Annahme der Vb.

Die Belastung der Bf durch den gerügten Kompetenzverstoß aufgrund des besonderen Regelungsmechanismus der "Negativ-Liste" ist nur eine beschränkte. Denn der von den Bf vorgetragene erhebliche wirtschaftliche Nachteil beruht rechtlich nicht auf der kompetenzwidrigen Veröffentlichung der Präparatübersicht. Wie das BVerfG bereits in der Vergangenheit festgestellt hat, werden die entsprechenden Arzneimittel rechtlich konstitutiv bereits durch § 34 Abs. 3 SGB V und die Verordnung des Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung aus der Versorgung durch die GKV ausgeschlossen (vgl. BVerfG, NJW 1992, S. 735). Dieser Ansicht hat sich das Bundessozialgericht angeschlossen (vgl. BSGE 79, S. 41 ). Schon von daher brachte die Veröffentlichung der Präparatübersicht im Oktober 1991 für die Bf in rechtlicher Hinsicht keinen eigenständigen Nachteil mit sich.

Schließlich haben die Bf nicht vorgetragen, daß sich der gerügte Kompetenzverstoß in irgendeiner Weise materiell negativ ausgewirkt habe. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die von den Bf hergestellten und vertriebenen Arzneimittel auf der Grundlage der Verordnung zu Unrecht in die Präparatübersicht aufgenommen worden waren.