Bundesverfassungsgericht

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Erfolgloser Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen das "630 DM-Gesetz"

Pressemitteilung Nr. 47/1999 vom 21. April 1999

Beschluss vom 20. April 1999
1 BvQ 2/99

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat den Antrag mehrerer Zeitungsverlage und Zustellgesellschaften auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (e.A.) gegen das am 1. April 1999 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ("630 DM-Gesetz") als unzulässig zurückgewiesen.

I.

Die insgesamt neun Antragsteller begehrten, das Inkrafttreten des "630 DM-Gesetzes" auszusetzen. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) dadurch verletzt, daß das Gesetz ohne Übergangsregelung in Kraft getreten sei.

Aufgrund der gravierenden Änderungen der Rechtslage sei es nicht mehr sichergestellt, daß der vom Schutzbereich der Pressefreiheit erfaßte Vertrieb der Zeitungen in den nächsten Monaten gewährleistet werden könne. Sie die Antragsteller seien für den Vertrieb ihrer Tageszeitungen auf eine Zustellung durch Boten angewiesen. Diese Arbeitsverhältnisse seien nunmehr grundsätzlich sozialversicherungs- und steuerpflichtig. Ein Zeitungsbote mit einem Bruttoverdienst von 600,- DM bekomme unter Umständen nur noch etwa 330,- DM ausbezahlt. Zahlreiche Zusteller hätten deshalb bereits gekündigt oder ihre Kündigung angedroht. Es sei nicht bekannt, wieviele der bei den Antragstellern beschäftigten Zusteller künftig in einem lohnsteuerfreien Arbeitsverhältnis arbeiten würden. Die Antragsteller hätten wegen der ständig wechselnden Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren auch keine Chance gehabt, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.

II.

Der Antrag ist unzulässig, weil die Antragsteller nicht in der erforderlichen Weise dargelegt haben, daß sie gerade durch das Fehlen einer Übergangsregelung in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt sind.

Zwar ist nicht von vornherein ausgeschlossen, daß das "630 DM-Gesetz" das Grundrecht der Pressefreiheit berührt. Denn gerade bei der Zeitungszustellung sind solche Beschäftigungsverhältnisse üblich, so daß der von der Pressefreiheit geschützte Vertrieb nach dem Vortrag der Antragsteller erschwert sein kann.

Die Antragsteller haben jedoch nicht in einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Weise dargelegt, daß sie gerade durch das Fehlen einer Übergangsregelung in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt sind. Nur hierauf bezieht sich ihre Rüge.

Es erscheint allerdings nicht zweifelhaft, daß die unverzügliche Inkraftsetzung des Gesetzes für die Antragsteller mit erheblichen Anpassungsschwierigkeiten verbunden ist. Auch ließ ihnen die schnelle und an Änderungen nicht arme Gesetzesvorbereitung keine ausreichende Zeit, sich rechtzeitig im voraus auf die neue Gesetzeslage einzustellen. Es spricht allerdings nichts dafür, daß die Zeitungszustellung aufgrund der Neuregelung bereits zusammengebrochen wäre oder in den nächsten Wochen und Monaten zusammenzubrechen droht. Die Boten sind durch Verträge an die Verlagshäuser oder Vertriebsgesellschaften gebunden, aus denen sie sich nicht von einem Moment zum anderen lösen können. Daß die zur Befolgung der Neuregelung erforderlichen Ermittlungen nicht nur bei den Antragstellern, sondern auch bei Betroffenen anderer Gewerbezweige Zeit erfordern, kann bei der Durchführung des Gesetzes seitens der zuständigen Behörden ausreichend beachtet werden. In der Zwischenzeit haben die Antragsteller jedenfalls die Möglichkeit, den Zeitungsboten das Bemühen um eine verträgliche Lösung der mit der Neuregelung einhergehenden Veränderungen in Aussicht zu stellen, auch wenn sich detaillierte Angaben dazu nicht sofort machen lassen.