Bundesverfassungsgericht

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Urteile zur "Rentenüberleitung" aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 1998

Pressemitteilung Nr. 52/1999 vom 28. April 1999

Urteile vom 28.04.1999 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95, 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/951 BvR 1926/96, 1 BvR 485/971 BvL 33/95, 1 BvL 11/94, 1 BvR 1560/97

Der Erste Senat des BVerfG hat zur Verfassungsmäßigkeit der Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung des wiedervereinigten Deutschland folgende vier Urteile gefällt:

1. 1 BvL 32/95; 1 BvR 2105/95 (Leiturteil)

a) Schutz durch die Eigentumsgarantie

Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR sind nach den Maßgaben des Einigungsvertrages als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannt. Sie genießen seitdem und insoweit den Schutz des Art. 14 GG (Eigentumsgarantie).

b) "Systementscheidung"

Die Überführung dieser Ansprüche und Anwartschaften ausschließlich in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Zahlbetragsgarantie

Der Einigungsvertrag enthält für "Bestandsrentner" (Rentenzugang vor dem 3. Oktober 1990) aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR und Angehörige rentennaher Jahrgänge eine Zahlbetragsgarantie (= Betrag, der noch zu DDR-Zeiten für Juli 1990 aus der Rentenversicherung und den Versorgungssystemen zu erbringen war oder gewesen wäre). Diese Garantie ist für "Bestandsrentner" verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß der garantierte Zahlbetrag ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung anzupassen ist.

d) Vorläufige Zahlbetragsbegrenzung

Die im AAÜG (in der Fassung vom Juni 1993) in Abänderung des Einigungsvertrages rückwirkend ab 1. August 1991 geregelte Zahlbetragsbegrenzung (höchstens 2.700,-- DM monatlich) verstößt gegen die Eigentumsgarantie und ist nichtig.

Bereits bestandskräftige Rentenbescheide bleiben für den Rentenbezugszeitraum bis zur Bekanntgabe des Urteils des BVerfG von dieser Entscheidung unberührt.

2. "Staats- oder systemnahe" Versorgungssysteme (1 BvL 22/95; 1 BvL 34/95)

Das Urteil betrifft die Absenkung des rentenwirksamen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens im Falle der Zugehörigkeit zu "staats- oder systemnahen" Versorgungssystemen (§ 6 Abs. 2 AAÜG; z.B. Zusatzversorgungssystem für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Volkspolizei) und im Falle der Ausübung "systemnaher" Funktionen (§ 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG; Richter oder Staatsanwalt).

Die genannten Vorschriften verstießen seit dem 1. Juli 1993 (Erlaß des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes) bis zum 31. Dezember 1996 (Inkrafttreten einer neuen Regelung) gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und waren deshalb mit dem GG unvereinbar.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.

Bereits bestandskräftige Rentenbescheide bleiben von dieser Entscheidung unberührt.

3. Verfahren der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Versorgungssystemen (1 BvR 1926/96; 1 BvR 485/97)

Das Urteil betrifft u.a. § 307b Abs. 1 SGB VI (in Kraft getreten am 1. Januar 1992). Nach dieser Vorschrift werden für die Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der DDR für die Ermittlung der Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt. Hingegen erfolgt für die übrigen Bestandsrentner (solche aus der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung) die Neuberechnung ihrer Renten auf der Grundlage eines - für den Versicherten regelmäßig günstigeren - 20-Jahres-Zeitraums.

Für diese Unterscheidung gibt es keinen rechtfertigenden Grund. Insoweit verstößt § 307b Abs. 1 SGB VI gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und ist mit dem GG unvereinbar.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 30. Juni 2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu erlassen.

Bereits bestandskräftige Rentenbescheide bleiben von dieser Entscheidung für den Rentenbezugszeitraum bis zur Bekanntgabe des Urteils des BVerfG unberührt.

4. Kürzung von Versorgungsleistungen für Angehörige des MfS/AfNS (1 BvL 33/95; 1 BvL 11/94; 1 BvR 1560/97)

a) Der Senat hat folgende Regelungen für nichtig erklärt:

  • Anrechnung von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen lediglich unterhalb des jeweiligen Durchschnittseinkommens der DDR als rentenwirksamen Verdienst (§ 7 Abs. 1 S. 1 AAÜG). Dies verstößt gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG).
  • Begrenzung des im Einigungsvertrag garantierten Zahlbetrags der Versichertenrente von 990,-- DM auf 802,-- DM monatlich ab 1. August 1991 (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AAÜG). Dies verstößt gegen die Eigentumsgarantie.

Bereits bestandskräftige Rentenbescheide bleiben von dieser Entscheidung für den Rentenbezugszeitraum bis zur Bekanntgabe des Urteils des BVerfG unberührt.

b) Die bereits vom Gesetzgeber der DDR (§ 2a Aufhebungsgesetz) vorgenommene, ab 3. Oktober 1990 als Bundesrecht fortgeltende pauschale Kürzung von Versicherungsleistungen auf 990,-- DM monatlich ist mit dem GG vereinbar.