Bundesverfassungsgericht

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Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird bestätigt hier: Teilzeitbeschäftigte der Post haben rückwirkenden Anspruch auf betriebliche Altersvorsorge

Pressemitteilung Nr. 60/1999 vom 4. Juni 1999

Beschluss vom 19. Mai 1999
1 BvR 263/98

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde (Vb) der Deutschen Post AG gegen zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 7. März 1995 nicht zur Entscheidung angenommen. Nach diesen Urteilen hat die Post AG die Verpflichtung, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der betrieblichen Altersversorgung den Vollzeitbeschäftigten rückwirkend gleichzustellen.

I.

Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren waren bzw. sind bei der Post als Teilzeitkräfte mit durchschnittlich weniger als zwanzig Stunden wöchentlich ("unterhalbzeitig") beschäftigt. Sie beanspruchen für die Dauer dieser Teilzeitbeschäftigung eine betriebliche Altersversorgung, die ihnen nach dem Tarifvertrag damals nicht zustand. Das BAG hat den Klägerinnen recht gegeben. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erfordere bei der betrieblichen Altersversorgung eine Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten. Für die Vergangenheit könne dem Gleichheitssatz nur dadurch entsprochen werden, daß auch die "unterhälftig" Beschäftigten nachversichert werden.

Hiergegen erhob die Post AG Vb. Sie wendete sich nicht gegen die Verpflichtung zur Gleichstellung, wohl aber dagegen, daß diese Verpflichtung uneingeschränkt auf die Vergangenheit erstreckt werde. Dies verletze den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz auf Vertrauensschutz (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten bei der betrieblichen Altersversorgung sei jahrzehntelang von keiner Seite als Gleichheitsverstoß angesehen noch sei anderes erkennbar gewesen. Der Vertrauensschutz sei erst durch ein Urteil des BAG vom Oktober 1986 entfallen.

Das BAG habe in den angegriffenen Urteilen zwischen Vertrauensschutz und Gleichheitssatz nicht abgewogen, vielmehr gebe es zu Unrecht dem Gleichheitssatz den absoluten Vorrang. Eine Abwägung hätte dazu führen müssen, daß die rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes zeitlich begrenzt werde. Die Nachzahlungen zugunsten aller betroffenen Teilzeitbeschäftigten beliefen sich auf rund 1 Milliarde DM.

II.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Daß ein Ausschluß "unterhalbzeitig" Beschäftigter von der betrieblichen Altersversorgung den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verletzt, hat das BVerfG im Beschluß zum Hamburger Ruhegeldgesetz klargestellt (vgl. in der Anlage beigefügte Pressemitteilung vom 15. Januar 1988 Nr. 3/98). Darauf kann hier verwiesen werden. Die Vb gibt insoweit keinen Anlaß zu ergänzenden Ausführungen.

2. Die angegriffenen Urteile des BAG verletzen die Bf auch nicht in ihrem Anspruch auf Vertrauensschutz.

a) Im Fall der einen Klägerin, die nach dem Urteil des BAG für die Zeit von August 1981 bis Ende März 1991 nachzuversichern ist, kommt ein Vertrauensschutz für die Bf von vornherein nicht in Betracht. Denn 1981 hatte der Europäische Gerichtshof in Straßburg bereits entschieden, daß ein unterschiedlicher Stundenlohn für Vollzeitarbeitnehmer und Teilzeitarbeitnehmer eine verbotene Diskriminierung darstelle, wenn er in Wirklichkeit nur ein indirektes Mittel dafür sei, das Lohnniveau der Teilzeitarbeitnehmer aus dem Grund zu senken, weil diese Arbeitnehmergruppe ausschließlich oder überwiegend aus weiblichen Personen bestehe (Urteil vom 31. März 1981). Nach dieser Entscheidung konnte niemand mehr darauf vertrauen, daß eine Regelung, die "unterhälftig" Beschäftigte von einer betrieblichen Altersversorgung ausschloß, rechtswirksam sein könne.

b) Auch für den zweiten Fall (bis 1971 zurückwirkender Gleichbehandlungsanspruch) gilt im Ergebnis nichts anderes. Das BAG hat nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit geprüft, ob die von der Bf bezeichnete finanzielle Belastung zu einer Einschränkung der Verpflichtung zur Gleichstellung führen muß. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG und tragen dem Grundsatz des Vertrauensschutzes hinreichend Rechnung. Dabei hat das BAG zugunsten der Bf sogar die Kosten in Rechnung gestellt, die in der Zeit nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 1981 angefallen sind, obwohl die Rechtslage nach diesem Urteil soweit geklärt war, daß ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer Betriebsrentenregelung, durch die Teilzeitkräfte diskriminiert wurden, nicht mehr bestehen konnte.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 60/99 vom 4. Juni 1999

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 3/98 vom 15. Januar 1998

Früheres Hamburger Ruhegeldgesetz war hinsichtlich "unterhalbszeitig" Beschäftigten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar

Der Erste Senat des BVerfG hat auf die Vorlage des Landesarbeitsgerichts Hamburg (LAG) § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 des Hamburger Ruhegeldgesetzes in der Fassung vom 11. November 1986 für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erklärt. Nach diesen Vorschriften waren diejenigen Arbeitnehmer nicht ruhegeldberechtigt, deren durchschnittliche Arbeitszeit weniger als die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers ("unterhalbzeitig" Beschäftigte) betrug.

I.

Eine bei der Freien und Hansestadt Hamburg von Februar 1970 bis Januar 1989 beschäftigte Raumpflegerin klagte 1990 auf Anerkennung ihrer vor dem 1. Februar 1979 geleisteten Tätigkeit als ruhegehaltfähige Beschäftigungszeit. In diesen Jahren hatte sie nur "unterhalbzeitig" gearbeitet. In erster Instanz blieb ihre Klage erfolglos. Im Berufungsverfahren setzte das LAG das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob § 3 Abs. 2 Hamburger Ruhegeldgesetz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Nach Ansicht des LAG verstieß diese Norm gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein vernünftiger Grund für die Ungleichbehandlung von unterhalbzeitig Beschäftigten gegenüber halb- bis vollzeitig Beschäftigten bei der Ruhegeldgewährung sei nicht ersichtlich.

II.

Der Erste Senat teilt diese Auffassung. Er hat die ihm zur Prüfung vorgelegte Vorschrift für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz erklärt. Er ist dabei davon ausgegangen, daß sich die Vorlagefrage nicht auf die Gruppe der geringfügig Beschäftigten (§ 8 SGB IV) erstreckt.

Durch die in Frage stehende Regelung werden die "unterhalbzeitig" Beschäftigten im Vergleich zu anderen Teilzeitkräften und Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt. Im Gegensatz zu diesen erhalten sie für ihre Arbeitsleistung kein Ruhegeld. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine rechtfertigenden Gründe. Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Da sich Teilzeitarbeit von Vollzeitarbeit nur quantitativ unterscheidet, darf eine geringere Arbeitszeit grundsätzlich auch nur quantitativ, nicht aber qualitativ anders abgegolten werden als Vollzeitarbeit. Dieser Grundsatz gilt auch für Beiträge des Arbeitgebers zur Altersversorgung; denn auch derartige Leistungen haben Entgeltcharakter.

Auch beamtenrechtliche Grundsätze rechtfertigen die Ungleichbehandlung nicht. Der Senat führt aus, daß mit der Zielsetzung des Hamburger Ruhegeldgesetzes, eine der Beamtenversorgung entsprechende Gesamtversorgung der Arbeitnehmer zu erreichen, keine Übernahme der allgemeinen Grundsätze des Berufsbeamtentums in die Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes verbunden ist.

Der Ausschluß der Zusatzversorgung ist weiterhin nicht dadurch gerechtfertigt, daß "unterhalbzeitig" Beschäftigte möglicherweise regelmäßig aufgrund einer Haupttätigkeit oder durch Dritte im Alter versorgt sind. Zum einen stellt das Ruhegeldgesetz selbst nicht auf einen Versorgungsbedarf ab. Zum anderen ist nicht erkennbar, daß dieser Gesichtspunkt gerade für die Gruppe der "unterhalbzeitig" Beschäftigten und nicht in gleicher Weise auch für andere Teilzeitkräfte zutrifft. Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Gruppe der unterhalbzeitig Beschäftigten sozial weniger schutzwürdig ist als die Vergleichsgruppe der halbzeitig und überhalbzeitig Beschäftigten.

2. Nach der Feststellung der Unvereinbarkeit der Regelung des Hamburger Ruhegeldgesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine verfassungsmäßige Regelung zu erlassen. In die Regelung sind auch die entsprechenden Vorschriften der früheren und späteren Fassungen des Ruhegeldgesetzes einzubeziehen, soweit dies zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes erforderlich ist. Entsprechend § 79 Abs. 2 BVerfGG können Nachzahlungsansprüche abgesehen von anhängigen Verfahren zwar ausgeschlossen werden. Eine Neuberechnung für die Zukunft kann jedoch allenfalls unter engen Voraussetzungen versagt werden

Beschluß vom 27. November 1997 - Az. 1 BvL 12/91
Karlsruhe, den 15. Januar 1998