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Weitere Entscheidung zur Rechtschreibreform - Hier: keine einstweilige Anordnung zugunsten von Schülern in Schleswig-Holstein, nach den reformierten Regeln unterrichtet zu werden

Pressemitteilung Nr. 79/1999 vom 29. Juli 1999

Beschluss vom 20. Juli 1999
1 BvQ 10/99

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eines in Schleswig-Holstein lebenden Vaters sowie seiner beiden minderjährigen Kinder abgelehnt. Mit dem Antrag sollte erreicht werden, daß die Kinder nach den Rechtschreibregeln unterrichtet werden, die seit der Umsetzung der sogenannten Rechtschreibreform außer in Schleswig-Holstein bundesweit gelten.

I.

Die beiden minderjährigen Kinder werden infolge des erfolgreichen Volksentscheids gegen die "Rechtschreibreform" in Schleswig-Holstein nach der alten Rechtschreibung unterrichtet. Sie und ihr Vater haben nach eigenen Angaben erfolglos versucht, bei den Verwaltungsgerichten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu erreichen, Unterricht nach den neuen Regeln zu erhalten.

Sie begehrten deshalb beim BVerfG, das Land Schleswig-Holstein vorläufig zu verpflichten, die Kinder nach den Regeln der "Rechtschreibreform" zu unterrichten.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat den Antrag abgelehnt. Es ist nicht erkennbar, daß die beantragte Entscheidung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund geboten sein könnte.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Unzutreffend ist die Auffassung, in das Recht der Kinder auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) werde eingegriffen, weil sie im Falle eines Umzugs mit der neuen Rechtschreibung konfrontiert würden.

    Das Grundrecht schützt nicht vor jedem Nachteil, der auf staatliche Maßnahmen zurückgeht. Das gilt auch für Erschwernisse, die sich ergeben, wenn das Schulwesen hinsichtlich der Lehrinhalte und der Wissensvermittlung im föderativen System des GG in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet ist. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, daß die Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtschreibung für die Betroffenen keine fühlbaren Beeinträchtigungen zur Folge haben (vgl. Urteil zur "Rechtschreibreform" vom 14. Juli 1998; Pressemitteilung Nr. 79/98 vom 14. Juli 1998).

  2. Entsprechendes gilt für das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

    Selbst wenn die reformierten Rechtschreibregeln von der Schreibgemeinschaft generell akzeptiert werden und künftig die Schreibweise bestimmen sollten, sind bei einer Unterrichtung nach den traditionellen Regeln greifbare Nachteile für die spätere Berufswahlentscheidung der Kinder nicht zu besorgen. Die Unterschiede zwischen herkömmlicher und neuer Schreibung sind geringfügig und beeinträchtigen die Lesbarkeit und Verwendbarkeit geschriebener Texte praktisch nicht.

  3. Schließlich wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Kinder nicht verletzt.

    Aus dem von den Antragstellern insoweit geltend gemachten "Durcheinander" bei der Rückumstellung von neuer Schreibung auf traditionelle Schreibweisen und dem Nebeneinander von alter und reformierter Rechtschreibung im gesamten deutschen Sprachraum läßt sich eine Grundrechtsverletzung nicht herleiten. Das behauptete "Durcheinander" läßt sich unschwer mit den Erfordernissen der neuerlichen Umstellung der Lehrinhalte erklären und kann dem Betroffenen als vorübergehender Vorgang zugemutet werden. Auch das Nebeneinander von Alt- und Neuschreibung hat für die Kinder kein nennenswertes Gewicht.