Bundesverfassungsgericht

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Weiterer erfolgloser Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen das "630 DM-Gesetz"

Pressemitteilung Nr. 81/1999 vom 3. August 1999

Beschluss vom 28. Juli 1999
1 BvQ 5/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat den Antrag mehrerer Gebäudereinigungsunternehmen auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen das am 1. April 1999 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ("630 DM-Gesetz") zurückgewiesen.

I.

Die insgesamt sechs Antragsteller begehrten, das Inkrafttreten des "630 DM-Gesetzes" für mindestens sechs Monate auszusetzen. Hilfsweise wollten sie eine sechsmonatige Stundung der Sozialversicherungsbeiträge erreichen.

Das Gesetz gefährde sie wegen fehlender Übergangsregelungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz. Sie seien u.a. in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) verletzt. Viele geringfügig Beschäftigte, die in einem anderen Arbeitsverhältnis steuer- und sozialversicherungspflichtig sind (geringfügig Nebenbeschäftigte), seien nach der Neuregelung, die sie auch in bezug auf die Nebenbeschäftigung der Beitragspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung unterwerfe, nur bereit, ohne Nettolohnverlust weiterzuarbeiten. Eine große Zahl davon sei infolge der Neuregelung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Die erheblichen Personalausfälle seit Frühjahr dieses Jahres könnten nur teilweise durch Mehrarbeit anderer geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer und teilweise durch den Einsatz von vollbeschäftigten "Sonderreinigungsteams" ausgeglichen werden; diese seien in ihrer Kalkulation wesentlich teurer. Verträge mit den Kunden könnten nicht vereinbarungsgemäß erfüllt werden.

II.

Die Anträge sind unbegründet.

  1. Hauptantrag

    Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotene Folgenabwägung ergibt, daß die beim Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzusehenden Nachteile überwiegen.

    a) Erginge die einstweilige Anordnung, hätte eine Verfassungsbeschwerde jedoch anschließend keinen Erfolg, fehlten den Versicherungsträgern der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nach vorsichtiger Schätzung Beiträge für die Dauer der Außerkraftsetzung des Gesetzes über ein halbes Jahr in Höhe einer dreistelligen Millionenzahl. Dieser Betrag ergibt sich im wesentlichen daraus, daß bei vorsichtiger Schätzung 175.000 Arbeitnehmer, die im Gebäudereinigerhandwerk bisher versicherungsfrei beschäftigt waren, aus dieser Beschäftigung beitragspflichtig geworden sind.

    b) Demgegenüber wiegen die Nachteile, die den Antragstellerinnen erwachsen, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, insgesamt geringer.

    Zum einen ist die jüngste tarifrechtliche Entwicklung zu berücksichtigen. Die Tarifpartner haben vereinbart, daß vom 1. April 1999 bis zum 30. April 2000 der Ecklohn für geringfügig Nebenbeschäftigte auf 82% abgesenkt wird. Diese Maßnahme entlastet die Antragstellerinnen und hat nach deren eigenen Angaben die Gefahr der Insolvenz vermindert.

    Zum anderen ist es den Antragstellerinnen zuzumuten, sich um eine Anpassung der laufenden Verträge mit ihren Kunden an die geänderte Kostensituation zu bemühen. Ein solches Bemühen ist nicht hinreichend belegt. Außerdem hat die Neuregelung die Antragstellerinnen nicht unerwartet getroffen. Die Diskussion um eine entsprechende Reaktion des Gesetzgebers reicht schon in die vorausgegangene Legislaturperiode zurück. Unternehmen, die - wie die Antragstellerinnen - in so prägender Weise ihre Dienstleistungen mit Hilfe geringfügig Beschäftigter erbringen, hätten rechtzeitig in ihren Verträgen mit den Kunden eine mögliche Änderung der Gesetzeslage berücksichtigen können. Deshalb fällt es weniger ins Gewicht, daß - was den Antragstellerinnen zuzugeben ist - die Gesetzesvorbereitung für die Neuregelung nicht geradlinig und nicht immer eindeutig verlaufen ist.

  2. Hilfsantrag

    Auch insoweit gilt das zum Hauptantrag Ausgeführte. Die Beiträge zur Sozialversicherung stünden dem Versicherungsträger in erheblichem Umfang jedenfalls zeitweise nicht zur Verfügung. Diesem schweren Nachteil stehen keine überwiegenden Belange der Antragstellerinnen gegenüber.