Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit Zusatzrenten für Teilzeitbeschäftigte

Pressemitteilung Nr. 94/1999 vom 7. September 1999

Beschluss vom 25. August 1999
1 BvR 1246/95

Die Verfassungsbeschwerde (Vb) betraf Fragen der Berechnung der Versorgungsrente von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert sind. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat entschieden, daß es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, wenn bei der Berechnung der Zusatzrenten von Teilzeitbeschäftigten zu deren Ungunsten Steuer- und Soziallasten in demselben Umfang in Rechnung gestellt werden wie bei einer Vollzeitkraft. Die Kammer hat deshalb zivilgerichtliche Urteile aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

I.

1. Für die Berechnung von Renten der VBL gilt nach deren Satzung u.a., daß die Gesamtversorgung 91,75% des letzten Nettogehalts nicht übersteigen darf. Maßgeblich ist insoweit ein fiktives Nettogehalt, das sich wie folgt errechnet: Vom gesamtversorgungsfähigen Entgelt werden die sich aus der Lohnsteuertabelle ergebende Steuer und die Sozialversicherungsabgaben abgezogen.

Bei Teilzeitkräften wird zur Ermittlung dieses fiktiven Nettogehalts das gesamte Entgelt auf das Bruttogehalt eines Vollzeitbeschäftigten hochgerechnet (bei einer Halbzeitkraft also beispielsweise verdoppelt). Hiervon werden Lohn- und Sozialversicherungsabgaben abgezogen und das Ergebnis auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit reduziert (im Beispielsfall also halbiert). Dem Teilzeitbeschäftigten werden damit Steuer- und Soziallasten in demselben Umfang in Rechnung gestellt wie einer Vollzeitkraft.

II.

2. Die Beschwerdeführerin (Bf) war von 1956 bis Ende März 1984 bei der VBL pflichtversichert. Seit April 1984 erhält sie eine nach ihrer Auffassung zu geringe Versorgungsrente. Eine aus diesem Grund erhobene Klage zu den Zivilgerichten blieb erfolglos.

Gegen die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts erhob die Bf Vb und rügte insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG. Durch die Berechnung des fiktiven Nettoentgelts auf der Grundlage eines auf eine Vollzeitbeschäftigung hochgerechneten gesamtversorgungspflichtigen Entgelts würden die Teilzeitbeschäftigten infolge der Steuerprogression übermäßig belastet.

III.

Die Vb hat Erfolg. Die angegriffenen Urteile verletzen den Gleichheitssatz.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Durch die progressive Steuertabelle ergibt die Hochrechnung (s. oben I.1.) generell eine im Verhältnis zum tatsächlichen Einkommen des Teilzeitbeschäftigten überproportionale Steuerbelastung. Diese führt zu einem geringeren fiktiven Nettoentgelt und senkt dadurch die Obergrenze der möglichen Gesamtversorgung ab. Im Vergleich mit einem Vollzeitbeschäftigten mit demselben Einkommen erhält ein Teilzeitbeschäftigter hierdurch eine unverhältnismäßig niedrige Versorgungsrente. So konnte nach den Berechnungen der VBL die Bf zum 1. Mai 1993 eine Versorgungsrente von monatlich 129,31 DM beanspruchen. Ein Vollzeitbeschäftigter mit demselben Bruttoeinkommen wie die Bf hätte demgegenüber eine mehr als doppelt so hohe Versorgungsrente von 279,76 DM bezogen.

2. Diese Schlechterstellung ist nicht gerechtfertigt. Das gilt zum einen für Praktikabilitätsgesichtspunkte. Denn es gibt eine vom Bundesgerichtshof gebilligte Rentenberechnung, die Teilzeitbeschäftigte nicht benachteiligt und ohne höheren Verwaltungsaufwand möglich ist.

Zum anderen ist die benachteiligende Berechnung auch nicht als Folge einer typisierenden Regelung gerechtfertigt. Denn anders als bei den Teilzeitbeschäftigten wird bei Vollzeitbeschäftigten bei der Berechnung des fiktiven Nettoarbeitsentgelts die unterschiedliche Besteuerung niedriger und höherer Einkommen berücksichtigt.

Schließlich vermag auch die von der VBL angeführte Proportionalität der Gesamtversorgung von Teilzeitbeschäftigten zu Vollzeitbeschäftigten derselben Lohn- oder Gehaltsstufe die Berechnungsweise der Versorgungsanstalt nicht zu rechtfertigen.

Die von der Bf beanstandete Berechnungsweise senkt die Gesamtversorgung für Teilzeitbeschäftigte auf einen weit geringeren Nettoversorgungssatz ab, als dies bei Vollzeitbeschäftigten der Fall ist. So erreichte die Bf im Jahre 1993 nur noch einen Nettogesamtversorgungssatz von 79%, während ein entsprechender Vollzeitbeschäftigter mit derselben Gehaltsstufe die von den Tarifvertragsparteien angestrebte Nettogesamtversorgung von etwa 91% erlangte.

Das Amtsgericht, an das das Verfahren zurückverwiesen wurde, wird zu prüfen haben, ob der Bf durch die beanstandeten Satzungsregelungen zuviel Steuern in Abzug gebracht wurden und ein höherer Versorgungsrentenanspruch vorenthalten worden ist.