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Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Pressemitteilung Nr. 98/1999 vom 17. September 1999

Beschluss vom 09. September 1999

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat zwei Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (e. A.) von insgesamt 13 Städten abgelehnt, das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von April 1998 (Energiewirtschaftsgesetz; EnWG), teilweise bis zum 10. August 2000 auszusetzen. Die Anträge haben mangels konkreter Darlegung der befürchteten Nachteile keinen Erfolg.

I.

1. Bis zum Inkrafttreten des EnWG galt das Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft von 1935. Danach war die Elektrizitätsversorgung vor allem durch geschlossene Versorgungsgebiete und eine durch Konzessionsverträge bewirkte Monopolstellung des jeweiligen Energieanbieters geprägt. Die Neuregelung will insbesondere diese geschlossenen Versorgungsgebiete beseitigen und durch Stärkung des brancheninternen Wettbewerbs eine Senkung der Stromkosten erreichen. Diese wurden im internationalen Vergleich für zu hoch erachtet. Das EnWG setzt zugleich die Binnenmarkt-Richtlinie Strom der Europäischen Union um.

2. Die Antragstellerinnen fühlen sich durch einzelne Vorschriften dieses Gesetzes in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG verletzt. Die kommunale Energieversorgung gehöre u.a. wegen ihrer historischen Entwicklung sowie ihrer Bedeutung für das wirtschaftliche und soziale Wohl der Einwohner zu den verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen. Die vom Gesetz bewirkte Marktöffnung führe jedoch dazu, daß die Kommunen die Aufgabe der örtlichen Energieversorgung nicht mehr wirksam wahrnehmen könnten. Die kommunalen Energieversorgungsunternehmen seien dem durch das Gesetz ausgelösten hemmungslosen Wettbewerb nicht gewachsen. Insbesondere die wirtschaftlich wichtigen "Industrie-Kunden" wechselten ihr Energieversorgungsunternehmen. Dadurch bedingte geringere Erlöse gefährdeten die Finanzierung öffentlicher Aufgaben, die bislang durch die Erträge im Energiegeschäft geleistet worden seien.

Die 13 Kommunen haben deshalb Verfassungsbeschwerden (Vb) gegen das Gesetz erhoben. Über diese Beschwerden ist noch nicht entschieden. Zugleich mit den Vb haben die Gemeinden Anträge auf Erlaß einer e. A. nach § 32 BVerfGG gestellt. Sie wollen mit diesen Anträgen erreichen, daß das EnWG jedenfalls teilweise bis zum 10. August 2000 ausgesetzt wird. Dies gilt im wesentlichen für folgende Regelungen:

  • Verpflichtung der Gemeinden, den Bau von Direktleitungen zur Versorgung von Energieabnehmern zu ermöglichen,
  • Aufhebung des Monopols des bisherigen Energieversorgers auch bezüglich der "Tarifkunden" (= im wesentlichen private Haushalte).

II.

Die Anträge wurden abgelehnt.

Zwar sind die Vb weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gebotene Folgenabwägung ergibt jedoch, daß der Erlaß der beantragten e. A. nicht zu rechtfertigen ist. Die Antragstellerinnen haben die Nachteile, die sie für den Fall des Nichtergehens einer e. A. befürchten, nicht hinreichend konkretisiert. Sie haben sich vielmehr im wesentlichen darauf beschränkt, mit allgemeinen Ausführungen ihre Befürchtungen über die Auswirkungen des neuen Gesetzes vorzutragen, ohne dabei konkret ihre jeweils individuelle Betroffenheit und die energiewirtschaftliche Situation im jeweiligen Gemeindegebiet im Einzelfall darzulegen. Der Sachvortrag enthält bezogen auf die jeweils individuelle energiewirtschaftliche Situation der einzelnen Antragstellerinnen keine konkreten, durch Tatsachen belegte Anknüpfungspunkte für konkrete Gefährdungen.

Die Darlegung konkreter Nachteile ist auch nicht wegen deren Offensichtlichkeit entbehrlich. So liegt es insbesondere nicht auf der Hand, daß und warum es trotz der Weitergeltung der bisherigen Konzessionsverträge und trotz der unberührt bleibenden kommunal- und/oder gesellschaftsrechtlichen Beherrschung der kommunalen Energieversorgungsunternehmen durch die jeweilige Kommune zu den befürchteten Nachteilen kommen sollte.

Schließlich gründen sich die Befürchtungen der Antragstellerinnen auf bislang unbestätigte Prognosen über erwartete Schwierigkeiten beim Gesetzesvollzug. Dies gilt beispielsweise auch für die ebenfalls nur pauschal vorgetragene Gefährdung von kommunaleigenen Stromerzeugungsanlagen in der Technik der Kraft-Wärme-Kopplung. Für solche Anlagen hat der Gesetzgeber jedenfalls dann einen Schutz vorgesehen, wenn sie technischwirtschaftlich sinnvoll sind. Hierzu haben die Antragstellerinnen keine konkreten und auf ihren jeweiligen Einzelfall bezogenen Ausführungen gemacht.