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Ermittlungsrichter ist für Beschränkungen im Rahmen von Beugehaft nicht zuständig

Pressemitteilung Nr. 110/1999 vom 28. Oktober 1999

Beschluss vom 28. September 1999
2 BvR 1897/95

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde(Vb) Verfahren mehrere Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH) für verfassungswidrig erklärt.

Die Beschlüsse betrafen einen Zeugen in einem Strafverfahren, gegen den wegen unberechtigter Zeugnisverweigerung Beugehaft angeordnet worden war. Der Ermittlungsrichter hatte sich die Brief und Besuchskontrolle vorbehalten und anschließend mehrfach Briefe an den Zeugen angehalten und Besuchsanträge abgelehnt. Für derartige Maßnahmen ist jedoch nicht der Ermittlungsrichter, sondern die Leitung der jeweiligen Haftanstalt zuständig.

I.

In einem Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sollte der Beschwerdeführer (Bf) als Zeuge vernommen werden. Er verweigerte die Aussage. Daraufhin ordnete der Ermittlungsrichter des BGH gegen ihn zur Erzwingung der Aussage Beugehaft (§ 70 Abs. 2 StPO) an. Außerdem behielt er sich die Kontrolle des Schriftverkehrs sowie die Regelung der Besuchsüberwachung vor. Während der knapp fünfmonatigen Haftzeit verhängte er in mehreren Fällen das Anhalten von Schreiben an den Bf und lehnte in zwei Fällen die Erteilung einer Besuchserlaubnis ab.

Gegen diese Maßnahmen erhob der Bf Vb und rügte insbesondere, daß im Falle von Beugehaft für die Überwachung des Briefverkehrs und der Besucher nicht der Ermittlungsrichter, sondern die Anstaltsleitung zuständig sei.

II.

Die Vb sind erfolgreich.

Die Entscheidung des Ermittlungsrichters, die Briefkontrolle und die Besuchsüberwachung selbst auszuüben, verletzt den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot. Der Ermittlungsrichter hat sich in seinen Beschlüssen ohne gesetzliche Grundlage die Briefkontrolle und die Regelung der Besuchsüberwachung vorbehalten und diese später auch durchgeführt. Das Strafvollzugsgesetz erklärt jedoch im Falle der Vollstreckung von Beugehaft den Leiter der Justizvollzugsanstalt hinsichtlich solcher Kontrollmaßnahmen für zuständig. Eine Auslegung der gesetzlichen Vorschriften, die eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters herleitet, ist unter keinem Gesichtspunkt vertretbar und deshalb willkürlich.

Auch die Berufung auf die Eigenart und den Zweck der Erzwingungshaft rechtfertigt es nicht, die aus dem Strafvollzugsgesetz folgende Zuständigkeitsanordnung durch eine andere zu ersetzen. Die Übertragung der Kontrollbefugnisse auf den Ermittlungsrichter ist weder zwingend geboten noch besteht hierfür ein sachliches Bedürfnis. Die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes mit ihrer auf den Anstaltsleiter übertragenen Kontrolle des Schriftverkehrs und der Besuchsüberwachung gewährleisten eine hinreichende Überwachung der Außenkontakte der inhaftierten Zeugen. Der Anstaltsleiter ist regelmäßig auch ohne nähere Information über den Stand und den Inhalt des Ermittlungsverfahrens in der Lage, die ihm obliegende Überwachungsaufgabe zu erfüllen. In Zweifelsfragen wird er ohnehin mit der Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Richter Kontakt aufnehmen.