Bundesverfassungsgericht

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Bekanntgabe der Entscheidung im Verfahren "Schuldrechtsanpassungsgesetz" wird am 17. November 1999 erfolgen

Pressemitteilung Nr. 119/1999 vom 16. November 1999

1 BvR 995/95, 2288/95 und 2711/95

Morgen, am 17. November 1999, wird der Erste Senat des BVerfG seine Entscheidung bekannt geben, ob wichtige Vorschriften des am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Schuldrechtsanpassungsgesetzes (SchuldRAnpG) mit dem GG vereinbar sind.

Der Senatsbeschluß beruht auf drei Verfassungsbeschwerden (Vb), die insgesamt sieben Beschwerdeführer (Bf) unmittelbar gegen Regelungen dieses Gesetzes erhoben haben. Die Bf sind Eigentümer von im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücken.

I.

Das SchuldRAnpG regelt u.a. die Rechtsverhältnisse von Eigentümern und Nutzern hinsichtlich der Nutzung von Grundstücken zu Erholungs- und Freizeitzwecken ("Datschengrundstücke") und zur Errichtung von Garagen. Dem Gesetz unterliegen noch ca. 1 Million solcher Grundstücke.

1. In der DDR wurden Grundstücke privaten Nutzern vielfach auch ohne oder gegen den Willen der Eigentümer zum Zwecke der Erholung und Freizeitgestaltung überlassen. Sofern vereinbart, durfte der Nutzer hierauf ein Wochenendhaus oder andere Baulichkeiten (z.B. Garage) errichten, an denen er unabhängig vom Eigentum am Grundstück Eigentum erwarb. Das üblicherweise vereinbarte Nutzungsentgelt lag erheblich unter den Preisen, die sich unter Marktbedingungen ergeben hätten.

Die Nutzungsverhältnisse konnten vom Überlassenden nur ausnahmsweise gekündigt werden. Voraussetzung war ein gesellschaftlich gerechtfertigter Grund, der insbesondere vorlag, wenn der Nutzungsberechtigte seine Pflichten wiederholt gröblich verletzt, andere Nutzungsberechtigte erheblich belästigt oder sich auf andere Weise gemeinschaftsstörend verhalten hatte. Wurde das Grundstück außerhalb einer Kleingartenanlage genutzt, war eine Kündigung auch bei dringendem Eigenbedarf möglich. Hatte der Nutzungsberechtigte vereinbarungsgemäß ein Wochenendhaus oder eine Garage errichtet, konnte das Nutzungsverhältnis gegen seinen Willen nur durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden.

2. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland stellte sich dem Bundesgesetzgeber die Aufgabe, die auf die sozialistische Eigentumsordnung zugeschnittenen Bodennutzungsverhältnisse im Beitrittsgebiet in Rechtsformen zu überführen, die denen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechen. Dies geschah in mehreren Schritten.

Die abschließende Überführung in das Recht des BGB nimmt das SchuldRAnpG vor. Es regelt u.a. die Entschädigungspflicht der Eigentümer für vom Nutzer errichtete Baulichkeiten und für Vermögensnachteile, die Höhe der Nutzungsentgelte sowie die Kündigungsmöglichkeiten. Der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften ist in der Anlage beigefügt.

Im einzelnen:

a) Entschädigungspflicht

Endet das Vertragsverhältnis, muß der Eigentümer dem Nutzer Entschädigung für das errichtete Bauwerk zahlen (§ 12 Abs. 1 bis 3 SchuldRAnpG). Sofern das Vertragsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsschutzfrist endet, muß der Eigentümer dem Nutzer auch eine Entschädigung für Vermögensnachteile zahlen, die durch die vorzeitige Beendigung entstanden sind (§ 14 SchuldRAnpG).

b) Nutzungsentgelt

Maßgeblich ist § 20 SchuldRAnpG, der hinsichtlich der Höhe auf die Nutzungsentgeltverordnung (NutzEV) Bezug nimmt. Danach darf das Entgelt nur schrittweise bis zur Höhe der ortsüblichen Entgelte angehoben werden.

c) Kündigungsschutz

Gemäß § 23 SchuldRAnpG besteht ein abgestufter, zwischen vom Nutzer bebauten und nicht bebauten Erholungs- und Freizeitgrundstücken sowie Garagengrundstücken differenzierender Kündigungsschutz:

  • bis zum 31. Dezember 1999 sind ordentliche Kündigungen ausgeschlossen,
  • für die Zeit danach wird der Kündigungsschutz des Nutzers schrittweise eingeschränkt (s. Abs. 2, 3 und 6),
  • Nutzern bebauter Erholungs- und Freizeitgrundstücke, die am Oktober 1990 das 60. Lebensjahr vollendet hatten, kann gar nicht gekündigt werden (Abs. 5),
  • erst ab dem 4. Oktober 2015 kann der Vertrag nach den allgemeinen Vorschriften des BGB gekündigt werden (Abs. 4).

3. Die Bf halten diese Regelungen insbesondere im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG für verfassungswidrig.

Im wesentlichen beanstanden sie folgendes:

  • Die Kündigungsschutzregelungen bedeuteten eine einseitige Bevorzugung der Nutzer; so würden mit dem absoluten Kündigungsschutz für Nutzer, die am 3. Oktober 1990 das 60. Lebensjahr vollendet hatten (§ 23 Abs. 5 SchuldRAnpG), dem Eigentümer auf unbestimmte Zeit Besitz, Verfügungsgewalt und Verwertungsmöglichkeit genommen, unabhängig davon, ob der Nutzer das Grundstück tatsächlich nutze.
  • Es müsse die Möglichkeit einer Teilkündigung geben, sofern die genutzte Fläche die nach DDR-Recht für den Eigenheimbau vorgesehene Regelgröße von 500 m² übersteige.
  • Trotz des relativ niedrigen Pachtzinses müßten allein die Eigentümer die Erschließungsbeiträge zahlen, obwohl hiervon zunächst nur die Nutzer profitierten.
  • Das auch für Garagennutzer bis zum 31. Dezember 1999 geltende absolute Kündigungsverbot (§ 23 Abs. 1 und 6 Satz 1 SchuldRAnpG) räume diesen einen unverhältnismäßig großen Bestandsschutz ein; das Interesse eines Nutzers an seiner Garage sei offensichtlich geringer zu bewerten als das Interesse des Eigentümers an einer wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung des Grundstücks.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 119/99 vom 16. November 1999

Vorschriften aus dem SchuldRAnpG

§ 12
Entschädigung für das Bauwerk

(1) Der Grundstückseigentümer hat dem Nutzer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses eine Entschädigung für ein entsprechend den Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik errichtetes Bauwerk nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu leisten. Das Recht des Nutzers, für ein rechtswidrig errichtetes Bauwerk Ersatz nach Maßgabe der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zu verlangen, bleibt unberührt.

(2) Endet das Vertragsverhältnis durch Kündigung des Grundstückseigentümers, ist die Entschädigung nach dem Zeitwert des Bauwerks im Zeitpunkt der Rückgabe des Grundstücks zu bemessen. Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der Nutzer durch sein Verhalten Anlaß zu einer Kündigung aus wichtigem Grund gegeben hat oder das Vertragsverhältnis zu einem Zeitpunkt endet, in dem die Frist, in der der Grundstückseigentümer nur unter den in diesem Gesetz genannten besonderen Voraussetzungen zur Kündigung berechtigt ist (Kündigungsschutzfrist), seit mindestens sieben Jahren verstrichen ist.

(3) In anderen als den in Absatz 2 genannten Fällen kann der Nutzer eine Entschädigung verlangen, soweit der Verkehrswert des Grundstücks durch das Bauwerk im Zeitpunkt der Rückgabe erhöht ist.

(4) Der Nutzer ist zur Wegnahme des Bauwerks berechtigt...

(5) ...

§ 14
Entschädigung für Vermögensnachteile

Endet das Vertragsverhältnis durch Kündigung des Grundstückseigentümers vor Ablauf der Kündigungsschutzfrist, kann der Nutzer neben der Entschädigung für das Bauwerk nach § 12 eine Entschädigung für die Vermögensnachteile verlangen, die ihm durch die vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses entstanden sind. Der Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, wenn der Nutzer durch sein Verhalten Anlaß zu einer Kündigung aus wichtigem Grund gegeben hat.

§ 20 Abs. 1 und 2
Nutzungsentgelt

(1) Der Grundstückseigentümer kann vom Nutzer die Zahlung eines Nutzungsentgelts verlangen. Die Höhe des Entgelts richtet sich nach der Nutzungsentgeltverordnung vom 22. Juli 1993 (BGBl. I S. 1339) in ihrer jeweils gültigen Fassung.

(2) Auf die bisher unentgeltlichen Nutzungsverträge sind die Bestimmungen der Nutzungsentgeltverordnung entsprechend anzuwenden. Der Grundstückseigentümer kann den Betrag verlangen, den der Nutzer im Falle einer entgeltlichen Nutzung nach den §§ 3 bis 5 der Nutzungsentgeltverordnung zu zahlen hätte.

Zur Höhe des Entgelts ist in § 3 Abs. 1 und 2 der Nutzungsentgeltverordnung (NutzEV) in der Fassung der Verordnung vom 24. Juli 1997 (BGBl I S. 1920) folgendes geregelt:

Schrittweise Entgelterhöhung bis zur Höhe der ortsüblichen Entgelte

(1) Die Entgelte dürfen ... schrittweise bis zur Höhe der ortsüblichen Entgelte erhöht werden. Zur angemessenen Gestaltung der Nutzungsentgelte darf die Erhöhung in folgenden Schritten vorgenommen werden:

  1. ab dem 1. November 1993 auf das Doppelte der am 2. Oktober 1990 zulässigen Entgelte, jedoch mindestens auf 0,15 Deutsche Mark, bei baulich genutzten Grundstücken auf 0,30 Deutsche Mark je Quadratmeter Bodenfläche im Jahr,
  2. ab dem 1. November 1994 auf das Doppelte der sich nach Nummer 1 ergebenden Entgelte,
  3. ab dem 1. November 1995 auf das Doppelte der sich nach Nummer 2 ergebenden Entgelte,
  4. ab dem 1. November 1997 höchstens um die Hälfte der sich nach Nummer 3 ergebenden Entgelte,
  5. ab dem 1. November 1998 jährlich höchstens um ein Drittel der sich nach Nummer 3 ergebenden Entgelte.

(2) Ortsüblich sind die Entgelte, die nach dem 2. Oktober 1990 in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für vergleichbar genutzte Grundstücke vereinbart worden sind. Für die Vergleichbarkeit ist die tatsächliche Nutzung unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bebauung der Grundstücke maßgebend.

§ 23
Kündigungsschutzfrist

(1) Der Grundstückseigentümer kann den Vertrag bis zum Ablauf des 31. Dezember 1999 nicht kündigen.

(2) Vom 1. Januar 2000 an kann der Grundstückseigentümer den Vertrag nur kündigen, wenn er das Grundstück

  1. zur Errichtung eines Ein- oder Zweifamilienhauses als Wohnung für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen benötigt und der Ausschluß des Kündigungsrechts dem Grundstückseigentümer angesichts seines Wohnbedarfs und seiner sonstigen berechtigten Interessen auch unter Würdigung der Interessen des Nutzers nicht zugemutet werden kann oder
  2. alsbald der im Bebauungsplan festgesetzten anderen Nutzung zuführen oder alsbald für diese Nutzung vorbereiten will.

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 ist die Kündigung auch vor Rechtsverbindlichkeit deümer kann den Vertrag bis zum Ablauf des 31. Dezember 1999 nicht kündigen.

(2) Vom 1. Januar 2000 an kann der Grundstückseigentümer den Vertrag nur kündigen, wenn er das Grundstück

  1. zur Errichtung eines Ein- oder Zweifamilienhauses als Wohnung für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen benötigt und der Ausschluß des Kündigungsrechts dem Grundstückseigentümer angesichts seines Wohnbedarfs und seiner sonstigen berechtigten Interessen auch unter Würdigung der Interessen des Nutzers nicht zugemutet werden kann oder
  2. alsbald der im Bebauungsplan festgesetzten anderen Nutzung zuführen oder alsbald für diese Nutzung vorbereiten will.

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 ist die Kündigung auch vor Rechtsverbindlichkeit des Bebauungsplans zulässig, wenn die Gemeinde seine Aufstellung, Änderung oder Ergänzung beschlossen hat, nach dem Stand der Planungsarbeiten anzunehmen ist, daß die beabsichtigte andere Nutzung festgesetzt wird, und dringende Gründe des öffentlichen Interesses die Vorbereitung oder die Verwirklichung der anderen Nutzung vor Rechtsverbindlichkeit des Bebauungsplans erfordern.

(3) Vom 1. Januar 2005 an kann der Grundstückseigentümer den Vertrag auch dann kündigen, wenn er das Grundstück

  1. zur Errichtung eines Ein- oder Zweifamilienhauses als Wohnung für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen benötigt oder
  2. selbst zu kleingärtnerischen Zwecken, zur Erholung oder Freizeitgestaltung benötigt und der Ausschluß des Kündigungsrechts dem Grundstückseigentümer angesichts seines Erholungsbedarfs und seiner sonstigen berechtigten Interessen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Nutzers nicht zugemutet werden kann.

(4) Vom 4. Oktober 2015 an kann der Grundstückseigentümer den Vertrag nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen kündigen.

(5) Hatte der Nutzer am 3. Oktober 1990 das 60. Lebensjahr vollendet, ist eine Kündigung durch den Grundstückseigentümer zu Lebzeiten dieses Nutzers nicht zulässig.

(6) Für Verträge im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 über Grundstücke, die der Nutzer nicht bis zum Ablauf des 16. Juni 1994 bebaut hat, und für Nutzungsverträge über Garagengrundstücke gilt der besondere Kündigungsschutz nach den Absätzen 1 und 2 nur bis zum 31. Dezember 2002. Absatz 5 ist nicht anzuwenden. Diese Verträge kann der Grundstückseigentümer auch dann kündigen, wenn er das Grundstück einem besonderen Investitionszweck im Sinne des § 3 Abs. 1 des Investitionsvorranggesetzes zuführen will.

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