Bundesverfassungsgericht

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Zum Verfahrenskomplex "Heranziehung von 'Einmalzahlungen' zu Sozialversicherungsbeiträgen"

Pressemitteilung Nr. 121/1999 vom 16. November 1999

Die Vielzahl von Anfragen zum Verfahrenskomplex "Heranziehung von 'Einmalzahlungen' zu Sozialversicherungsbeiträgen" gibt Anlaß zu folgendem Hinweis:

Der Erste Senat des BVerfG hat mit Beschluß vom 11. Januar 1995 (Az. 1 BvR 892/88) entschieden, daß es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld usw.) zu Sozialversicherungsbeiträgen heranzuziehen, die "Einmalzahlung" aber bei der Berechnung von Lohnersatzleistungen (beispielsweise Arbeitslosengeld, Krankengeld und Übergangsgeld) nicht zu berücksichtigen (die Pressemitteilung vom 15. Mai 1995 Nr. 23/95 ist in der Anlage beigefügt). Der Senat hat seinerzeit die beanstandete gesetzliche Regelung bis Ende 1996 für anwendbar erklärt.

Mit Wirkung zum 1. Januar 1997 hat der Gesetzgeber neue Regelungen erlassen. Nach Auffassung verschiedener Sozialgerichte entsprechen diese nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Gerichte haben deshalb die Neuregelung dem BVerfG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt.

Es handelt sich um insgesamt fünf Vorlagen des Sozialgerichts Kassel, zwei Vorlagen des Sozialgerichts Berlin und jeweils eine Vorlage der Sozialgerichte Hamburg, Köln und Leipzig. Weiterhin sind zu diesem Komplex zwei Verfassungsbeschwerde-Verfahren anhängig.

Der Erste Senat wird voraussichtlich im Jahre 2000 eine Entscheidung treffen.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 121/99 vom 16. November 1999

Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts Nr. 23/95

Das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - hat die Regelung des Sozialversicherungsrechts, wonach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld usw.) zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne daß es bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen (beispielsweise Arbeitslosengeld, Krankengeld und Übergangsgeld) berücksichtigt wird, für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) erklärt.

Die mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung bestimmt, daß Sozialversicherungsbeiträge bei Einmalzahlungen nicht nur bis zu der für den Lohnabrechnungszeitraum geltenden Beitragsbemessungsgrenze, sondern entsprechend der anteiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze erhoben werden. Andererseits bleiben solche Einmalzahlungen - obgleich sie beitragspflichtig sind - bei der Berechnung sogenannter kurzfristiger Lohnersatzleistungen außer Betracht.

Das Bundesverfassungsgericht hat die vom Beschwerdeführer gerügte unterschiedliche Beitragsbelastung, die je nach dem Auszahlungszeitpunkt der Einmalzahlung auftreten kann, verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Eine andere Typisierung wäre nicht verwaltungspraktikabel und die Unterschiede seien auch nicht sehr erheblich.

Dagegen sei der Gesetzgeber nicht berechtigt, bei kurzfristigen Lohnersatzleistungen sämtliche beitragspflichtigen Entgeltbestandteile außer Betracht zu lassen, die dem Versicherten zwar nicht in jedem Entgeltabrechnungszeitraum zustünden, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit - über einen längeren Zeitraum betrachtet - aber kaum weniger beeinflußten als das laufende Arbeitsentgelt. Denn auch die sogenannten kurzfristigen Leistungen würden für Zeiträume gezahlt, die eineinhalb Jahre (Krankengeld), zwei Jahre (Übergangsgeld) und bis zu drei Jahre (Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer) umfaßten.

Dem Gesetzgeber stehe es frei, wie er die wiederkehrenden, tarif- oder einzelvertraglich vereinbarten Sonderzahlungen entweder auf der Beitragsseite durch eine Änderung der Beitragsbemessung bei Einmalzahlungen beseitigen oder auf der Leistungsseite durch Einbeziehung von Einmalzahlungen in die Bemessungsgrundlage kurzfristiger Lohnersatzleistungen.

Die beanstandete Regelung kann jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 1996, weiter angewendet werden.

(Beschluß vom 11. Januar 1995 - 1 BvR 892/88)