Bundesverfassungsgericht

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Verzögerungen bei der Briefbeförderung dürfen nicht dem Bürger angelastet werden

Pressemitteilung Nr. 127/1999 vom 25. November 1999

Beschluss vom 11. November 1999
1 BvR 762/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde (Vb)-Verfahren einstimmig entschieden, daß im Wiedereinsetzungsverfahren Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG nicht dem Bürger als Verschulden zugerechnet werden dürfen.

I.

In einem zivilgerichtlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin (Bf) die Begründung ihrer Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts einen Tag vor Ablauf der Frist zur Post gegeben. Da das Schreiben nicht rechtzeitig beim Landgericht (LG) eintraf, verwarf dieses Gericht ohne Nachfrage bei der Post die Berufung und wies einen Antrag der Bf auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung zurück, daß selbst bei störungsfreiem Betrieb mit einer Postlaufzeit von bis zu drei Tagen gerechnet werden müsse.

II.

Die Entscheidungen des LG verletzen die Bf in ihrem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

In einem Wiedereinsetzungsverfahren dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung nicht dem Bürger angelastet werden. Dieser darf darauf vertrauen, daß die nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden. Im Verantwortungsbereich des Bürgers liegt es lediglich, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, daß es bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Bei Zweifeln ist eine Auskunft der Post einzuholen, wie lange die Postlaufzeit nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bemessen ist. Differenzierungen danach, ob die Verzögerung auf einer zeitweise besonders starken Beanspruchung der Leistungsfähigkeit der Post, etwa vor Feiertagen, oder auf einer verminderten Dienstleistung der Post, etwa an Wochenenden, beruht, sind unzulässig.