Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde von SAT 1 gegen das Verbot, den Film "Soldatenmord von Lebach" auszustrahlen

Pressemitteilung Nr. 137/1999 vom 9. Dezember 1999

Beschluss vom 25. November 1999
1 BvR 348/98

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat einstimmig folgendes entschieden:

1. Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) des Fernsehsenders SAT 1 werden gerichtliche Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz und des Landgerichts Mainz wegen Verletzung der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) aufgehoben. Die Gerichte hatten dem Sender im vorläufigen Rechtsschutzverfahren untersagt, den Fernsehfilm "Soldatenmord von Lebach" auszustrahlen.

Die Sache wird an das Landgericht Mainz zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Az. 1 BvR 755/98

2. Die Vb eines verurteilten, vor sieben Jahren aus der Haft entlassenen Tatbeteiligten wird nicht zur Entscheidung angenommen. Seine Vb richtete sich gegen Entscheidungen des Saarländischen Oberlandesgerichts und des Landgerichts Saarbrücken, mit denen der Antrag des Beschwerdeführers (Bf), SAT 1 die Ausstrahlung des Films vorläufig zu untersagen, zurückgewiesen worden war.

Az. 1 BvR 348/98

I.

1. Im Januar 1969 wurden bei einem Überfall auf ein Munitionsdepot der Bundeswehr in Lebach vier Bundeswehrsoldaten getötet, ein weiterer Soldat wurde schwer verletzt.

Das BVerfG hatte im Juni 1973 dem ZDF einstweilen untersagt, den Dokumentarfilm "Soldatenmord von Lebach" auszustrahlen, soweit in dem Film die Person des damaligen Bf (nicht identisch mit dem Bf im jetzt entschiedenen Verfahren 1 BvR 348/98) namentlich erwähnt oder dargestellt werde (sogenannte Lebach-Entscheidung; veröffentlicht in BVerfGE 35, 202 ff; die Pressemitteilung vom 5. Juni 1973 Nr. 27/73 wird auf Anfrage gern übersandt).

2. SAT 1 produzierte 1996 als Pilotfilm für eine Sendereihe mit dem Titel "Verbrechen, die Geschichte machten" den Film "Der Fall Lebach (1969)". Anders als in dem seinerzeit vom ZDF hergestellten Film haben die dargestellten Täter fiktive Namen, ihr Bild wird nicht gezeigt. Auch handelt es sich nicht um einen Dokumentarfilm, sondern um ein Fernsehspiel. Die Spielhandlung wird mehrfach durch erläuternde Hinweise eines Polizeipräsidenten unterbrochen.

Je länger der Film dauert, desto stärker treten die letztlich erfolgreichen Fahndungsmaßnahmen in den Vordergrund.

a) Ein verurteilter Tatbeteiligter, der vor sieben Jahren aus der Haft entlassen wurde, beantragte beim Landgericht Saarbrücken, die Ausstrahlung des Films vorläufig zu untersagen. Er machte geltend, durch die Ausstrahlung würde seine noch nicht abgeschlossene Resozialisierung gefährdet und dadurch sein Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Eine Berufung zum Saarländischen Oberlandesgericht blieb erfolglos.

b) Ein - nach wie vor inhaftierter weiterer Täter erstritt im Dezember 1996 beim Landgericht Mainz eine einstweilige Verfügung, mit welcher dem Sender die Ausstrahlung des Films untersagt wurde. Eine Berufung von SAT 1 zum Oberlandesgericht Konstanz blieb erfolglos.

II.

1. Vb von SAT 1

Die Vb ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Bf in ihrem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Im konkreten Fall waren das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und die Rundfunkfreiheit des Senders gegeneinander abzuwägen. Die von den Zivilgerichten vorgenommene Abwägung hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand.

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt zwar auch vor stigmatisierenden Darstellungen, die die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft wesentlich zu erschweren drohen. Das Grundrecht vermittelt Straftätern aber keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden.

Im Fall des ZDF-Films, über den das BVerfG 1973 zu entscheiden hatte, ergab sich die besondere Schwere der Beeinträchtigung der Person daraus, daß die Fernsehberichterstattung über eine aufsehenerregende Straftat in Form eines Dokumentarspiels unter Namensnennung und Abbildung des Täters vorgesehen war. In engem zeitlichem Zusammenhang mit der Haftentlassung ausgestrahlt, hätte das Dokumentarspiel wegen der breiten Wirkung und Suggestivkraft des Fernsehens die Resozialisierung des Betroffenen damals erheblich erschwert, wenn nicht gar verhindert.

Im vorliegenden Fall ist keine "den Täter identifizierende Sendung" geplant, von der die befürchteten negativen Auswirkungen ausgehen könnten. Nach den Feststellungen der Fachgerichte wäre der Betroffene aufgrund der SAT 1-Sendung allenfalls für solche Personen identifizierbar, denen er ohnehin als einer der Tatbeteiligten bekannt ist. Es ist deshalb nicht wahrscheinlich, daß die Ausstrahlung des Films zu einer erstmaligen oder erneuten Stigmatisierung oder Isolierung des Betroffenen führt.

Auch seine Resozialisierung erscheint durch die Ausstrahlung des Films nicht gefährdet. Zwar mögen die Personen, die den Betroffenen als Tatbeteiligten bereits kennen, in ihren (Vor-)Urteilen bestärkt werden. Daß der Film aber eine bisher nicht vorhandene Ablehnung gegen den Betroffenen hervorrufen könnte, ist aufgrund der Darstellungsweise nicht ersichtlich.

b) Hinsichtlich der Rundfunkfreiheit der Bf haben die Gerichte nicht ausreichend berücksichtigt, daß das Verbot einer Sendung stets einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellt. Selbst wenn die Sendung weniger informativen als unterhaltenden Charakter hat, gibt sie doch auch zeitgeschichtliche Aspekte wieder. In der Tat und den Motiven der Täter, vor allem aber in der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit, liegt auch eine Aussage über den Zustand der Gesellschaft im Jahre 1969. Mit dem Verbot wird also generell die Möglichkeit unterbunden, anhand der filmischen Darstellung eines Verbrechens eine bestimmte, zeitgeschichtlich interessante Phase zu thematisieren.

c) Die unzutreffende Bestimmung des Schutzbereichs der einschlägigen Grundrechte und die Verkennung der Unterschiede zwischen den konkreten Umständen, die dem Lebach-Urteil von 1973 und dem Film von SAT 1 zugrunde liegen, haben sich auch entscheidungserheblich ausgewirkt. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Gerichte zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie Bedeutung und Tragweite der Grundrechte richtig eingeschätzt hätten.

2. Vb des Tatbeteiligten

Die Vb 1 BvR 348/98 hat demgegenüber keine Aussicht auf Erfolg. Das folgt im wesentlichen aus den soeben dargelegten Erwägungen. Die saarländischen Gerichte haben in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, daß der Film eine Identifizierung des Bf nicht ermögliche und von daher nicht geeignet sei, dessen Resozialisierung zu gefährden. Sie haben dabei insbesondere darauf abgestellt, daß der Bf seit sieben Jahren unter seinem echten Namen in Freiheit lebt und keinen Vorbehalten seiner Umgebung ausgesetzt sei.

Aufgrund der verfremdeten Darstellung des Bf gehe von dem Film keine Prangerwirkung aus. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die Gerichte aufgrund dieser Feststellungen der Rundfunkfreiheit den Vorrang vor den Persönlichkeitsbelangen des Bf eingeräumt haben.