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Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen das Altschuldenhilfe-Gesetz

Pressemitteilung Nr. 144/1999 vom 22. Dezember 1999

Beschluss vom 01. Dezember 1999
1 BvR 2132/93

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen Vorschriften des Altschuldenhilfe-Gesetzes von Juni 1993 (AHG) nicht zur Entscheidung angenommen.

Nach diesem Gesetz erhalten kommunale Wohnungsunternehmen, Kommunen, Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter staatliche Altschuldenhilfen, wenn sie im Gegenzug die Altschulden gegenüber der kreditgebenden Bank anerkennen. Wohnungsunternehmen müssen darüber hinaus innerhalb von zehn Jahren mindestens 15% ihres Wohnungsbestandes privatisieren (kommunale Wohnungsunternehmen, Kommunen) oder veräußern (Wohnungsgenossenschaften) und nach bestimmten Maßgaben einen Teil des Erlöses an den Erblastentilgungsfonds abführen.

I.

1. Die Hilfen nach dem AHG dienen dem Abbau der Schuldenlast aus Krediten, die aufgrund von Rechtsvorschriften der DDR im Rahmen des volkseigenen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus sowie zur Schaffung und Erhaltung oder Besserung von privatem Wohnraum gewährt worden sind (sogenannte Altverbindlichkeiten). Diese Zahlungsverpflichtungen waren zunächst bis zum 31. Dezember 1993 aufgrund einer Absprache mit den Kreditinstituten gestundet worden.

Das AHG sieht eine teilweise Entlastung von den Verbindlichkeiten vor und gewährt zudem Zinshilfen für die Zeit von Januar 1994 bis Ende Juni 1995. Die Teilentlastung trägt der Erblastentilgungsfonds, die Zinshilfe tragen der Bund und die neuen Bundesländer sowie das Land Berlin jeweils zur Hälfte.

Voraussetzung für die Gewährung von Altschuldenhilfe ist die rechtzeitige Antragstellung (bis 31. Dezember 1993), das Anerkenntnis der Verbindlichkeiten gegenüber der kreditgebenden Bank sowie der Abschluß eines Kreditvertrages hierüber. Wohnungsunternehmen müssen darüber hinaus mindestens 15% ihres Wohnungsbestandes mit mindestens 15% der Wohnfläche (Stand Januar 1993) bis zum 31. Dezember 2003 privatisieren oder veräußern. Ein bestimmter Anteil des Verkaufserlöses ist an den Erblastentilgungsfonds abzuführen. Der abzuführende Anteil ist um so niedriger, je früher veräußert wird.

Zweck des Gesetzes ist eine angemessene Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes, insbesondere die Verbesserung der Kredit- und Investitionsfähigkeit der Wohnungsunternehmen und privaten Vermieter sowie gleichzeitig die Verbesserung der Voraussetzungen für die Privatisierung und Bildung individuellen Wohneigentums für Mieter.

2. Beschwerdeführerin (Bf) ist eine private Wohnungsbaugenossenschaft in Berlin. Ihre Vb richtete sich unmittelbar gegen das AHG. Die Bf sieht sich in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot) verletzt.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat festgestellt, daß die angegriffenen Vorschriften die Bf nicht in ihren Grundrechten verletzen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Anerkenntnisverpflichtung

Die Verpflichtung zur Anerkennung der Altschulden stellt keinen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen der Bf dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des BVerfG sind die nach dem Recht der DDR begründeten Kredite mit dem Ende des planwirtschaftlichen Systems nicht untergegangen. Wohnungsbaugenossenschaften bleiben nach der Wiedervereinigung mit den Altverbindlichkeiten, deren Gläubiger nunmehr private Banken sind, belastet. Das Anerkenntnis begründet keine neue Verbindlichkeit, sondern entzieht die ohnehin bestehenden Altschulden weiterem Streit der Kreditvertragsparteien.

2. Veräußerungspflicht/Abgabeverpflichtung an den Erblastentilgungsfonds

Es kann offen bleiben, ob diese Verpflichtungen einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG darstellen. Ein solcher Eingriff wäre jedenfalls verfassungsrechtlich zulässig.

a) Trotz der mit der Subventionsbewilligung verbundenen Nebenbestimmungen werden in der Gesamtschau die wirtschaftliche Situation der Bf und damit auch ihre "beruflichen" Betätigungsmöglichkeiten nicht verschlechtert, sondern im Gegenteil erheblich verbessert.

Läge ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG dennoch vor, sind die Pflichten jedenfalls durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber verfolgte hiermit zwei Ziele: Zum einen sollte den Wünschen vieler Bürger in den neuen Bundesländern nach Erwerb von Wohnungseigentum Rechnung getragen werden, zum anderen sollten den Wohnungsunternehmen mit Hilfe der nicht abzuführenden Erlösanteile zusätzliche finanzielle Spielräume für die Finanzierung von Investitionen verschafft werden.

Die Einschätzung des Gesetzgebers, daß die Veräußerung eines Teils der vorhandenen Wohnungen geeignet ist, den Wohnungsunternehmen zusätzliche Liquidität einerseits für die Mitfinanzierung des Erblastentilgungsfonds, andererseits aber auch zur Erweiterung der eigenen wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit zu verschaffen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Auferlegung dieser Pflichten überschreitet auch nicht die Grenze des Zumutbaren. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sind die erheblichen Vorteile zu berücksichtigen, die für die Bf mit der existenzsichernden Teilentlastung, durch die sie von Schulden in Höhe von ca. 120 Millionen DM befreit wird, verbunden sind. Im Verhältnis hierzu erscheint die Pflicht, 15% des Wohnungsbestandes (im Falle der Bf 360 von insgesamt 2.394 Wohnungen) innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren zu veräußern, nicht unangemessen. Dies gilt umso mehr, als erhebliche Teile des dabei erzielten Erlöses der Bf erhalten bleiben. Außerdem muß die Bf nach dem AHG die Subventionen bei Nichterfüllung ihrer Pflichten nur dann zurückerstatten, wenn sie diese Nichterfüllung zu vertreten hat. Sollte sich daher bis zum 31. Dezember 2003 herausstellen, daß es der Bf trotz aller gebotener Anstrengung nicht möglich war, die erforderliche Anzahl von Wohnungen zu veräußern, blieben ihr die empfangenen Subventionen dennoch erhalten.

Insgesamt führen die angegriffenen Bestimmungen daher nicht zu einer übermäßigen, die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr wahrenden Belastung der Bf.

b) Selbst wenn man unterstellt, daß die gesetzlichen Pflichten den Schutzbereich der Eigentumsgarantie berühren, stellen sie keine Enteignung, sondern eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

Die mit der Veräußerungspflicht verfolgten Ziele der Verbesserung der Kredit- und Investitionsfähigkeit der Wohnungsunternehmen und der Förderung der Bildung individuellen Wohneigentums liegen ebenso im öffentlichen Interesse wie die durch die begrenzte Erlösabführungspflicht erfolgte Heranziehung der subventionierten Wohnungsunternehmen zu einer maßvollen Beteiligung an der Finanzierung des Erblastentilgungsfonds zum Zweck der Entlastung des Staatshaushaltes.

3. Art. 3 Abs. 1 GG

Entgegen der Auffassung der Bf liegt darin, daß das AHG kommunale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften gleich behandelt, auch kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot.

Die Besonderheiten der Wohnungsgenossenschaften gegenüber den kommunalen Wohnungsunternehmen sind im Zusammenhang mit dem Regelungsgegenstand des AHG nicht von solchem Gewicht, daß eine differenzierende Regelung verfassungsrechtlich geboten wäre. Kommunale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften sind von der Altschuldenproblematik in gleicher Weise betroffen, die Finanzierung des volkseigenen und des genossenschaftlichen Wohnungsbaus erfolgte in der DDR nach übereinstimmenden Grundsätzen.