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Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Verkleinerung des Gerichtsbezirks des Oberlandesgerichts Celle

Pressemitteilung Nr. 1/2000 vom 4. Januar 2000

Beschluss vom 22. Dezember 1999
1 BvR 1859/97

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) zweier Rechtsanwälte aus Celle einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb richtete sich gegen das Niedersächsische Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen (Umgliederungsgesetz) von Juni 1997, mit dem das Landgericht Göttingen ab 1. Januar 1998 aus dem Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts (OLG) Celle herausgenommen und dem Gerichtsbezirk des OLG Braunschweig zugewiesen worden ist.

I.

Die gesetzliche Verkleinerung des Gerichtsbezirks des OLG Celle soll nach den Gesetzgebungsmaterialien dem ungleichen Zuschnitt der drei OLG in Niedersachsen entgegenwirken. Deren Größenverhältnisse seien sehr unausgewogen. Das OLG Braunschweig sei nur für etwa 950.000, das OLG Celle für rund 4,5 Millionen und das OLG Oldenburg für etwa 2,4 Millionen sogenannte Gerichtseingesessene zuständig. Die Umgliederung werde dem OLG Braunschweig einen Zuwachs von voraussichtlich 7 oder 8 Richterinnen und Richtern bringen und damit einen höheren Grad an Spezialisierung ermöglichen. Die Einbuße sei für das OLG Celle bei etwa 90 Richtern verkraftbar. Gegen dieses Umgliederungsgesetz erhoben zwei Rechtsanwälte im September 1997 Vb. Sie seien (nur) beim OLG Celle als Rechtsanwälte zugelassen und könnten infolge der Verkleinerung dieses Gerichtsbezirks Göttinger Mandanten jedenfalls nicht mehr vor einem OLG vertreten. Die Bearbeitung solcher Mandate habe jedoch einen gewissen Schwerpunkt ihrer Arbeit ausgemacht. Das angegriffene Gesetz verstoße deshalb u.a. gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG). Mit Wirkung zum 1. Januar 1998 wurden die beiden Beschwerdeführer (Bf) zusätzlich beim OLG Braunschweig zugelassen, soweit Mandate aus dem Landgerichtsbezirk Göttingen betroffen sind. Die Bf hielten ihre Vb dennoch aufrecht.

II.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Das Grundrecht auf freie Berufsausübung ist nicht verletzt. Nur eine Norm mit berufsregelnder Tendenz könnte in dieses Grundrecht eingreifen. Eine solche finale Bezogenheit auf die anwaltliche Berufsausübung weist das Umgliederungsgesetz jedoch nicht auf. Vielmehr zielt es auf die Verringerung der Größenunterschiede zwischen den Oberlandesgerichtsbezirken in Niedersachsen ab und soll für den weiteren Bestand des OLG Braunschweig sorgen. Außerdem soll an diesem Gericht ein höherer Grad an Spezialisierung ermöglicht werden.

2. Die Eigentumsgarantie ist ebenfalls nicht berührt. Der Fortbestand eines Gerichtsbezirks wird bezogen auf den dort zugelassenen Rechtsanwalt nicht vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt.

3. Die Umgliederung verletzt die Bf auch nicht in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Gesetz steht formell und materiell in Einklang mit den Normen der Verfassung.

Die Kammer führt aus, daß die angegriffene Regelung verhältnismäßig ist. Die Ziele des Gesetzes Ausgleich der Größendifferenz, Ermöglichung einer Spezialisierung in Braunschweig, Gegensteuerung einer drohenden Auflösung des OLG und größere Bürgernähe stellen legitime Gemeinwohlzwecke dar. Das Gesetz ist auch geeignet, diese Zwecke zu erfüllen. Insoweit hat sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert und die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abzuschätzen. Die Auswirkungen des Gesetzes sind den Bf auch zumutbar. Ihnen wird neben vorübergehenden Einkommenseinbußen zugemutet, sich veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Solche Anpassungsleistungen gehören zu den ständigen Herausforderungen freiberuflicher Rechtsanwälte. Das Gesetz begegnet schließlich auch nicht deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es an einer Übergangsregelung fehlt. Durch ihre Doppelzulassung wurde für die Bf jedenfalls ein angemessener Ausgleich zwischen privatem Bestandsinteresse und staatlichem Änderungsinteresse hergestellt.

Karlsruhe, den 4. Januar 2000