Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Kammerentscheidung zum Psychotherapeutengesetz - hier: Zur Fortgeltung der Rechte aus dem Delegationsverfahren

Pressemitteilung Nr. 2/2000 vom 7. Januar 2000

Beschluss vom 22. Dezember 1999
1 BvR 1657/99

Eine approbierte Psychologische Psychotherapeutin, die seit 1997 zur Behandlung von Kassenpatienten im Delegationsverfahren zugelassen war, will erreichen, dass sie auf der Grundlage des seit Anfang 1999 in Kraft befindlichem Psychotherapeutengesetz (PsychThG) nunmehr zur bedarfsunabhängigen vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wird. Sie klagte deshalb gegen einen ablehnenden Bescheid des Zulassungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung vor dem Sozialgericht. Dieses Verfahren ist noch anhängig. Ihr weiterer Antrag auf vorläufige Zulassung im Eilrechtsschutzverfahren blieb erfolglos. Sozialgericht und Landessozialgericht sahen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin (Bf) einen Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung haben könnte. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde (Vb) hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft sei. Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung führt die Kammer ergänzend aus, dass die Rechte der Bf aus dem Delegationsverfahren nicht bereits durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses erlöschen. Die entsprechende gesetzliche Vorschrift sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass dies erst durch eine bestandskräftige Entscheidung, also beispielsweise durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil geschehen könne.

I.

1. Die Vb betrifft die Rechtstellung von approbierten Psychologischen Psychotherapeuten, die bis Ende 1998 im Delegationsverfahren abgerechnet haben, deren Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung aber durch den Zulassungsausschuss abgelehnt worden ist (vgl. Art. 10 des Einführungsgesetzes zum PsychThG). Delegation in der kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgung bedeutete, dass ein Psychotherapeut Behandlungskosten über einen zugelassenen Arzt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen konnte. Der Arzt delegierte also die Behandlung des Patienten an einen Therapeuten.

Art. 10 des Einführungsgesetzes zum PsychThG lautet:

"Überleitungsvorschrift

Die Rechtsstellung der bis zum 31. Dezember 1998 an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilnehmenden nichtärztlichen Leistungerbringer bleibt bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses über deren Zulassung oder Ermächtigung unberührt, sofern sie einen Antrag auf Zulassung oder Ermächtigung bis zum 31. Dezember 1998 gestellt haben."

2. Die Bf wurde im September 1997 von der kassenärztlichen Vereinigung als Verhaltenstherapeutin zum Delegationsverfahren für die Anspruchsberechtigten der Krankenkassen zugelassen. Auf der Grundlage des neuen PsychThG erhielt sie Anfang 1999 die Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. Ihr Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung lehnte der Zulassungsausschuss der kassenärztlichen Vereinigung ab. Der Bescheid enthält den "Hinweis", dass die Tätigkeit im Delegationsverfahren durch diese Entscheidung beendet sei. Die Klage gegen diese Entscheidung ist noch beim Sozialgericht anhängig. Ohne Erfolg blieb der Antrag der Bf, im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Klage an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen zu können. Diesen Antrag lehnten das Sozialgericht und das Landessozialgericht ab. Hiergegen erhob die Bf Vb und rügte u.a. die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Ihr werde ohne rechtfertigenden Grund ein schwer wiegender Nachteil zugefügt. Ihre bisherige Rechtsstellung auf der Grundlage einer uneingeschränkten Delegationsberechtigung werde ihr entzogen; sie dürfe keine neuen Patienten aufnehmen und im Delegationsverfahren behandeln.

II.

1. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser Grundsatz fordert, dass ein Bf alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung oder Verletzung grundrechtsgleicher Rechte herbeizuführen. Die Kammer führt aus, dass die Bf es versäumt hat, alle Möglichkeiten zu ergreifen, um einer Verschlechterung ihrer bisherigen Rechtsposition aus dem Delegationsverfahren zu begegnen.

2. Allerdings ist in Fällen wie dem der Bf davon auszugehen, dass die Rechte aus dem Delegationsverfahren nicht bereits durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses erlöschen. Vielmehr ist Art. 10 des Einführungsgesetzes zum PsychThG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass unter der Entscheidung des Zulassungsausschusses die bestandskräftige oder rechtskräftige Entscheidung (z.B. ein rechtskräftiges Urteil) zu verstehen ist. Denn auch eine Aufhebung der Delegationsberechtigung muss wie eine Zulassung oder Entziehung zur vertragsärztlichen Versorgung verfahrensmäßigen Anforderungen entsprechen, die vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben. Dazu gehört der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage, der als adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und als fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses gilt. Der Grundsatz bedeutet, dass eine behördliche Entscheidung nicht sofort, sondern erst nach Abschluss des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens vollziehbar ist. Im konkreten Fall behält also die Bf bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zum Sozialgericht erhobene Klage ihre Rechte aus dem Delegationsverfahren. Dies gilt auch für andere vergleichbare Fälle.

Karlsruhe, den 7. Januar 2000