Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerde von Egon Krenz ist erfolglos

Pressemitteilung Nr. 5/2000 vom 12. Januar 2000

Beschluss vom 12. Januar 2000
2 BvQ 60/99

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG (in der Besetzung Hassemer, Broß, Di Fabio) hat in dem "Krenz-Verfahren" folgendes entschieden:

1. Die Selbstablehnung der Richterin Präsidentin Limbach ist begründet (Beschluß vom 11. Januar 2000; Az. 2 BvQ 60/99).

2. Die Verfassungsbeschwerde (Vb) wird nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 12. Januar 2000; Az. 2 BvR 2414/99). Damit erledigt sich zugleich der Antrag des Beschwerdeführers (Bf) auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

I.

Der Bf, letzter Generalsekretär des ZK der SED sowie Vorsitzender des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrats der DDR, wurde vom Landgericht Berlin (Urteil vom 25. August 1997) im Hinblick auf seine Mitwirkung bei Anordnungen der staatlichen Führung der DDR zur Tötung sogenannter Republikflüchtlinge an der innerdeutschen Grenze wegen mehrfachen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision zum Bundesgerichtshof blieb erfolglos (Urteil vom 8. November 1999). Mit seiner Vb rügte der Bf u.a. eine Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG ("Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde") sowie seines Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 MRK).

II.

1. Die Kammer hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Die durch die Vb aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt. Die Annahme der Vb ist auch zur Durchsetzung der gerügten Rechte nicht geboten, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

a) Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist nicht verletzt. Wie der Zweite Senat bereits in seinem Beschluß vom 24. Oktober 1996 betreffend frühere Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats festgestellt hat, ist das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Interpretation von Strafgesetzen nicht durch Art. 103 Abs. 2 GG geschützt, wenn die zugrundeliegende Staatspraxis durch Aufforderung zu schwerstem kriminellen Unrecht und seiner Begünstigung die in der Völkergemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet hat; denn hierdurch setzt der Träger der Staatsmacht extremes staatliches Unrecht, das sich nur solange behaupten kann, wie die dafür verantwortliche Staatsmacht faktisch besteht. Der Bf bringt nichts vor, das Anlaß geben könnte, das Gebot materieller Gerechtigkeit, dem in dieser ganz besonderen Situation Vorrang zukommt vor dem Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 GG, hier zurücktreten zu lassen. Daran ändert auch die Möglichkeit nichts, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg auf die dort vom Bf erhobene Beschwerde einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK feststellen könnte. Denn eine solche Entscheidung würde lediglich einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 359 Nr. 6 StPO darstellen. Auch wäre die weitere Vollstreckung des Urteils hierdurch grundsätzlich nicht gehemmt.

b) Soweit der Bf im Zusammenhang mit der Behandlung von Beweisanträgen einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder gegen das Willkürverbot rügt, fehlt hierfür jeder Anhalt. Die Gestaltung des Strafverfahrens, die Feststellung und Würdigung der Beweise und des Sachverhalts, die Auslegung des Strafprozeßrechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Strafgerichte und der Nachprüfung durch das BVerfG grundsätzlich entzogen. Das BVerfG kann nur dann eingreifen, wenn die Gerichte Verfassungsrecht verletzt haben. Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ein Fehler sichtbar wird, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruht, oder wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist. Davon kann hier keine Rede sein.

2. Die Selbstablehnung der Präsidentin ist begründet. Sie hat während ihrer früheren Tätigkeit als Justizsenatorin in Berlin in zahlreichen politischen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, daß sie die Anordnungen der staatlichen Führung der DDR, auf denen die Tötung von sogenannten Republikflüchtigen an der innerdeutschen Grenze durch Minen, Selbstschußanlagen und den Schußwaffengebrauch der Grenztruppe beruhte, als strafbares Unrecht ansehe, dessen Verfolgung durch die Strafjustiz eine notwendige und für die Rechtskultur wichtige Aufgabe sei. Sie hat dabei mit Nachdruck die Auffassung vertreten, daß das Verfassungsrecht der Strafverfolgung des Bf wegen der in Rede stehenden Taten nicht entgegenstehe. Eine Besorgnis des Bf, die Richterin könne in seinem verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht unbefangen urteilen, ist deshalb nachvollziehbar.

Karlsruhe, den 12. Januar 2000 - Az. 2 BvQ 60/99 u.a. -