Bundesverfassungsgericht

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Es verstößt nicht gegen die Verfassung, wenn der Gesetzgeber nach Begehung von Straftaten das "Ruhen der Verjährung" anordnet - hier: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Straftäters

Pressemitteilung Nr. 17/2000 vom 10. Februar 2000

Beschluss vom 31. Januar 2000
2 BvR 104/00

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat einstimmig die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines rechtskräftig verurteilten Straftäters nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschwerdeführer (Bf) vertrat die Auffassung, es verstoße gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG), dass der Gesetzgeber das Ruhen der Strafverfolgungsverjährung angeordnet habe, nachdem er der Bf die Straftaten begangen hatte.

I.

Der Bf ist wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung und sexueller Nötigung (§ 176 ff. StGB) rechtskräftig (seit Dezember 1999) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nachdem der Bf die Straftaten begangen hatte, hat der Gesetzgeber im Juni 1994 folgende Vorschrift in das StGB eingeführt: "§ 78 b Abs. 1 Nr. 1: Die Verjährung ruht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179."

Das Ruhen der Verfolgungsverjährung bedeutet, dass dieser Zeitraum bei der Bestimmung des Ablaufs der Verjährungsfrist (hier: zehn Jahre) also dem Zeitpunkt, ab dem der Beschuldigte nicht mehr verfolgt werden kann außer Betracht bleibt.

Der Bf vertrat u.a. die Ansicht, seine Verurteilung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ("Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde"). Nur weil der Gesetzgeber nachträglich (nach Begehung der Straftaten) das Ruhen der Verjährung angeordnet habe, hätte er verurteilt werden können. Anderenfalls hätte seiner strafrechtlichen Verfolgung der Ablauf der Verjährungsfrist entgegengestanden.

II.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat ihr in der Sache keine Aussicht auf Erfolg zugebilligt.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Art. 103 Abs. 2 GG verbietet sowohl die rückwirkende Strafbegründung wie die rückwirkende Strafverschärfung. Er betrifft also nur die Frage, ab wann eine Straftat verfolgt und geahndet werden kann, nicht aber die Frage, wie lange die Verfolgung andauern darf. Weil Verjährungsvorschriften lediglich die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit jedoch unberührt lassen, fallen sie aus dem Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG heraus; eine Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen kann deshalb nicht gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen Gewährleistungsgehalt verstoßen. Nichts anderes gilt, wenn wie hier das Ruhen der Verjährung auch für Taten angeordnet wird, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden sind, sofern ihre Verfolgung zu diesem Zeitpunkt nicht bereits verjährt gewesen ist. Die Kammer führt aus, dass der Bf im Hinblick auf die für ihn günstigere Verjährungsregelung auch keine von Verfassungs wegen geschützte Vertrauensposition innehatte.

Karlsruhe, den 10. Februar 2000