Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Rückforderung nationaler Beihilfen auf Anordnung der Europäischen Kommission hier: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Pressemitteilung Nr. 27/2000 vom 10. März 2000

Beschluss vom 17. Februar 2000
2 BvR 1210/98

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) einer deutschen Firma gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Nach dem Urteil ist die Firma verpflichtet, ca. 8 Millionen DM Überbrückungshilfe an das Land Rheinland-Pfalz zurückzuzahlen, die sie unter Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht erhalten habe.

I.

Die Beschwerdeführerin (Bf) hatte 1979 die Aluminiumhütte in Ludwigshafen übernommen und bis zur Stilllegung im Mai 1987 betrieben. 1983 erhielt sie vom Land Rheinland-Pfalz insgesamt 8 Millionen DM Zuschuss, der in zwei Teilbeträgen in Höhe von jeweils 4 Millionen DM ausgezahlt wurde. Bereits vor Auszahlung der ersten Rate hatte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften das Land Rheinland-Pfalz darauf hingewiesen, dass eine Gewährung des Zuschusses ohne abschließende Äusserung der Kommission unzulässig sei. Dennoch wurde der erste Zuschuss ausgezahlt. Trotz der Aufforderung der Kommission, die zweite Rate nicht vor ihrer endgültigen Entscheidung zu gewähren, wurde auch diese Rate ausgezahlt und die Bf anschliessend im Dezember 1983 vom Landesministerium für Wirtschaft und Verkehr über die Bedenken der Kommission in Kenntnis gesetzt.

Im Dezember 1985 stellte die Kommission abschließend die Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinschaftsrecht fest. Sie müsse zurückgefordert werden. In einem von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Verletzung des EG-Vertrages durch die Bundesrepublik Deutschland fest, weil sie der Entscheidung der Kommission vom Dezember 1985 nicht nachgekommen sei.

Daraufhin nahm das Land die Bewilligungsbescheide zurück und forderte die Bf zur Rückzahlung der Beihilfe auf. Die hiergegen erhobene Klage der Bf hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg, weil die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nicht eingehalten sei.

Die Vorschrift lautet:

"Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig."

Im Revisionsverfahren legte das BVerwG dem EuGH das Verfahren zur Vorabentscheidung vor. Mit Urteil vom 20. März 1997 entschied dieses Gericht u.a., dass die zuständige Behörde im Hinblick auf die bestandskräftige Entscheidung der Kommission zur Rückforderung selbst dann verpflichtet sei, wenn sie die auf nationalem Recht beruhende Ausschlussfrist habe verstreichen lassen.

Mit Urteil vom 23. April 1998 wies das BVerwG die Klage der Bf zurück. Es führte u.a. aus, eine sichere Grundlage für ein Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe könne nur dann bestehen, wenn das Überwachungsverfahren durch die EG-Kommission als Voraussetzung der Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe eingehalten worden sei. Einem sorgfältigen Wirtschaftsunternehmen sei es regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Sei wie hier das Überwachungsverfahren nicht durchgeführt worden, so sei das Vertrauen des Beihilfeempfängers nur ausnahmsweise schutzwürdig, wenn dafür besondere Umstände sprächen. Solche besonderen Umstände seien weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Hiergegen erhob die Bf Vb und rügte u.a. einen Verstoß gegen das Gebot des Vertrauensschutzes und das Demokratieprinzip. Der EuGH habe mit der Umgestaltung des § 48 VwVfG ein gemeinschaftsunmittelbares Verwaltungsverfahrensrecht geschaffen. Diese Art von Rechtsetzung durch den EuGH sei durch das deutsche Zustimmungsgesetz zum EG-Vertrag nicht mehr gedeckt.

II.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das angegriffene Urteil des BVerwG ist durch die Vorabentscheidung des EuGH umfassend vorgeprägt. Es ist nicht erkennbar, dass durch diese Entscheidung der vom GG als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell in Frage gestellt würde (vgl. "Maastricht-Urteil" vom 12. Oktober 1993, BVerfGE 89, 155/174 f).

Selbst wenn man das Urteil des BVerwG in vollem Umfang anhand der Maßstäbe des GG prüfen würde, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Pflicht, die Beihilfe zurückzuzahlen, verstößt nicht gegen die Verfassungsgrundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Dies gilt auch für die Nichtanwendung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. Sie beruht auf dem Grundsatz, dass dem Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem einfachen deutschen Recht zukommt. Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden, dass dieser Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Bf hatte schon im Jahr der Subventionsvergabe die Möglichkeit, die gemeinschaftsrechtlichen Bedenken zur Kenntnis zu nehmen. Hinzukommt, dass es nach der Würdigung des BVerwG der Bf möglich war, die formelle Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Beihilfegewährung zu erkennen. Unter diesen Umständen konnte kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen der Bf darauf entstehen, die Subventionen trotz der Rückforderungsanordnung der Kommission durch schlichten Zeitablauf allein auf Grund der Rechtswirkungen des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG auf Dauer behalten zu dürfen.

2. Die Frage, ob der EuGH wie die Bf meint mit seiner Vorabentscheidung die Grenzen der ihm eingeräumten Hoheitsrechte überschritten hat (vgl. "Maastricht-Urteil" S. 187 f), stellt sich hier nicht. Die Entscheidung des EuGH dient allein der Durchsetzung der im EG-Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Befugnis der Kommission, die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen anzuordnen. Sie wirkt also lediglich im Einzelfall und schafft kein allgemeines gemeinschaftsunmittelbares Verwaltungsverfahrensrecht.

Karlsruhe, den 10. März 2000