Bundesverfassungsgericht

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Informationen zur mündlichen Verhandlung "Abstufung einer Bundesstraße in eine Landesstraße"

Pressemitteilung Nr. 28/2000 vom 13. März 2000

Im Hinblick auf die am 28. März 2000, 11.00 Uhr, stattfindende mündliche Verhandlung des Zweiten Senats (vgl. Pressemitteilung Nr. 12/2000 vom 1. Februar 2000) wird folgendes mitgeteilt:

Das Verfahren betrifft einen Streit zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) um die bundesaufsichtliche Weisung, das Teilstück der Bundesstraße B 75 zwischen Lübeck und Bad Oldesloe in eine Straße nach Landesrecht herabzustufen.

1. Zur Rechtslage:

Das Straßennetz der Bundesrepublik Deutschland unterteilt sich in Bundesfernstraßen nach dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG; Bundesautobahnen und Bundesstraßen) und Straßen nach Landesrecht. Bund und Länder tragen jeweils die Straßenbaulast (sämtliche Aufgaben und finanziellen Lasten im Zusammenhang mit Herstellung und Unterhaltung) für ihre Straßen.

Die Verwaltung der Bundesfernstraßen obliegt nicht dem Bund, sondern ist jeweils dem Land, auf dessen Gebiet sie verlaufen, übertragen. In Abweichung von der in Art. 83 GG (Wortlaut s. Anlage 1) vorgesehenen Regelform der Landeseigenverwaltung ordnet Art. 90 Abs. 2 GG (Wortlaut s. Anlage 1) für die Bundesfernstraßen die Auftragsverwaltung an. Hier unterliegen die Länder der Weisung des Bundes, Art. 85 Abs. 3 GG (Wortlaut s. Anlage 1).

Verliert eine Bundesfernstraße die ihr nach § 1 FStrG eigentümliche Verkehrsbedeutung (zusammenhängendes Verkehrsnetz und dem weiträumigen Verkehr dienend), so ist sie gemäß § 2 Abs. 4 FStrG in die sich aus dem Landesrecht ergebende Straßenklasse abzustufen oder, wenn sie jegliche Verkehrsbedeutung verloren hat oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, einzuziehen. Die Abstufungsverfügung erläßt die oberste Landesstraßenbaubehörde. Mit der Abstufung geht auch die Straßenbaulast auf das Land über.

2. Sachverhalt

Die Bundesstraße B 75 verbindet die Hansestädte Hamburg und Lübeck. Sie verläuft im Wesentlichen parallel zur Bundesautobahn A 1 (Hamburg-Lübeck).

Bereits 1986 äußerte der Bundesrechnungshof Zweifel daran, ob rund 3.500 Kilometer Bundesstraßen, die in unmittelbarer Nähe parallel zu Bundesautobahnen verlaufen, noch dem weiträumigen Verkehr dienten. Er forderte den Bundesminister für Verkehr auf, für 54 Teilstrecken zu prüfen, ob die Einstufung als Bundesfernstraße weiterhin gerechtfertigt sei und ggfs. durch Weisung eine Abstufung zu erreichen. Im Zuge der Wiedervereinigung kam der Bundesminister für Verkehr auf das zunächst zurückgestellte Abstufungsvorhaben zurück und kündigte den Ländern im März 1994 die sofortige Umsetzung seines "Abstufungskonzepts für autobahnparallele Bundesstraßen" an.

Das Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein erklärte zwar seine Bereitschaft, verschiedene Strecken abzustufen, wies jedoch darauf hin, dass eine Abstufung des streitigen Abschnitts der B 75 nicht beabsichtigt sei, da die Voraussetzungen des § 1 FStrG weiterhin erfüllt seien. Eine Abstufung sei daher rechtswidrig. Da die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Land nicht ausgeräumt werden konnten, erteilte das Bundesministerium für Verkehr dem zuständigen Ministerium in Schleswig-Holstein unter dem 26. Juli 1995 folgende Weisung:

"Nach Art. 85 Abs. 3 GG erteile ich Ihnen die Weisung, die Bundesstraße 75 ... zum Ende des laufenden Rechnungsjahres in eine Straßenklasse nach Landesrecht abzustufen."

Daraufhin erhob das Land Anfechtungsklage zum Bundesverwaltungsgericht, das das Verfahren im Juni 1997 dem BVerfG vorgelegt hat, da der Rechtsstreit verfassungsrechtlicher Natur sei. Dieses Verfahren (Az. 2 BvG 2/97) ist noch anhängig und nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gegenstand der mündlichen Verhandlung ist vielmehr der im Juli 1996 eingegangene Antrag der Bundesregierung, festzustellen, dass das Land Schleswig-Holstein mit seiner Weigerung, der Weisung zur Straßenabstufung zu entsprechen, gegen Art. 85 Abs. 3 GG verstoßen habe.

Der Bund ist der Auffassung, die Abstufung einer Bundesstraße sei Gegenstand der weisungsunterworfenen Auftragsverwaltung gemäß Art. 90 Abs. 2 GG. Der Feststellungsantrag sei auch begründet. Die in den Urteilen des BVerfG vom 22. Mai 1990 ("Kalkar II"; BVerfGE 81, 310) und vom 10. April 1991 ("Schacht Konrad"; BVerfGE 84, 25) aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine bundesaufsichtliche Weisung seien im vorliegenden Fall erfüllt.

Das Land vertritt dagegen die Ansicht, der Antrag sei bereits unzulässig. Die Streitigkeit sei verwaltungsrechtlicher, nicht aber verfassungsrechtlicher Art; das BVerfG sei also für die Streitentscheidung nicht zuständig.

Das Land hält den Antrag des Bundes weiterhin für unbegründet. Jedenfalls die Anweisung zur Neueinstufung in eine Landesstraße überschreite das Weisungsrecht des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG. Für die Einstufung in eine Straßenklasse des Landes gelte Landesrecht; der Bund bewege sich mit seiner Weisung also auf einem Gebiet, auf dem den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit zustehe.

Eine Abstufung der Straße könne nur einvernehmlich zwischen Bund und Ländern erfolgen.

Verhandlungsgliederung mit Fragenkatalog sind in der Anlage 2 beigefügt.

Karlsruhe, den 13. März 2000 - Az. 2 BvG 1/96 -

Anlage 1 zur Pressemitteilung Nr. 28/2000 vom 13. März 2000

Art. 83 GG (Grundsatz der Länderexekutive)

Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt.

Art. 85 GG (Bundesauftragsverwaltung durch die Länder)

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.

(2) ...

(3) Die Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden. Die Weisungen sind, außer wenn die Bundesregierung es für dringlich erachtet, an die obersten Landesbehörden zu richten. Der Vollzug der Weisung ist durch die obersten Landesbehörden sicherzustellen.

(4) ...

Art. 90 GG

(1) ...

(2) Die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften verwalten die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes.

(3) ...

Anlage 2 zur Pressemitteilung Nr. 28/2000 vom 13. März 2000

Verhandlungsgliederung mit Fragenkatalog

A.
    I. Einführende Stellungnahmen von Antragstellerin und Antragsgegnerin
    II. Ausgangssachverhalt und Praxis
        1. Sind noch weitere Verfahren auf Verwaltungsebene anhängig?
        2. Sind Umstufungen und Abstufungen - abhängig von der Verkehrsübergabe
der Bundesautobahn - üblicherweise in die Planfeststellungsbeschlüsse
aufgenommen worden? Hat die vorliegende Problematik nur für zeitlich weit
zurückliegende Planfeststellungsverfahren Bedeutung, vor allem deshalb, weil
die Planfeststellungsbeschlüsse zur Frage der konkurrierenden
Verkehrsbeziehungen zwischen Bundesautobahn und Bundesstraße
Ausführungen nicht oder nur in rudimentärem Umfang enthalten? Wird
üblicherweise ein "einvernehmliches" Verfahren zwischen Bund und Land
bezüglich der Verkehrsbedeutung praktiziert? Wie sieht ein solches
Verfahren in der Praxis aus?
B. Verfassungsrechtslage
    I. Wie ist das Weisungsrecht im Fernstraßenrecht gemäß Art. 90 Abs. 2 i.V.m.
Art. 85 Abs. 3 GG gegenständlich einzuordnen? Welche Rechte der Länder sind
berührt? Welche Möglichkeiten haben die Länder bei einer Weisung des Bundes?
Gibt es nach der bestehenden Gesetzeslage (z.B. § 16 FStrG) alternative
Mittel zur Weisung?
    II. Wie ist die hier erteilte Weisung auszulegen?

Das Ende der mündlichen Verhandlung ist für 14.oo Uhr vorgesehen.