Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines libanesischen Asylbewerbers

Pressemitteilung Nr. 37/2000 vom 23. März 2000

Beschluss vom 03. März 2000
2 BvR 39/98

Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines libanesischen Staatsangehörigen hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG das Urteil eines Verwaltungsgerichts (VG), mit dem die Asylklage des Beschwerdeführers (Bf) abgewiesen wurde, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das VG zurückverwiesen. Das Vb-Verfahren betraf die auf Grund Art. 16a Abs. 1 GG bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere an die gerichtliche Sachaufklärungspflicht bei der Prüfung von Asylfolgeanträgen. Die Erwägungen des VG, mit denen es einen Anspruch des Bf auf Wiederaufgreifen des Verfahrens verneint hat, halten so die 1. Kammer des Zweiten Senats der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

I.

1. Der 1990 nach Deutschland eingereiste Bf beantragte 1995 erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung verwies er auf seine exilpolitischen Aktivitäten und legte einen Zeitungsartikel vor, in dem über die Verhaftung eines in Deutschland für den syrischen Nachrichtendienst tätigen Mannes berichtet wurde. Dieser Mann so der Bf habe dem syrischen Nachrichtendienst auch über seine des Bf exilpolitischen Aktivitäten berichtet. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag im Oktober 1996 ab. Die Festnahme des syrischen Agenten sei kein ausreichender Hinweis auf eine dem Bf bei seiner Rückkehr im Libanon drohende politische Verfolgung, da er sich im Bundesgebiet nicht an exponierter Stelle oppositionell gegen Syrien eingesetzt habe. Im Klageverfahren gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid trug der Bf u.a. vor, der syrische Spion sei inzwischen vom Oberlandesgericht Koblenz (OLG) wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Das OLG habe in den Gründen seines Urteils vom 20. März 1997 eine erhebliche Gefährdung der gesamten Führungsmanschaft des F.L.F. (Freiheitlich Libanesischer Freundeskreis) festgestellt. Er- der Bf - sei mittlerweile zum Präsidenten des F.L.F. und zum Vorsitzenden der Nachfolgeorganisation, des F.L.F.-C.N.L., gewählt worden. Das VG wies die Klage ab. Zur Begründung hieß es, bei dem Asylantrag des Bf handele es sich um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1-3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes seien nicht erfüllt. Eine beachtliche Änderung der Sachlage sei nicht eingetreten. Soweit der Bf unter Hinweis auf die Darlegungen des OLG im Urteil vom 20. März 1997 geltend mache, dass der syrische Geheimdienst jeden erkannten Regierungsgegner bei einer Einreise in den Libanon verhafte und auf unbestimmte Zeit in syrische Haft nehme, erfüllten diese Ausführungen nicht die dem Bf obliegende Darlegungslast. Soweit das Urteil des OLG Feststellungen zu der Bespitzelung des F.L.F. enthalte, seien dies keine konkreten, sich auf die Person des Bf beziehenden Umstände, aus denen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf seine Verfolgung durch die Syrer bei einer Rückkehr in den Libanon geschlossen werden könnte. Neue Beweismittel, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens veranlassen könnten, lägen ebenfalls nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den auf grundsätzliche Bedeutung und Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

2. Gegen diese Entscheidungen erhob der Bf Vb und rügte einen Verstoß gegen das Asylgrundrecht (Art. 16a Abs. 1 GG). Er habe Anspruch auf asylrechtlichen Schutz, da er schon auf Grund seiner exponierten Stellung in der libanesischen Exilbewegung bei einer Rückkehr in sein Heimatland politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Dies ergebe sich aus den durch das OLG getroffenen Feststellungen über die Bespitzelung der Mitglieder des F.L.F. durch den syrischen Agenten. Mit der Bezugnahme auf dieses Urteil habe er für die Gefährdung seiner Person ein neues Beweismittel vorgelegt, was zu seiner Anerkennung als Asylberechtigter hätte führen müssen.

II.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat die Vb zur Entscheidung angenommen und ihr stattgegeben. Sie ist offensichtlich begründet.

Die Kammer führt u.a. aus: 1. Das BVerfG hat in Bezug auf den Tatbestand "politisch Verfolgter" sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts selbst als auch seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen der Asylgewährleistung gerecht werden. Den Fachgerichten ist dabei ein gewisser Wertungsrahmen zu belassen. Dieser bezieht sich u.a. auf die rechtliche Bewertung des ermittelten Sachverhalts. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Bewertung jedoch dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachzuvollziehen ist. Ermittlungen zum Tatbestand "politisch Verfolgter" sind zudem vom BVerfG daraufhin zu überprüfen, ob sie hinreichend verlässlich und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind. Diese Grundsätze gelten auch für die Prüfung von Asylfolgeanträgen. Auch bei ihnen geht es um das Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG. Deshalb sind die sich aus dem Asylgrundrecht sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht ergebenden Maßstäbe in Asylfolgeverfahren gleichfalls anzuwenden. Das BVerfG prüft hier, ob die Beurteilung der Wiederaufgreifensvoraussetzungen bzw. eine vom VG vorgenommene Asylerfolgswürdigung in der Sache im Hinblick auf das Vorbringen im Folgeverfahren auf einer tragfähigen Grundlage beruht und nachvollziehbar ist.

2. Gemessen hieran halten die Erwägungen, mit denen das VG einen Anspruch des Bf auf Wiederaufgreifen des Verfahrens verneint hat, der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des VG, es fehle an einem hinreichenden Anhaltspunkt für das Vorbringen des Bf, dass sich seine Gefährdungslage nachträglich verändert habe, ist im Hinblick auf das Urteil des OLG unhaltbar. Das VG nimmt schon nicht in den Blick, dass es sich bei dem Urteil des OLG um ein neues Beweismittel für neue bzw. bisher nicht bekannte Tatsachen handeln könnte. Das VG hat insbesondere nicht beachtet, dass es sich bei dem Strafurteil des OLG um ein wegen allseitigen Verzichts auf Rechtsmittel abgekürztes Urteil handelt, in dem gemäß § 267 Abs. 4 StPO nur die erwiesenen Tatsachen, die den gesetzlichen Straftatbestand erfüllen, angegeben werden müssen, nicht aber Einzelheiten zu den erhobenen Beweisen und deren Würdigung. Deshalb überschreitet die Beurteilung der im Folgeantrag unter Bezugnahme auf die strafgerichtlichen Feststellungen vorgebrachten Gründe als "unbeachtlich" und ungeeignet, Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Asylerstverfahren zu begründen, weil sie zu unbestimmt seien und keinen Schluss auf einen realen Hintergrund zuließen, den fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Der Vorhalt, der Bf habe durch die Bezugnahme auf die Feststellungen des Strafurteils die ihm im Asylfolgeverfahren obliegende Darlegung nicht erfüllt, überspannt nicht nur die Anforderungen an dessen Darlegungslast, sondern verschiebt zugleich die von Verfassungs wegen dem VG obliegende asylrechtliche Sachaufklärungspflicht zu Lasten des Bf auf diesen. Die Auffassung des VG zur Bedeutung der in dem Strafurteil des OLG enthaltenen Feststellungen verkennen die diesem trotz seiner abgekürzten Fassung zukommende hohe Beweisqualität und sind nicht mehr nachvollziehbar. Ohne Kenntnis der vom Strafgericht erhobenen Beweise durfte das VG nicht unterstellen, die im Urteil des OLG enthaltenen tatbestandlichen Feststellungen seien ohne realen Hintergrund erfolgt. Die Feststellungen des OLG hätten vielmehr Anlass für weitere Ermittlungen des VG sein müssen.

3. Die Sache ist an das VG zurückverwiesen worden, damit über den Asylfolgeantrag des Bf neu entschieden werden kann.

Karlsruhe, den 23. März 2000