Bundesverfassungsgericht

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Zur Frage der Zulässigkeit des Einsatzes privater Vertrauensleute im Strafverfahren hier: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts München I im "Fall Sedlmayr"

Pressemitteilung Nr. 38/2000 vom 24. März 2000

Beschluss vom 01. März 2000
2 BvR 2017/94

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) zweier wegen Mordes Verurteilter gegen die in ihrer Sache ergangenen Strafurteile im "Fall Sedlmayr" einstimmig nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb betreffen vor allem die Frage, ob der Einsatz von Vertrauenspersonen im Ermittlungsverfahren, der zur Erfassung von Äußerungen einer zur Aussageverweigerung berechtigten Zeugin führte, nach deren Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung zu einem Beweisverwertungsverbot für das strafgerichtliche Urteil führt.

I.

Das Landgericht (LG) verurteilte die Beschwerdeführer (Bf) jeweils wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Nach den Feststellungen des Gerichts waren zwei private Vertrauensleute (V-Leute) von der ermittelnden Polizeibehörde förmlich für den öffentlichen Dienst verpflichtet worden. Sie hatten monatelang im Umfeld der beiden des Mordes verdächtigen Bf ermittelt und dabei das Vertrauen der Verlobten eines der Bf erworben. Diese äußerte sich gegenüber einem der V-Leute zur Herkunft des Tatwerkzeugs aus dem Haushalt ihrer Familie. Diese Information floss durch die Vernehmung des V-Mannes als Zeugen in das Urteil des LG ein, obwohl die Verlobte selbst in der Hauptverhandlung die Zeugenaussage verweigert hatte. Das LG sah die Verwertung dieses Beweises als rechtlich unbedenklich an und stützte seine Überzeugung von der Täterschaft der Bf darauf und auf weitere Indizien. Unter anderem die Verwertung der Äußerung der Verlobten gegenüber dem V-Mann beanstandeten die Bf mit ihrer Revision zum Bundesgerichtshof, der das Rechtsmittel als unbegründet verwarf. Mit ihrer Vb machen die Bf insbesondere die Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren geltend, weil der Einsatz privater V-Leute durch die Ermittlungsbehörden bisher nicht im Gesetz geregelt sei.

II.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Soweit die Bf die heimliche Ausforschung ihres persönlichen Umfeldes durch V-Leute rügen, entspricht ihr Vorbringen nicht den an die Begründung einer Vb zu stellenden Anforderungen. Ein Bf hat beim Angriff mit der Vb gegen gerichtliche Entscheidungen nicht nur die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig darzulegen. Er ist weiterhin gehalten vorzutragen, inwieweit das gerügte Grundrecht gerade durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen verletzt ist. Diesen Anforderungen werden die Vb nicht gerecht. Sie legen nicht dar, inwiefern durch die Verwertung der von der Verlobten gegenüber dem V-Mann im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben mit dem strafgerichtlichen Urteil Grundrechte verletzt worden sind. Zwar gehen die Vb auf die verfassungsrechtlich bedeutsame Frage der Zulässigkeit eines gezielten Einsatzes von V-Leuten im Umfeld von Beschuldigten ein, in dessen Zusammenhang eine Zeugin ohne Rücksicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu Angaben veranlasst worden ist, die unter anderem ihren Verlobten belasteten. Sie zeigen damit auch eine Verletzung des Anspruchs auf ein rechtsstaatliches Ermittlungsverfahren auf. Denn das den Ermittlungsbehörden zuzurechnende Vorgehen der V-Leute gegenüber der Verlobten eines Beschuldigten stellt sich als eine Maßnahme dar, die jedenfalls ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig ist. Die darin liegende Missachtung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschuldigten und seinen Angehörigen enthält einen Verstoß gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens; denn der in verschiedenen Vorschriften der Strafprozessordnung garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses gehört in seinem Kernbestand zu den Erfordernissen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.

2. Die Bf versäumen es aber, sich mit der Frage auseinander zu setzen, welche Folgerungen aus diesem Verfahrensfehler im Ermittlungsverfahren für die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung und im Urteil des Strafgerichts zu ziehen sind. Lehnen Strafgerichte die Annahme eines Beweisverwertungsverbots als eine mögliche Rechtsfolge ab und berücksichtigen sie den beanstandeten Beweis deshalb in ihrem Urteil, muss ein Bf um den verfassungsprozessualen Begründungsanforderungen zu genügen auf die Frage eingehen, warum die Beweisverwertung von Verfassungs wegen unzulässig sei. Dies setzt regelmäßig zwar auch eine Befassung mit dem zugrunde liegenden Vorgang der Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren voraus. Damit ist es aber nicht getan, weil sich aus einem Verfahrensfehler bei der Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot für das Urteil des Strafgerichts ableiten lässt.

Karlsruhe, den 24. März 2000