Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde von Rechtsanwälten aus den neuen Bundesländern gegen Vereinheitlichung der Postulationsfähigkeit

Pressemitteilung Nr. 44/2000 vom 7. April 2000

Beschluss vom 15. März 2000
1 BvR 230/00

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat einstimmig eine Verfassungsbeschwerde (Vb) von acht Rechtsanwälten aus den neuen Bundesländern gegen eine Vorschrift des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte nicht zur Entscheidung angenommen. Die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene angegriffene Regelung erlaubt es Rechtsanwälten, unabhängig vom Kanzleisitz vor allen Land- und Familiengerichten der Bundesrepublik Deutschland aufzutreten. Bis dahin konnten in den alten Bundesländern oder in Berlin zugelassene Anwälte vor einem Gericht in den neuen Ländern nicht auftreten.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat entschieden, dass die Neuregelung die Bf in ihren Grundrechten nicht verletzt.

I.

Das alte Recht verknüpfte im Westen den Anwaltszwang mit dem so genannten Lokalisierungsgrundsatz. Er beschränkte in Anwaltsprozessen die Postulationsfähigkeit des Anwalts auf das Gericht seiner Zulassung. Im Osten konnten die dort zugelassenen Rechtsanwälte allerdings vor allen Gerichten in den neuen Ländern (mit Ausnahme Berlins) auftreten. Durch die gesetzliche Neufassung wird diese Verknüpfung von Lokalisierungsprinzip und Anwaltszwang beseitigt und damit die umfassende Postulationsfähigkeit aller bei einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwälte hergestellt.

Die Bf sind der Auffassung, das Gesetz greife in ihren verfassungsrechtlich gesicherten Besitzstand ein, weil es zugleich beim 10%igen Gebührenabschlag für Ostanwälte geblieben sei. Sie rügten u.a. die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz).

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Vb liegen nicht vor. Die angegriffene Vorschrift ist mit dem GG vereinbar.

1. Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)

Die Bf waren vor dem 1. Januar 2000 gehindert, vor den Landgerichten und in bestimmten Familiensachen vor den Familiengerichten der alten Bundesländer als Rechtsanwälte aufzutreten. Mit der gesetzlichen Neuregelung ist also eine Belastung aufgehoben worden. Soweit sie von Anwälten aus den alten Bundesländern, die nunmehr auch in den neuen Bundesländern postulationsfähig sind, keine Korrespondenzmandate mehr erhalten, ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht betroffen. Das Grundrecht gibt weder einen Anspruch darauf, dem Beruf ungestört von Konkurrenten nachgehen zu können, noch einen Anspruch auf Erhaltung eines bestimmten Geschäftsumfangs und auf Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten.

2. Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie)

Auch dieses Grundrecht ist nicht nicht berührt. Es gewährt jedenfalls keinen Schutz vor Wettbewerb. So wenig wie ein niedergelassener Rechtsanwalt durch Art. 14 Abs. 1 GG davor geschützt wird, dass sich weitere Rechtsanwälte im selben Bezirk niederlassen, genauso wenig hat er einen verfassungskräftigen Anspruch auf die Beibehaltung einer Beschränkung der Postulationsfähigkeit, die ihm Mandate sichert.

3. Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz)

Allein die höheren Gebühren für Anwälte in den alten Bundesländern gebieten keine Unterschiede in der Postulationsfähigkeit. Ob die bisher zur Rechtfertigung des Gebührenabschlags herangezogene Begründung der schlechteren wirtschaftlichen Situation im Beitrittsgebiet heute noch Geltung hat, ist dabei nicht zu entscheiden. Der vordem durch die Schaffung der beiden Postulationsbereiche bezweckte und offensichtlich auch erreichte Konkurrenzschutz war kein Selbstzweck. Lediglich im Interesse einer Steigerung der Rechtsanwaltsdichte, nicht aber vorrangig zur Einkommenssteigerung der Anwälte hatte der Gesetzgeber durch die Beibehaltung günstiger Bedingungen den weiteren Aufbau der Anwaltschaft in den neuen Bundesländern fördern und sie von westdeutscher Konkurrenz freihalten dürfen. Es stand in seiner Einschätzung, den Schutzzweck nunmehr für erfüllt zu halten.

Die Gebührenregelung selbst ist nicht Gegenstand des angegriffenen Gesetzes. Diese Regelung kann wegen Ablaufs der Jahresfrist zur Einlegung einer Vb auch nicht mehr unmittelbar angegriffen werden.

Karlsruhe, den 7. April 2000