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Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Pressemitteilung Nr. 60/2000 vom 9. Mai 2000

Beschluss vom 27. April 2000
2 BvR 801/99

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat den Antrag der Stadt Duisburg auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (e.A.) im Zusammenhang mit der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts abgelehnt. Das im April 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts hat in Artikel 1 das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) und in Artikel 2 eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeführt. Die Stadt wollte erreichen, dass bis zur Entscheidung des BVerfG über ihre Verfassungsbeschwerde (Vb) im Hauptsacheverfahren einzelne Teile dieser Neuregelung ausgesetzt werden. Nach der Entscheidung der Kammer ist die erforderliche Dringlichkeit für eine e.A. nicht gegeben.

Die Kammer hatte bereits mit Beschluss vom 9. September 1999 Anträge von insgesamt 13 Gemeinden auf Erlass einer e.A. gegen das neue Energiewirtschaftsrecht abgelehnt (s. in der Anlage beigefügte Pressemitteilung Nr. 98/99 vom 17. September 1999).

I.

1. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts galt das Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft von 1935. Danach war die Elektrizitätsversorgung durch geschlossene Versorgungsgebiete und eine Monopolstellung des jeweiligen Energieanbieters auf Grund von Konzessionsverträgen geprägt. Die Neuregelung will insbesondere diese geschlossenen Versorgungsgebiete beseitigen und durch Stärkung des brancheninternen Wettbewerbs eine Senkung der Strompreise erreichen.

Das angegriffene Gesetz setzt zugleich die Binnenmarkt-Richtlinie Strom der Europäischen Union um.

2. Die Stadt Duisburg hat gegen einzelne Vorschriften des EnWG und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Vb erhoben. Sie macht geltend, es werde in das den Gemeinden als Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) gewährleistete Recht zur eigenständigen Wahrnehmung der örtlichen Versorgung mit elektrischer Energie eingegriffen. Durch die erzwungene Öffnung auch des örtlichen Energiemarktes für externe Energieanbieter werde die Existenzfähigkeit der von den Gemeinden wahrgenommenen Versorgung mit elektrischer Energie im Kern getroffen. Deren Infrastruktur werde entwertet; das für den Kommunalhaushalt bedeutsame Aufkommen an Konzessionsabgaben werde erheblich geschmälert. Die Aufgabe der örtlichen Versorgung mit Energie werde durch die Stadtwerke Duisburg AG wahrgenommen, deren Anteile sich unmittelbar oder mittelbar in ihrem Eigentum befänden und die von ihr gesellschaftsrechtlich beherrscht werde. Der Strom werde ganz überwiegend in eigenen Kraftwerken erzeugt, und zwar bis zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts ausschließlich im Wege der sog. Kraft-Wärme-Kopplung.

Über diese Vb hat das BVerfG noch nicht entschieden.

Außerdem hatte die Stadt den Erlass einer e.A. beantragt. Diese sei erforderlich, um schwerwiegende, nicht reparable Nachteile abzuwenden und zugleich im Interesse des Gemeinwohls das Überleben der unmittelbar in ihrer Existenz bedrohten kommunalen Energieversorgung bis zur Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache sicherzustellen.

3. Zwischenzeitlich ist das Gesetz zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK - Gesetz) verabschiedet worden. Das Gesetz soll befristet den Schutz der Kraft-Wärme-Kopplung in der allgemeinen Versorgung im Interesse von Energieeinsparung und Klimaschutz gewährleisten. Dafür ist neben der Verpflichtung der Netzbetreiber, Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen anzuschließen und in solchen Anlagen erzeugten Strom abzunehmen, insbesondere ein System von Vergütungs- und Ausgleichsansprüchen vorgesehen, das die Folgen des Wettbewerbs für die Betreiber von KWK-Anlagen abfedert. Begünstigte dieser Neuregelung wird - soweit ersichtlich - auch die Beschwerdeführerin (Bf) sein.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Zur Begründung heißt es u.a.: Das BVerfG kann gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG einen Zustand durch e.A. regeln, wenn dies u.a. zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine solche Dringlichkeit kann nicht festgestellt werden.

1. Das bereits beschlossene KWK-Gesetz wird mit seinem Inkrafttreten (dies ist für den ersten Tag nach der Verkündung vorgesehen) einen Ausgleichsanspruch in Höhe von zunächst 3 Pfennig pro in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erzeugter Kilowattstunde begründen und deshalb zur Folge haben, dass negative Konsequenzen für die Bf jedenfalls nicht in dem von ihr befürchteten Ausmaß eintreten werden. Soweit die Bf Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren befürchtet, ist ihr Vorbringen spekulativ und angesichts des bereits vorliegenden Gesetzesbeschlusses weitgehend überholt. Bereits eingetretene wirtschaftliche Einbußen könnten auch bei Erlaß der beantragten e.A. nicht rückgängig gemacht werden.

2. Auch der Vortrag der Bf, das Aufkommen aus Konzessionsabgaben sei seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts zunehmend zurückgegangen, vermag keine Dringlichkeit im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG zu begründen. Dem - früher bestehenden - Risiko der "Umwandlung" von Tarif- in Sondervertragskunden, das zwangsläufig eine Schmälerung der Konzessionsabgaben bedeutet hätte, ist durch die im Juli 1999 erfolgte Änderung der Konzessionsabgabenverordnung Rechnung getragen worden. Diese Änderung verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass im Ergebnis Wettbewerbslieferungen Dritter grundsätzlich mit derselben Konzessionsabgabe belastet werden können, wie sie auch beim bisherigen Lieferanten anfallen. Ferner hat er der Schmälerung des Konzessionsabgabeaufkommens durch bloße Änderung der Vertragsgestaltung dadurch vorgebeugt, dass Stromlieferungen auf Grund von Sonderkundenverträgen aus dem Niederspannungsnetz konzessionsabgabenrechtlich als Lieferungen an Tarifkunden gelten. Insoweit dürften die von der Bf vorgetragenen Risiken für ihr Konzessionsabgabeaufkommen mit dem Inkrafttreten der geänderten Konzessionsabgabeverordnung weitgehend entfallen sein.

3. Die e.A. ist auch deshalb nicht dringend geboten, weil die Stadtwerke - bzw. die Bf durch entsprechende Einflussnahme auf die Stadtwerke - die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit hat, die Abnahme des von Dritten anderweitig gekauften Stroms zu verweigern.

Damit soll insbesondere wegen der Bedeutung der Schonung der Ressourcen und des Umweltschutzes verhindert werden können, dass eine energiewirtschaftlich förderungswürdige Art der Stromversorgung infolge von Durchleitungen von Strom aus anderen Kraftwerkstypen verdrängt wird, die die Effekte der Ressourcenschonung und des Umweltschutzes im Vergleich zu anderen Formen der Stromerzeugung nicht aufweisen können. Freilich ist die vom Gesetzgeber aufgerichtete materielle Hürde für eine Durchleitungs- oder Abnahmeverweigerung wegen des Zieles, den Markt in der Elektrizitätswirtschaft mit Hilfe von Durchleitungen so weit wie möglich wettbewerbsrechtlich zu öffnen, grundsätzlich relativ hoch: Das bisherige Monopol - Elektrizitäts-versorgungsunternehmen kann nur unter Berufung auf eine (nachweisliche) Unzumutbarkeit die Abnahme des von einem Netzverbraucher bei einem anderen Elektritätsversorgungsunternehmen gekauften Stroms verweigern; es hat diese Ablehnung der Abnahme schriftlich zu begründen.

Soweit die Voraussetzungen für die Ablehnung tatsächlich nachgewiesen und entsprechend begründet sind, wird jedoch der Wettbewerb im Gebiet des (bisherigen Monopol-) Elektrizitätsversorgungsunternehmens entsprechend eingeschränkt oder auch gänzlich ausgeschlossen. Das hat zur Folge, dass das die Abnahme verweigernde Elektrizitätsversorgungsunternehmen - jedenfalls in der Tendenz - weiterhin Strompreise erzielen kann, die - zumindest - kostendeckend sind.

Mit ihrer Argumentation macht die Bf geradezu prototypisch eine mögliche Unzumutbarkeit der Stromabnahme von Dritten geltend. Aus ihrer Sicht erscheint es daher naheliegend, den für diesen Fall gesetzlich eröffneten Weg zu beschreiten, der Kartellbehörde und den Konkurrenten gegebenenfalls die weiteren Schritte zu überlassen und eine "Insel ohne oder mit nur eingeschränktem Wettbewerb" zu begründen. Dies dürfte auch technisch für die Stadtwerke der Bf unproblematisch sein, da ihr Stromnetz nach eigenem Bekunden "in jeder Hinsicht als "Insel mit Eigenversorgung" ausgestaltet worden (ist) und ... als solche betrieben (wird)".

Soweit die Bf zur Frage einer Abnahmeverweigerung darauf verweist, der Nachweis der Unwirtschaftlichkeit lasse sich nur schwer führen, kann daraus nicht bereits geschlossen werden, dass dieser Nachweis nicht möglich ist. Da die Bf nach eigenem Vortrag bereits ein Kraftwerk stilllegen musste, hätte der insoweit erforderliche notwendige Nachweis schon nach ihrer eigenen Argumentation spätestens nach dieser Stilllegung erheblich leichter erbracht werden können. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang weiter, dass die Abnahme bei jedem weiteren Abnahmebegehren Dritter unter Berufung auf eine insoweit geänderte Sachlage erneut abgelehnt werden könnte.

Karlsruhe, den 9. Mai 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 60/2000 vom 9. Mai 2000

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 98/99 vom 17. September 1999

BVerfG: Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat zwei Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (e. A.) von insgesamt 13 Städten abgelehnt, das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von April 1998 (Energiewirtschaftsgesetz; EnWG), teilweise bis zum 10. August 2000 auszusetzen. Die Anträge haben mangels konkreter Darlegung der befürchteten Nachteile keinen Erfolg.

I.

1. Bis zum Inkrafttreten des EnWG galt das Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft von 1935. Danach war die Elektrizitätsversorgung vor allem durch geschlossene Versorgungsgebiete und eine durch Konzessionsverträge bewirkte Monopolstellung des jeweiligen Energieanbieters geprägt. Die Neuregelung will insbesondere diese geschlossenen Versorgungsgebiete beseitigen und durch Stärkung des brancheninternen Wettbewerbs eine Senkung der Stromkosten erreichen. Diese wurden im internationalen Vergleich für zu hoch erachtet. Das EnWG setzt zugleich die Binnenmarkt-Richtlinie Strom der Europäischen Union um.

2. Die Antragstellerinnen fühlen sich durch einzelne Vorschriften dieses Gesetzes in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG verletzt. Die kommunale Energieversorgung gehöre u.a. wegen ihrer historischen Entwicklung sowie ihrer Bedeutung für das wirtschaftliche und soziale Wohl der Einwohner zu den verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen. Die vom Gesetz bewirkte Marktöffnung führe jedoch dazu, daß die Kommunen die Aufgabe der örtlichen Energieversorgung nicht mehr wirksam wahrnehmen könnten. Die kommunalen Energieversorgungsunternehmen seien dem durch das Gesetz ausgelösten hemmungslosen Wettbewerb nicht gewachsen. Insbesondere die wirtschaftlich wichtigen "Industrie-Kunden" wechselten ihr Energieversorgungsunternehmen. Dadurch bedingte geringere Erlöse gefährdeten die Finanzierung öffentlicher Aufgaben, die bislang durch die Erträge im Energiegeschäft geleistet worden seien.

Die 13 Kommunen haben deshalb Verfassungsbeschwerden (Vb) gegen das Gesetz erhoben. Über diese Beschwerden ist noch nicht entschieden. Zugleich mit den Vb haben die Gemeinden Anträge auf Erlaß einer e. A. nach § 32 BVerfGG gestellt. Sie wollen mit diesen Anträgen erreichen, daß das EnWG jedenfalls teilweise bis zum 10. August 2000 ausgesetzt wird. Dies gilt im wesentlichen für folgende Regelungen:

  • Verpflichtung der Gemeinden, den Bau von Direktleitungen zur Versorgung von Energieabnehmern zu ermöglichen,
  • Aufhebung des Monopols des bisherigen Energieversorgers auch bezüglich der "Tarifkunden" (= im wesentlichen private Haushalte).

II.

Die Anträge wurden abgelehnt.

Zwar sind die Vb weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gebotene Folgenabwägung ergibt jedoch, daß der Erlaß der beantragten e. A. nicht zu rechtfertigen ist. Die Antragstellerinnen haben die Nachteile, die sie für den Fall des Nichtergehens einer e. A. befürchten, nicht hinreichend konkretisiert. Sie haben sich vielmehr im wesentlichen darauf beschränkt, mit allgemeinen Ausführungen ihre Befürchtungen über die Auswirkungen des neuen Gesetzes vorzutragen, ohne dabei konkret ihre jeweils individuelle Betroffenheit und die energiewirtschaftliche Situation im jeweiligen Gemeindegebiet im Einzelfall darzulegen. Der Sachvortrag enthält - bezogen auf die jeweils individuelle energiewirtschaftliche Situation der einzelnen Antragstellerinnen - keine konkreten, durch Tatsachen belegte Anknüpfungspunkte für konkrete Gefährdungen.

Die Darlegung konkreter Nachteile ist auch nicht wegen deren Offensichtlichkeit entbehrlich. So liegt es insbesondere nicht auf der Hand, daß und warum es trotz der Weitergeltung der bisherigen Konzessionsverträge und trotz der unberührt bleibenden kommunal- und/oder gesellschaftsrechtlichen Beherrschung der kommunalen Energieversorgungsunternehmen durch die jeweilige Kommune zu den befürchteten Nachteilen kommen sollte.

Schließlich gründen sich die Befürchtungen der Antragstellerinnen auf bislang unbestätigte Prognosen über erwartete Schwierigkeiten beim Gesetzesvollzug. Dies gilt beispielsweise auch für die - ebenfalls nur pauschal vorgetragene - Gefährdung von kommunaleigenen Stromerzeugungsanlagen in der Technik der Kraft-Wärme-Kopplung. Für solche Anlagen hat der Gesetzgeber jedenfalls dann einen Schutz vorgesehen, wenn sie technisch-wirtschaftlich sinnvoll sind. Hierzu haben die Antragstellerinnen keine konkreten und auf ihren jeweiligen Einzelfall bezogenen Ausführungen gemacht.

Karlsruhe, den 17. September 1999