Bundesverfassungsgericht

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Zur BAföG-Förderung durch Privatdarlehen nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer infolge der Mitwirkung in Hochschulgremien

Pressemitteilung Nr. 65/2000 vom 18. Mai 2000

Beschluss vom 06. April 2000
1 BvL 18/99

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat in zwei Vorlageverfahren über die Frage, ob auch Auszubildende, die in Gremien im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) mitgewirkt haben, nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer auf die Förderung durch ein privatrechtliches, verzinsliches Darlehen nach § 18c BAföG verwiesen werden können, entschieden: Die Vorlagen sind unzulässig.

I.

Die Beklagte in den Ausgangsverfahren hatte den jeweiligen Klägern nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer im Oktober 1996 bzw. Februar 1997 Förderungsleistungen in Form verzinslicher Bankdarlehen bewilligt. Beide hatten in früheren Semestern im Fachschaftsrat ihres Fachbereichs mitgewirkt. Grundlage dieser Entscheidung war § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG in der Fassung des Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG vom 17. Juli 1996; BAföG 1996 - siehe Anlage) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BAföG 1996. Durch diese Änderung war die vorherige Förderungskombination aus Zuschuss und öffentlichrechtlichem Darlehen auf privatrechtliche verzinsliche Darlehen umgestellt worden.

Seit Inkrafttreten des 20. BAföGÄndG vom 7. Mai 1999 (BAföG 1999) erfolgt die Förderung von Gremienmitgliedern nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer wieder durch einen anteiligen Zuschuss und ein zinsloses öffentlichrechtliches Darlehen.

Die Kläger des Ausgangsverfahrens erstreben die Gewährung einer Förderung durch eine Kombination aus Zuschuss und öffentlichrechtlichem Darlehen im Klagewege. Das Verwaltungsgericht (VG) hat mit Beschlüssen vom 20. Juli 1999 beide Verfahren ausgesetzt und die Sachen dem BVerfG vorgelegt zur Entscheidung über die Frage, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG 1996 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sei, als Studierende, deren Mitwirkung in Selbstverwaltungsgremien vor Juli 1996 begonnen habe, im Anschluss an die Förderungshöchstdauer nur noch mit verzinslichen Bankdarlehen gefördert würden. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Vorschrift enthalte eine mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbare unechte Rückwirkung. Eine verfassungskonforme Auslegung scheide angesichts des klaren Wortlautes der Vorschrift und der eindeutigen Zielsetzung des Gesetzgebers aus. Das Vertrauen der Kläger auf Einhaltung des hochschulrechtlich geregelten Verbotes, sie wegen der Mitarbeit in Gremien zu benachteiligen, habe Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit. Zwingende Gründe des allgemeinen Wohls für eine rückwirkende Regelung auch für Personen, die Gremientätigkeit ausgeübt hätten, seien nicht zu erkennen, zumal es sich um einen kleinen Kreis Betroffener handele und das Einsparvolumen daher eher gering sei.

II.

Die Vorlagen sind unzulässig, denn das vorlegende Gericht hat sich nicht hinreichend mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der Übergangsregelung in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BAföG 1996 auseinandergesetzt. Dessen Wortlaut steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht im Wege. Die Vorschrift bestimmt, dass die Gesetzesänderungen "nur bei Entscheidungen für die Bewilligungszeiträume zu berücksichtigen sind, die nach dem 31. Juli 1996 beginnen". Davon sind nicht notwendig alle Entscheidungen über Bewilligungszeiträume nach dem 31. Juli 1996 erfasst.

Zwar ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens der Vorschlag nicht angenommen worden, für den Tatbestand der Gremienarbeit vor dem 1. Juli 1996 eine Ausnahme von der Umstellung auf Förderung durch Bankdarlehen festzuschreiben. Aus den besonderen Gründen des vorliegenden Falles schließen jedoch die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers eine verfassungskonforme Auslegung nicht aus. Durch das BAföG 1999 hat der Gesetzgeber für Auszubildende mit Gremientätigkeit wieder die Förderung durch Zuschuss und unverzinsliches öffentliches Darlehen eingeführt. Eine verfassungskonforme, am Vertrauensschutz orientierte Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BAföG 1996 bewirkt daher die Fortgeltung einer Regelung, die der Gesetzgeber selbst wieder in Kraft gesetzt hat. Auch enthält die Begründung des Gesetzentwurfes zum BAföG 1999 keinen Hinweis auf eine erneute Bestätigung der Übergangsregelung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BAföG 1996. Möglicherweise hat der Gesetzgeber von einer rückwirkenden Änderung dieser Norm abgesehen, weil er davon ausging, die hiervon erfassten Fälle seien rechtlich bereits abgeschlossen. Jedenfalls kommt eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BAföG 1996 nicht in Konflikt mit einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für die Fortgeltung einer Rechtslage zwischen 1996 und 1999, die von dem vor und nach diesem Zeitpunkt geltenden Recht abweicht. Dies gilt um so mehr, als auch solche Studierende erneut in den Genuss einer Förderung aus Zuschuss und öffentlichrechtlichem Darlehen kommen, die während der Geltung des BAföG 1996 eine Gremientätigkeit ausgeübt haben, sofern der für eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer in Betracht kommende Bewilligungszeitraum nach dem 30. Juni 1999 beginnt. Schließlich setzt sich eine verfassungskonforme Auslegung auch nicht in Widerspruch zum Beschluss des BVerfG vom 14. Oktober 1997 (BVerfGE 96, 330). Das BVerfG hat in dieser Entscheidung den Wechsel der Förderungsart von einer Zuschussfinanzierung auf eine Volldarlehensfinanzierung während der Ausbildung verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Die diese Entscheidung tragenden Gründe lassen sich jedoch wegen der geringen Zahl der von der hier angegriffenen Regelung betroffenen Studierenden nicht übertragen. Vielmehr gibt es, wie das vorliegende Gericht aufgezeigt hat, im vorliegenden Fall sehr gewichtige Gründe, die für einen Schutz des Vertrauens der vor Inkrafttreten des BAföG 1996 in Gremien tätig gewesenen Studierenden sprechen.

Karlsruhe, den 18. Mai 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 65/2000 vom 18. Mai 2000

§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG in der Fassung des Art. 1 Nr. 10 des 18. BAföGÄndG:

Bei dem Besuch von Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen sowie bei der Teilnahme an einem Praktikum, das im Zusammenhang mit dem Besuch dieser Ausbildungsstätten steht, erhält der Auszubildende Ausbildungsförderung als Bankdarlehen nach § 18 c

1. bis 2...

3. nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer in den Fällen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 und Abs. 3 a.

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des 18. BAföGÄndG enthält folgende Übergangsregelung:

Artikel 1 Nr. ... 10 ... tritt mit der Maßgabe in Kraft, daß die darin bestimmten Änderungen nur bei Entscheidungen für die Bewilligungszeiträume zu berücksichtigen sind, die nach dem 31. Juli 1996 beginnen...