Bundesverfassungsgericht

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Bundesverfassungsrichter Jentsch im Verfahren "Hessische Wahlprüfung" nicht befangen

Pressemitteilung Nr. 96/2000 vom 18. Juli 2000

Beschluss vom 12. Juli 2000
2 BvF 1/00

Der Zweite Senat des BVerfG hat im Verfahren bezüglich des Hessischen Wahlprüfungsgerichts festgestellt, dass der von Richter Jentsch in einer dienstlichen Erklärung vom 8. Juni 2000 angezeigte Sachverhalt nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet.

I.

Im Mai 2000 beantragte die Hessische Landesregierung die Überprüfung der Hessischen Landesverfassung und des Hessischen Wahlprüfungsgesetzes beim BVerfG. Dabei geht es um die Regelung, dass "gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen", die Wahl zum Hessischen Landtag "im Falle der Erheblichkeit für den Ausgang der Wahl" ungültig machen. Zudem stehen die Zusammensetzung des Wahlprüfungsgerichts und der Ausschluss des Rechtswegs gegen seine Entscheidungen zur Überprüfung.

Das Verfahren zur Überprüfung der Landtagswahl im Februar 1999 war im März 2000 vom Hessischen Wahlprüfungsgericht wieder aufgenommen worden. Das Wahlprüfungsgericht hält die bekannt gewordene Mitfinanzierung des CDU-Wahlkampfes durch undeklariertes Auslandsvermögen für sittenwidrig.

Richter Jentsch hat am 8. Juni 2000 eine dienstliche Erklärung über den Eintritt von Manfred Kanther in die von ihm begründete Rechtsanwaltskanzlei abgegeben. Er hat beantragt, eine Entscheidung über die Frage der Besorgnis seiner Befangenheit herbeizuführen.

II.

Der Zweite Senat hat - ohne Beteiligung von Richter Jentsch - festgestellt, dass der von diesem angezeigte Sachverhalt nicht die Besorgnis seiner Befangenheit begründet. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der geeignet wäre, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch auszulösen. Aus Umständen, die einen Richter nach § 18 Abs. 2 und 3 BVerfGG (siehe Anlage) nicht von der Ausübung des Richteramtes ausschließen, können für sich allein auch keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit folgen. Schon solche Umstände liegen bei Richter Jentsch nicht vor. Die Tatsache, dass in der von Richter Jentsch begründeten Rechtsanwaltskanzlei mit dessen Einverständnis Herr Manfred Kanther seinen Beruf als Rechtsanwalt ausübt, führt nicht dazu, dass Richter Jentsch aus beruflichen Gründen am Ausgang des Verfahrens interessiert ist. Dies gilt auch angesichts des Umstandes, dass die Anwaltspraxis sowohl den Namen von Herrn Kanther als auch den von Richter Jentsch - bei diesem mit dem Hinweis auf das Ruhen der Zulassung wegen seines Amtes als Richter am BVerfG - führt. Dass Herr Kanther früher Landesvorsitzender der CDU Hessen war und während seiner Amtszeit nicht deklariertes Vermögen der CDU ins Ausland transferiert haben soll, welches teilweise zur Finanzierung des Wahlkampfes eingesetzt worden sein soll und dass das Hessische Wahlprüfungsgericht dies möglicherweise für sittenwidrig hält, sind im Verhältnis zur Ausübung des Richteramtes durch Richter Jentsch beim vorliegenden Verfahren so entfernte Gesichtspunkte, dass von einem Interesse im Sinne des § 18 Abs. 2 BVerfGG nicht gesprochen werden kann. In diesem Verfahren geht es nicht um die Rechtmäßigkeit des Finanzgebarens der Hessischen CDU, sondern um die Zusammensetzung des Hessischen Wahlprüfungsgerichts, Teile des ihm vorgegebenen Prüfungsmaßstabs und die sofortige Rechtskraft seiner Urteile.

Auch andere Umstände sind nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters Jentsch zu begründen. Hat der Antrag der Hessischen Landesregierung Erfolg, könnte Herr Kanther zwar der Sache nach als rehabilitiert erscheinen. Der Ausgang des Verfahrens könnte das Ansehen und den wirtschaftlichen Wert der Rechtsanwaltskanzlei betreffen und daher die ökonomischen Interessen des Richters Jentsch vornehmlich für die Zeit nach seinem Ausscheiden als Bundesverfassungsrichter berühren. Solche möglichen mittelbaren Folgewirkungen einer anstehenden Entscheidung rechtfertigen jedoch bei vernünftiger Würdigung aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel der an einem Normenkontrollverfahren beteiligten Staatsorgane keine Besorgnis der Befangenheit in Bezug auf den Gegenstand dieses Verfahrens.

Der Zweite Senat strebt an, das Verfahren noch in diesem Jahre mündlich zu verhandeln.

Karlsruhe, den 18. Juli 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 96/2000 vom 18. Juli 2000

§ 18 [Ausschließung eines Richters]

(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er 1. an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder 2. in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht 1. die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, 2. die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.