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Keine einstweilige Anordnung gegen Vermögensrechtsergänzungsgesetz

Pressemitteilung Nr. 108/2000 vom 11. August 2000

Beschluss vom 08. August 2000
1 BvQ 21/00

Nach einem Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG kann das Vermögensrechtsergänzungsgesetz (VermRErgG), dessen Inkrafttreten durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig verhindert werden sollte, ausgefertigt und verkündet werden.

Dieses Gesetz ist am 7. Juli 2000 vom Bundestag verabschiedet worden und soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Bisher ist es nicht verkündet worden.

I.

1. Das VermRErgG betrifft die Thematik der Wiedergutmachung von Vermögensschäden in der ehemaligen DDR. Es sieht u.a. folgende Änderungen des Vermögensgesetzes (VermG) und des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG) vor:

  • Ist die Rückübertragung eines Grundstücks wegen redlichen Erwerbs des derzeitigen Besitzers ausgeschlossen, kann nach § 9 VermG zur Zeit die Entschädigung durch Übereignung eines Ersatzgrundstücks erfolgen. Die Kosten hierfür hat im Ergebnis der Bund zu tragen. Diese Möglichkeit soll durch das VermRErgG gestrichen werden. Die Alteigentümer werden auf Geldentschädigung verwiesen.
  • Die Möglichkeit zum Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Flächen gemäß § 3 AusglLeistG soll nach Beanstandungen durch die EU-Kommission nicht mehr davon abhängig gemacht werden, dass der Erwerber am 3. Oktober 1990 ortsansässig war. Voraussetzung soll nach der Neuregelung nur noch sein, dass der Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs ortsansässig ist. Zudem sollen - ebenfalls nach Beanstandungen durch die EU-Kommission - die Regelungen über den Verkaufspreis landwirtschaftlicher Flächen geändert werden und in Zukunft einheitlich Kaufpreise in Höhe des Verkehrswertes abzüglich 35% festgesetzt werden.
  • Das VermRErgG schafft erstmals Möglichkeiten, Flächen an die Bundesländer oder von diesen benannte Naturschutzverbände zum Zwecke des Naturschutzes zu übergeben.

Die Antragsteller (Ast) sind auch Beschwerdeführer in den Verfassungsbeschwerde (Vb)-Verfahren gegen diverse Regelungen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (1 BvR 1408/95 u.a.). Über das Verfahren 1 BvR 1408/95 ist am 11. April 2000 mündlich verhandelt worden; eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.

Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Ast, die dargestellten Regelungen des VermRErgG zunächst nicht in Kraft treten zu lassen, da ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen würden. Ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung stünden bei einem Erfolg der Vb gegen das EALG land- und forstwirtschaftliche Flächen nicht mehr für Wiedergutmachungszwecke zur Verfügung. Zudem seien die Ast nicht in der Lage, auch nur vorübergehend die erhöhten Kaufpreiszahlungen, die nach der Neuregelung gefordert würden, aufzubringen.

2. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat auf Grund der vorzunehmenden Folgenabwägung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat sie sinngemäß ausgeführt:

Sollte eine Vb gegen das VermRErgG Erfolg haben und § 9 VermG dementsprechend in Kraft bleiben, könnten die Ast wiederum Ersatzgrundstücke anstatt der Entschädigung in Geld bekommen. Für die Fälle, in denen bereits Geldentschädigung gezahlt worden ist, muss der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Umstellung auf eine Entschädigung durch Übereignung von Ersatzgrundstücken vorsehen. Zwar besteht das Risiko, dass bestimmte Grundstücke dann bereits unumkehrbar an Dritte übertragen worden sind. Das Gesetz verleiht aber auch jetzt keinen Anspruch auf ein konkretes Grundstück. Ebenso kann durch gesetzgeberische und privatrechtliche Vorsorgemaßnahmen abgesichert werden, dass bei einem Erfolg der Vb der nach Inkrafttreten des VermRErgG zu zahlende Kaufpreis für landwirtschaftliche Flächen rückwirkend angeglichen und überhöhte Zahlungen rückerstattet werden. Hinsichtlich der Übertragung von Flächen an Naturschutzverbände sowie an die übrigen ortsansässigen EU-Bürger lässt sich nach Auffassung der Kammer absehen, dass hierdurch nicht Flächen in so erheblichem Umfang betroffen sein werden, dass eine Übertragung weiterer Flächen an die Ast nicht mehr möglich wäre.

Demgegenüber kann es zu einer Belastung des Bundeshaushalts in Milliardenhöhe führen, wenn § 9 VermG zunächst nicht gestrichen würde.

Diese Belastung könnte bei einem Misserfolg der Vb nicht rückgängig gemacht werden, denn die Neuregelung durch das VermRErgG würde erst nach Auslaufen der einstweiligen Anordnung und Ablehnung der Vb mit Wirkung für die Zukunft in Kraft treten.

Weitere Nachteile für das Allgemeinwohl im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bestehen darin, dass das Flächenerwerbsprogramm zur Zeit auf Grund der Einwendungen der EU-Kommission angehalten worden ist und nach Einschätzung der Kammer erst nach Inkrafttreten des VermRErgG wieder aufgenommen werden wird. Der Aufbau von Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern würde sich damit weiterhin verzögern.

Diese - nicht korrigierbaren - nachteiligen Auswirkungen bei Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Allgemeinheit überwiegen die den Ast entstehenden und korrigierbaren Nachteile bei weitem.

Karlsruhe, den 11. August 2000