Bundesverfassungsgericht

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Mündliche Verhandlungen des Ersten Senats am 7. und 8. November 2000

Pressemitteilung Nr. 130/2000 vom 10. Oktober 2000

Auch dieses Jahr wird der Erste Senat des BVerfG wieder vier Verfassungsbeschwerden (Vb) mündlich verhandeln. Den Bürgerinnen und Bürgern soll durch die Möglichkeit der Teilnahme an diesen Verhandlungen ein Einblick in die Art der Verfahren, die quantitativ den größten Anteil der Verfahren beim BVerfG ausmachen, ermöglicht werden. Zwar sind durchschnittlich nur 2,9% der rund 5.000 jährlich erhobenen Vb erfolgreich. Stattgebende verfassungsgerichtliche Entscheidungen haben jedoch häufig Wirkungen, die weit über den Einzelfall hinausreichen.

Der Erste Senat wird

am D i e n s t a g, dem 7. und M i t t w o c h, dem 8. November 2000
im Sitzungssaal des BVerfG, Schloßbezirk 3, Karlsruhe

folgende Verfahren verhandeln:

1. Dienstag, 7. November, 9.30 Uhr: 1 BvR 2623/95 und 622/99

Die Vb betreffen den Wunsch des privaten Rundfunkunternehmens n-tv (Beschwerdeführerin; Bf), Gerichtsverhandlungen im Gerichtssaal aufnehmen zu dürfen. Im sogenannten "Politbüroprozeß" vor dem Landgericht Berlin und im sogenannten "Kruzifix-Verfahren" vor dem Bundesverwaltungsgericht hatte die Bf erfolglos entsprechende Anträge gestellt. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim BVerfG im Politbüroverfahren scheiterte ebenfalls. Die beanstandeten Entscheidungen sind jeweils auf § 169 Satz 2 GVG gestützt worden. Danach sind Fernsehaufnahmen in Gerichtsverhandlungen ausnahmslos unzulässig. Die Vb betrifft die Frage, ob dieses Verbot mit der Informations- und Rundfunkfreiheit vereinbar ist. Die Entscheidung hat mittelbar Folgen für die öffentliche Diskussion um ein so genanntes "court-tv".

2. Dienstag, 7. November, 11.30 Uhr, 1 BvR 335/97

Der Bf ist Rechtsanwalt beim Landgericht Münster. In Nordrhein-Westfalen gilt wie in einer Reihe anderer Bundesländer das Prinzip der Singularzulassung. Danach kann der bei einem Oberlandesgericht zugelassene Rechtsanwalt nicht zugleich bei einem anderen Gericht zugelassen sein. In anderen Bundesländern gilt das Prinzip der Simultanzulassung. Dort können die bei einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwälte nach fünf Jahren Berufspraxis zugleich beim zuständigen Oberlandesgericht zugelassen werden. Für den Bf bedeutet dies, dass er im Anwaltsprozess zwar vor allen Landgerichten und Familiengerichten der Bundesrepublik seine Mandanten vertreten darf, nicht jedoch vor dem Oberlandesgericht Hamm. Er hält deshalb das Prinzip der Singularzulassung für unvereinbar mit der in Art. 12 GG grundrechtlich verbürgten Berufsausübungsfreiheit und mit dem Gleichbehandlungsgebot (wegen der verschiedenen Regelung in den Bundesländern).

3. Mittwoch, 8. November, 9.30 Uhr, 1 BvR 12/92

Die Vb betrifft die Wirksamkeit eines Unterhaltsverzichtsvertrages. Die Bf war bereits schwanger, als sie den Vater des ungeborenen Kindes heiratete. Vor der Eheschließung schlossen die Eltern einen notariellen Vertrag, in dem die Bf für den Fall der Scheidung auf nachehelichen Unterhalt verzichtete und den Kindesvater über einen Betrag von monatlich DM 150 hinaus von Unterhaltsansprüchen des Kindes freistellte. Nach der Scheidung der Eltern verurteilte das Amtsgericht den Kindesvater zur Zahlung von Unterhalt an seinen Sohn. Der Vater verlangte daraufhin von der Bf Freistellung von einem den Betrag von DM 150 monatlich übersteigenden Unterhaltsanspruch des Kindes. Gegen das stattgebende Urteil des Oberlandesgerichts richtet sich die Vb. Sie wirft die Frage auf, ob es mit dem Grundsatz vereinbar ist, auf den Anspruch auf Kindesunterhalt zu verzichten. Dabei geht es auch darum, ob die Anerkennung der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung, die von einer schwangeren Frau geschlossen worden ist, gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die werdende Mutter zu schützen, verstößt.

4. Mittwoch, 8. November, 11.30 Uhr, 1 BvR 1762 und 1787/95

Die Vb wenden sich gegen Urteile des Bundesgerichtshofs zur sogenannten Schockwerbung der Firma Benetton. Der BGH hielt die Publikation der Werbeanzeigen mit den Motiven "ölverschmutzte Ente", "Kinderarbeit" und "HIV-Positive" durch das beschwerdeführende Presseunternehmen für wettbewerbswidrig. Die Werbung nutze Mitleidsgefühle der Verbraucher zu kommerziellen Zwecken aus. Die Anzeige "HIV-Positive" verletze zudem die Menschenwürde. Die Bf sieht darin eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, werden gebeten, sich schriftlich für den Dienstag oder Mittwoch anzumelden. Ansprechpartner ist Herr Kambeitz (Tel 0721/9101-400, Fax: 0721/9101-461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Die für den 21. November 2000 vorgesehenen Verhandlungen des Zweiten Senats werden gesondert mitgeteilt.

Karlsruhe, den 10. Oktober 2000